DOK Leipzig 2019: That Which Does Not Kill

Achtung: In diesem Text und dem Film, den er behandelt, geht es um das Thema sexualisierte Gewalt. 

That Which Does Not Kill wirkt zunächst wie ein irreführender Titel für einen Film zum Thema sexualisierte Gewalt. Denn manchmal tötet sie eben doch – im Zuge der Tat oder im Nachgang. Doch es ist das Überleben, besser gesagt, es sind die Überlebenden, für die sich Regisseurin Alexe Poukine hier interessiert. Sie macht die kollektive Erfahrung von Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlecht, insbesondere aber Frauen, mit sexualisierter Gewalt sichtbar.

Als roter Faden ihrer Dramaturgie dient die Geschichte von Ada, die selbst niemals auftritt und vielleicht nicht einmal eine real existierende Person ist. Die Protagonist:innen tragen Adas Geschichte aus der Ich-Perspektive in Interviewsituationen vor und ergänzen sie mit eigenen Gedanken, Erinnerungen und Gefühlen. Der Übergang von einem ins andere ist fließend: Nicht immer können wir als Zuschauende wissen, wann die Personen vor der Kamera von sich und wann sie von Ada sprechen. Dass diese Unterscheidung aber im Grunde keinerlei Rolle spielt, ist eben die Essenz der kollektiven Erfahrung, die Poukine hier abbildet.

Eine der Protagonistinnen aus That Which Does Not Kill in der Portraitaufnahme. Ihr Augen sind geschlossen, ihr Kopf geneigt.

© DOK Leipzig 2019

Die Regisseurin, Kamerafrau Elin Kirschfink und Editorin Agnès Bruckert haben einen höchst intensiven und dabei doch niemals aufdringlichen oder voyeuristischen Film geschaffen, der den Zuschauenden genau das richtige Maß an Nähe zu den Protagonist:innen erlaubt, die hier niemals ausgestellt wirken. Dadurch dass sie sich eben stets auch hinter Adas Geschichte zurückziehen können, bietet Alexe Poukine ihnen gewissermaßen einen Rollenschutz. Gleichzeitig ermöglicht die kollektive, die geteilte Erfahrung auch in den „Spielszenen“, also wenn die Protagonist:innen nicht über sich selbst, sondern Ada und deren Geschichte sprechen, ein hohes Maß an Authentizität. Während Elin Kirschfink mit ihrer Kamera in statischen Portraitaufnahmen eine große, aber eben stets respektvolle physische Nähe zu den Sprecherinnen erzeugt, erschafft Agnès Bruckert einen schlüssigen Erzählrhythmus. Aus der Montage der einzelnen Interviewsequenzen entwickelt sie eine sanfte Spannungsdramaturgie, die im Groben der Chronologie von Adas Geschichte folgt und anhand derer verschiedene Aspekte sexualisierter Gewalt thematisiert, zu denen die einzelnen Protagonist:innen wiederum persönliche Eindrücke und Gedanken schildern. So gelingt eine sehr komplexe und tiefgehende Verhandlung des Themas.

Einer der Protagonisten aus That Which Does Not Kill in der Portraitaufnahme. Er sitzt auf der Couch, blickt in die Kamera, in der rechten Hand eine Zigarette.

© DOK Leipzig 2019

Wichtig ist hierbei selbstredend auch die Auswahl der Protagonist:innen. So treten eben nicht nur weiße, sondern auch Schwarze Frauen vor die Kamera und auch Männer kommen zu Wort. Letztere reflektieren dabei auch ihre eigene Rolle als (potentielle) Täter. Schließlich bricht That Which Does Not Kill auch mit der klassischen Rollenverteilung: Ein Mann spricht über sein Erlebnis mit sexualisierter Gewalt, eine Frau über den Missbrauch durch eine andere Frau. Auch hier schreckt That Which Does Not Kill nicht vor der Komplexität und zuweilen auch Ambiguität der Realität zurück. Die Auswahl der Protagonist:innen und ihrer Geschichte trägt der Tatsache Rechnung, dass die Täter zwar in der Regel, aber eben nicht grundsätzlich, männlich sind und dass zwar Menschen unterschiedlicher Geschlechtsidentität Vergewaltigung durchleben, Frauen dieser Form von Gewalt aber in besonderem Maße ausgesetzt sind.

Alexe Poukine verzichtet auf rührselige Musik oder andere Formen der Dramatisierung. That Which Does Not Kill ist immer genauso dramatisch wie die Person, die gerade zu Wort kommt. Die eine weint, der andere bleibt rational. Und neben den berührenden Schilderungen traumatischer oder doch zumindest zutiefst verstörender Erlebnisse lässt Poukine auch jede Menge Raum für das Danach.

Eine Protagonistin aus That Which Does Not Kill in der Portraitaufnahme. Sie blickt ernst in die Kamera.

© DOK Leipzig

Und insofern passt der Titel am Ende doch. That Which Does Not Kill widmet sich dem Überleben von sexualisierter Gewalt und zeigt multiple Wege, wie dieses gelingen kann. Jede:r Protagonist:in hat einen ganz eigenen Weg und nicht jeder ist gleichermaßen ermächtigend. Dass hier auch anhaltende Verzweiflung artikuliert werden darf, dass nicht alle am Ende stark sein müssen, nimmt Zuschauer:innen mit eigenen Gewalterfahrungen den Druck, einem konkreten Bild des „Überlebens“ gerecht werden zu müssen. Manchmal heißt Überleben vielleicht einfach nur da zu sein. Und auch das lästige Sprichwort „Was uns nicht umbringt, macht uns stark“, das im Filmtitel anklingt, wird entlarvt. Nein, nicht alles macht stark. Manches, was wir überleben, macht uns schwächer. Aber wir sind noch da. Und das zählt.

Für That Which Does Not Kill ist Alexe Poukine einfach nur zu danken. Der Film informiert, sensibilisiert, tröstet und motiviert. Er ist imstande unterschiedliche Menschen an unterschiedlichen Punkten ihres Weges und mit unterschiedlichen Beziehungen zu seinem Thema gleichermaßen abzuholen. Er ist getragen von Interesse, Respekt und Empathie. So wie jeder Diskurs um das Thema sexualisierte Gewalt es sein sollte!

Sophie Charlotte Rieger
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