Roboter, Transition und Klitoris – Kurzkritiken vom DOK Leipzig 2019

In diesem Jahr konnten wir krankheitsbedingt leider nicht so intensiv vom DOK Leipzig berichten, wie wir das gerne getan hätte. Dennoch gibt es hier nun zumindest drei Kurzkritiken vom Festival zu Filmen, die unsere Aufmerksamkeit erregt haben. Es geht um künstliche Intelligenz, trans* Identität und die Vulva!

Robolove

Regisseurin Maria Arlamovsky zeigt in ihrem Dokumentarfilm Robolove die Versuche einzelner Forscher:innen und Wissenschaftler:innen, künstliche Intelligenz zu erschaffen. Schnell wird klar: Wenn wir menschliche Roboter bauen wollen, müssen wir erst einmal herausfinden, was „menschlich“ eigentlich bedeutet. Und so vielfältig die Antworten auf die Frage nach dem Wesen des Menschen sind, so vielfältig sind dementsprechend auch die Versuche ihn künstlich zu reproduzieren.

Filmstill aus Robolove (DOK Leipzig 2019): Ein Mann und eine Roboter Frau sitzen an einem Tisch und sehen sich an. Die Roboterfrau trägt ein schwarzes Jackett.

© Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion

Mehrheitlich sind es hier übrigens Männer, die wiederum mit erdrückender Mehrheit eindeutig weiblich gegenderte Roboter erschaffen. Und auch hier wird es wieder deutlich: Künstliche Intelligenz ist keine Weiterentwicklung des Vorhandenen, sondern seine Reproduktion, inklusive kultureller und soziologischer Kategorien und dementsprechend auch Diskriminierungsformen und Machtverhältnisse. Obwohl Maria Arlamovsky als Person in ihrem Film unsichtbar bleibt, als Filmemacherin eine gänzlich beobachtende Position einnimmt, ist ihre Haltung insbesondere zu diesem Geschlechteraspekt durch die Auswahl und Montage des Materials doch spürbar kritisch.

Dennoch bleibt die Frage nach der Geschlechtlichkeit von künstlicher Intelligenz nur eine von vielen, die leider etwas diffus durch den Film wabern. Arlamovsky versucht, zu viele Bereiche und Aspekte der künstlichen Intelligenz abzudecken, springt von japanischen Laboren zu südamerikanischen Sexarbeiterinnen und verzichtet dabei grundsätzlich auf Informationstafeln, die uns die einzelnen Protagonist:innen vorstellen würden. Dramaturgisch gibt sie ihrem Publikum zu wenig an die Hand, um in diesem Dschungel aus – teils beeindruckenden, teils verstörenden – Eindrucken einen roten Faden zu finden. So aber verpuffen auch die viele klugen Gedanken, die die Sprecher:innen des Films artikulieren. Eine klarere inhaltliche Linie, ein stärkerer Fokus auf einen einzelnen Aspekt – sei es Gender oder die Frage nach der arbiträren Trennlinie zwischen Mensch und Maschine – hätten dem Film gut getan.

Under the Skin

In Under the Skin begleitet Robin Harsch drei junge trans* Personen durch ein Jahr ihres Geschlechtsangleichungsprozesses. Er tritt dabei nicht nur mit den drei Jugendlichen in den Dialog, sondern zum Teil auch mit ihren Eltern und vor allem den Sozialarbeiterinnen, deren Beratungsstelle alle drei Protagonist:innen regelmäßig aufsuchen. Harsch versucht zu verstehen, was hier vor sich geht. Was es auf sich hat mit diesen trans* Personen. Er fragt sich, wie es wäre, wenn eines seiner Kinder eine dieser trans* Personen wäre. Aber so ist es ja nicht, sagt er.

Einer Protagonisten posiert vor dem Spiegel mit angespanntem Bizeps und macht ein Handy-Selfie.

© DOK Leipzig 2019

Und hier deutet sich schon das Problem von Under the Skin an, einem Dokumentarfilm, der sich dem Thema trans* Identität nur über die Exotik nähern kann, über den distanzierten Blick von der Mehrheit auf die Minderheit, auf das Andere. Zu keinem Zeitpunkt schenkt der Film den drei portraitierten Jugendlichen jene Normalität und Natürlichkeit, nach der sie sich sehen und die ihnen vor allem zusteht.

Als besonders kritisch erweist sich der Umgang mit dem Thema Elternschaft. Robin Harsch gibt den Sorgen und Zweifeln dieser Generation – vermutlich, weil er sich mit ihr stärker identifiziert als mit den jugendlichen Protagonist:innen – insgesamt viel Raum. Wir hören gleich zweimal von dem schmerzhaften Gefühl, ein Kind zu verlieren, ohne dass ein Gegenmodell sichtbar würde. So bekommt diese Variante der Reaktion auf das Coming Out des Kindes, die Ablehnung als erster Affekt, etwas alternativlos Natürliches. Harsch mag sich als Filmemacher bemühen, eine Personengruppe neutral zu portraitieren, aber aus seiner Rolle des besorgten Vaters, kann er dabei nicht heraustreten.

Zwar plädiert Robin Harsch in seinem Film für die Akzeptanz von trans* Personen, doch begibt er sich mit ihnen leider niemals ganz auf Augenhöhe. Dem Filmemacher, der sich durch das Filmen seiner Kinder und das Voice Over zum Teil selbst zum Protagonisten seines Films macht, fehlt es letztlich an Mut zur ehrlichen Auseinandersetzung mit dem eigenen Gender beziehungsweise seiner Vorstellung von eben jenem. So bleibt auch sein Film an der vorurteilsbehafteten Oberfläche.

My Name Is Clitoris

Ein Film wie ein Mädchenabend: In My Name Is Clitoris interviewen die Filmemacherinnen Daphné Leblond und Lisa Billuart-Monet junge Frauen über ihre Sexualität. So privat wie das Thema ist auch das Setting, zumindest wirken die Gespräche als fänden sie in den Schlafzimmern der Protagonistinnen statt. Auch die Kamera sucht stets die Nähe zu den Mädchen. Und so ist alles – vom Thema bis zur Bildgestaltung – an diesem Film höchst intim. Und dabei doch niemals aufdringlich.

© DOK Leipzig 2019

Es ist erstaunlich, wie vertrauensvoll die jungen Frauen hier über ihre Genitalien, ihre sexuelle Entwicklung und andere in der westlichen Gesellschaft tabuisierte Themen sprechen. My Name is Clitoris ist ein Film von großer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit – wie ein Mädelsabend eben. Das Zielpublikum ist ganz klar weiblich und im Alter der Protagonistinnen so wie die Absicht des Films auch eindeutig die der Aufklärung beziehungsweise sexuellen Ermächtigung ist. Unterm Strich stellt My Name is Clitoris genau jenen Aufklärungsfilm dar, den die Protagonistinnen in ihrer Jugend so schmerzlich vermisst haben.

Wo das Zielpublikum so klar anvisiert ist, schmerzt dennoch ein wenig die fehlende Diversität. Wo sind da die Frauen mit Behinderung, wo sind da Menschen mit der titelgebenden Klitoris, die sich nicht als weiblich identifizieren? Gerade beim Thema Trans*identität verpasst der ansonsten thematisch so reichhaltige Film einen wichtigen Aspekt der Sexualaufklärung. Auffällig ist auch, wie gut und gewählt sich hier alle Sprecherinnen ausdrücken, als sei auch der Bildungshintergrund der ausgewählten Protagonistinnen ein recht ähnlicher.

Und dennoch: My Name Is Clitoris leistet wertvolle und sympathische Aufklärungsarbeit und ist dabei auf eine verspielte und lockerleichte Weise emanzipatorisch wertvoll. Ein Film, der sich bestimmt großartig in der Jugendarbeit einsetzen lässt!

Sophie Charlotte Rieger
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