Femen als Highlight der Filmfestspiele von Venedig 2013

Von den zwanzig Filmen, die 2013 im Wettbewerb des Filmfestivals in Venedig liefen, stammten nur zwei von einer Regisseurin, namentlich Kelly Reichardt und Emma Dante. Nach meinen Erlebnissen in Cannes überraschte mich das jedoch weniger. Bedauerlicherweise – und ich sage das wirklich sehr ungerne – gehörten die Filme der beiden Regisseurinnen – Night Moves und A Street in Palermo – in meinen Augen zu den schlechtesten des Wettbewerbs. Glücklicherweise gibt es ja noch Filme, die “Außer Konkurrenz” gezeigt werden und in dieser Sektion fand sich tatsächlich noch ein echtes Highlight des Festivals: Ukraine Is Not a Brothel, ein Dokumentarfilm über Femen von der Filmemacherin Kitty Green.

Begeisterung: Frauenpower auf der Leinwand

Während sich die weibliche Präsenz hinter den Kameras wenig überraschend in Grenzen hielt, stellten viele Filmemacher Frauen in den Mittelpunkt der Handlung. Neben Gravity, der außer Konkurrenz lief, betrifft das vor allem die Filme Spuren mit Mia Wasikowska, den deutschen Beitrag Die Frau des Polizisten über häusliche Gewalt, A Street in Palermo von Emma Dante, den neuen Film von Amos Gitai, Ana Arabia, und den Gewinner des Silbernen Löwen für die beste Regie, Miss Violence. Der eine oder andere, der die Festivalberichterstattung verfolgt hat, wird sich nun vielleicht wundern, dass ich Philomena von Stephen Frears, dessen Hauptdarstellerin Judi Dench allgemein als Favoritin für den Volpi Cup gehandelt wurde, hier nicht dazu zähle. Obwohl es um die Geschichte einer Frau auf der Suche nach ihrem Sohn geht, der als Kind zur Adoption freigegeben wurde, erachte ich Martin Sixsmith (Steve Coogan) in diesem Fall als die zentrale Figur. Er ist der Journalist, der Philomenas Geschichte aufschreibt und somit sind es seine Augen, durch die wir die Ereignisse betrachten.

Aber zurück zu den auffälligsten Leinwanddamen. Ein Vorzeigeexemplar für Frauenpower stellte in jedem Fall Mia Wasikowska als Robyn Davidson dar. Spuren, der auf einer Autobiographie eben jener real existierenden Frau basiert, erzählt von Robyns Wanderung quer durch die australische Wüste, bei der sie lediglich von vier Kamelen begleitet wurde. Das macht Spuren zu einer Art weiblichem Into the Wild. Ähnlich viel Kraft und Durchhaltevermögen bewiesen die Frauen in A Street in Palermo, in dem sich zwei Autofahrerinnen in einer schmalen Straße gegenüber stehen. Weil niemand zurückweichen will, wird aus diesem kleinen Verkehrskonflikt ein stundenlanges Duell mit tödlichem Ausgang. Ich hebe diese beiden Filme hervor, weil die Protagonistinnen durch ihre Stärke unseren Respekt einfordern. Auch in Die Frau des Polizisten und Miss Violence stehen Frauen im Mittelpunkt, befinden sich jedoch in einer Opferposition. Amos Gitai lässt seine titelgebende Figur selbst nicht auftreten. Der in einem einzigen Take gedrehte Film, zeigt die Interviews einer jungen Journalistin mit den Hinterbliebenen von Ana Arabia. Bis auf die Journalistin, über deren eigene Geschichte wir kaum etwas erfahren, betont der melancholische Film jedoch eher die Probleme der weiblichen Figuren als deren Stärken.

Enttäuschung – Regisseurinnen in Venedig

Während A Street in Palermo für seine weibliche Präsenz vor der Kamera zu loben ist, überzeugt der Film als solcher leider nicht. So absurd komisch das Setting in den engen Gasse Palermos auch sein mag, so unverständlich ist es auch. Die Motivation der beiden Frauen, die es sich zur Lebensaufgabe zu machen scheinen, in diesem ungewöhnlichen Duell zu obsiegen, können wir nur erahnen. Auch der Ausgang der Geschichte ist vorhersehbar. Die wackelnde Handkamera suggeriert einen Realismus, der nicht zur metaphorisch wirkenden Handlung passt, und Spannung sucht eins hier ebenfalls vergebens. Weitaus enttäuschender noch gestaltete sich Night Moves von Kelly Reichardt, in dem Jesse EisenbergDakota Fanning und Peter Sarsgaard sozusagen einen ökoterroristischen Anschlag verüben. Auch hier bleibt die Motivation der einzelnen Figuren eher schleierhaft. Zudem gelingt es Reichardt leider weder einen Spannungsbogen noch eine dichte Atmosphäre aufzubauen, um uns irgendwie an ihren Film zu fesseln. Der Film suggeriert eine tiefere Bedeutung, die er jedoch niemals konkretisiert und wirkt dadurch immens prätentiös.

Während also die Damen im Wettbewerb nicht überzeugen konnten und wenig überraschend bei der Preisvergabe leer ausgingen, liefen außer Konkurrenz sehenswerte Dokumentarfilme vom weiblichen Regienachwuchs. Bevor ich ausführlicher auf Ukraine Is Not A Brothel eingehe, möchte ich euch noch Pine Ridge von Anna Eborn ans Herz legen. Die schwedische Filmemacherin zeigt hier das Leben junger Erwachsener in einem Reservat der Oglala-Lakota in den USA. Dabei geht sie immens zurückhaltend vor, bringt sich selbst weder durch einen erklärenden Kommentar, noch durch Interviewsituationen ein. Sie bleibt in der Beobachtungsposition und lässt ihre Protagonist:innen die eigene Geschichte erzählen. Obwohl ich mir etwas mehr Kontext gewünscht hätte, gefiel mir dieser Einblick in eine mir fremde Lebenswelt. Auch wenn sich Pine Ridge durch die zurückgenommene Erzählhaltung etwas langatmig ausnimmt, gehört er definitiv zu meinen „Entdeckungen“ dieses Festivals.

Ukraine Is Not A Brothel – oder doch?

Was meinen feministischen Arbeitsschwerpunkt anging, war Ukraine Is Not A Brothel definitiv das Highlight des Festivals. Mir war Femen bisher kaum bekannt. Ich wusste, dass es sich um eine feministische Protestorganisation handelte, deren Aktivistinnen barbusig für verschiedene politische und gesellschaftliche Ziele auf die Straßen gingen. Mir war jedoch nicht das Ausmaß des zu Grunde liegenden Paradoxes bewusst. Die ersten Proteste der Bewegung richteten sich gegen die Prostitution in der Ukraine. Um nicht zum Sexobjekt degradiert zu werden, gingen die jungen ukrainischen Frauen also halbnackt auf die Straße. Ich bin mir nach wie vor nicht sicher, was ich von dieser Idee halte.

Bedauerlicherweise ist das aber nicht das einzige Paradox, dass sich aus dem intensiveren Studium der Organisation ergibt. Kitty Green tut dem Feminismus selbst keinen Gefallen, in dem sie seine aktuell medial prominentesten Vertreterinnen diskreditiert. Nicht nur, dass die Protagonistinnen weniger wie umfassend informierte Aktivistinnen wirken, sondern eher wie Teenager im Rausch eines weitgehend beliebig gewählten Aktionismus. Green entlarvt Femen zudem als patriarchal strukturierte Organisation, an deren Spitze sich ein Mann namens Victor selbst als „Vater des neuen Feminismus“ ernennt. Seine Untergebenen begreifen zwar durchaus das Paradox dieser Situation, fühlen sich jedoch lange außerstande, aus dem Abhängigkeitsverhältnis zu entfliehen. Alleine, so glauben und sagen sie, könnten sie die Proteste nicht organisieren. Darin übrigens besteht das wahre Paradox: Die Mitglieder einer feministischen Protestorganisation lassen sich bereitwillig von einem Mann herumkommandieren, weil sie ihn als die kompetentere Person empfinden.

Ich kann es Kitty Green natürlich nicht übel nehmen, dass sie hier die Wahrheit ans Licht bringt. Was ich ihr aber übel nehmen kann, ist, dass sie Ukraine Is Not A Brothel sehr unterhaltsam inszeniert und uns immer wieder dazu verleitet, über die Protagonist:innen zu lachen. Dabei kommt der Respekt für die jungen Frauen deutlich zu kurz. Immerhin riskieren sie mit ihrem Einsatz Gefängnisstrafen und setzen sich wiederholt der oft sehr starken Polizeigewalt aus. Am Ende von Ukraine Is Not A Brothel wagt eine der Protagonistinnen den Ausstieg. Ein emanzipatorischer Akt sozusagen, der jedoch im Kontext des gesamten Films eher untergeht. Es bleibt der Eindruck bestehen, dass Femen erst einmal gegen Sexismus in den eigenen Reihen kämpfen sollten, bevor sie barbusig auf die Straße gehen.

Jetzt ließe sich natürlich argumentieren, Ukraine Is Not A Brothel würde denjenigen Argumente liefern, die den heutigen Feminismus als überflüssig bezeichnen (oft anzutreffen in den Kommentaren unter meiner Moviepilot-Kolumne). Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Indem Kitty Green innerhalb einer feministischen Organisation patriarchale Strukturen aufzeigt, demonstriert sie deren Omnipräsenz und somit die große Notwendigkeit, sich auch heute mit den Themen Sexismus, Feminismus und Emanzipation auseinanderzusetzen. Das macht Ukraine Is Not A Brothel zu meinem persönlichen Highlight der Filmfestspiele von Venedig 2013.

Sophie Charlotte Rieger
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