DOK Leipzig 2019: Where to

Der Dokumentarfilm Where to verleiht dieser eigentlich banalen Frage einer Taxifahrerin philosophische Tiefe. Für ihren Abschlussfilm an der Zagreb Academy of Dramatic Art begleitete Regisseurin Lidija Špegar eine junge Taxifahrerin in der kroatischen Hauptstadt. Beim DOK Leipzig feiert der Film im Rahmen des Länderfokus: Transitional divers. Kroatische Verhältnisse Deutschlandpremiere.

Where to fokussiert stark auf das beengte Innere des Taxis. Die Kamera ist dabei meist durch die Frontscheibe auf den innenraum gerichtet oder begleitet die Fahrerin auf dem Beifahrersitz. Entlang der Fahrtrouten und Tagesabläufe zeichnet Špegar über mehrere Schichtdienste ein Portrait der Taxifahrerin Ljiljana. Diese stammt aus Slawonien im Nordosten Kroatiens. Historisch war die auch als „Kornkammer“ bekannte Region vor allem landwirtschaftlich geprägt. Heute gibt es dort kaum Jobs und Perspektiven für junge Menschen. Viele von ihnen zieht es wie Ljiljana nach Zagreb, wo sie meist prekäre Jobs ausüben.

Aufnahme der Taxifahrerin Ljiljana und ihres Beifahrers in Ritterrüstung durch die Frontscheibe des Taxis

© Lidija Špegar

Eine Stärke von Špegars Film  besteht darin, dass die Protagonistin selbst zu Wort kommt und ihre persönliche Geschichte für sich wirken kann. Špegar hingegen bleibt als Filmemacherin unsichtbar, verzichtet auch auf einen Kommentar ihrer Bilder. Obgleich ihre Protagonistin als eine der wenigen Frauen in ihrem Beruf und dazu Sängerin einer Punkband in vielerlei Hinsicht eher aus der Norm fällt, spiegeln sich in Ljljanas  Leben Erfahrungen einer Generation, die geprägt ist vom Zerfall des sozialistischen Jugoslawiens und dem Übergang zur Republik Kroatien. Vor allem die immense Arbeits- und Perspektivlosigkeit und die damit verbundene Migration kommen in Where to zur Sprache.

Insgesamt bettet Špegar die persönlichen Geschichten und Einzelschicksale ihrer Protagonist:innen sehr gelungen in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext ein. Dies geschieht insbesondere über die Begegnungen Ljiljanas mit ihren Fahrgästen. Tourist:innen, Jugendliche auf dem Heimweg von einer Party, Werktätige unterschiedlicher Berufe, Männer, Frauen aus ganz unterschiedlichen Milieus und Blickwinkeln, mit eigenen Erfahrungen, Hoffnungen und Interessen zeigen ein verdichtetes Abbild Kroatiens.

Špegar nutzt das Taxi als eine Art Brennglas und eröffnet den Zuschauer:innen über die Gespräche, deren Inhalt von Small Talk bis hin zu intimen Lebensgeschichten reicht, einen Einblick in die politische und gesellschaftliche Situation Kroatiens aus der Perspektive der Menschen. Immer wieder rückt die Frage Where to in den Mittelpunkt, die sich ebenso auf die einzelnen Protagonist:innen wie auf das Land und die Gesellschaft an sich beziehen lässt. Der Film gibt darauf keine Antwort, vermittelt aber in den Gesprächsinhalten, sowie im Durchstreifen der Stadt im Taxi ein Gefühl für die Unsicherheiten und stetige Bewegung innerhalb der kroatischen Gesellschaft.

Das Taxi als Mikrokosmos einer Gesellschaft zu begreifen, in dem sich die unterschiedlichsten Menschen begegnen und die besondere Vertrautheit, die in diesem Raum zwischen Fremden entsteht, zu nutzen, ist an sich ein interessanter und kluger Ansatz. Leider gelingt es Where to nicht, das Interesse der Zuschauer:innen aufrecht zu erhalten. Die Aufnahmen des Taxis von innen und Zeitraffer des Straßenverkehrs wirken nach kurzer Zeit eintönig. Die Ziellosigkeit, die in Where to von Beginn an angelegt ist, führt leider dazu, dass der Film keinen tiefergehenden Eindruck hinterlässt oder eine Botschaft an seine Zuschauer:innen sendet.

Lea Gronenberg
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