Das Monster in der Höhle: Chilling Adventures Of Sabrina

Vor Kurzem habe ich die Chilling Adventures of Sabrina zu Ende geguckt. Die Serie ist spannend, witzig, feministisch. Starke Charaktere, hauptsächlich Frauen, bestimmen ihr eigenes Schicksal, schließen sich nach und nach zusammen und rebellieren gegen die patriarchalen Strukturen in ihrem Hexenzirkel. Irgendwann beschließen sie, ihre Macht nicht mehr vom Macho Satan zu beziehen, sondern stattdessen die Göttin Hekate anzubeten. Dabei dürfen sogar die männlichen Charaktere komplexe Gefühle haben und sie ausdrücken. Nicht schlecht.

Zwar ist Sabrina weiß, cis und hetero, es fehlt aber nicht an queeren Charakteren, alternativen Beziehungsmodellen und BIPoC-Besetzung. Es kann sein, dass die wichtigen Schwarzen Figuren in der Serie Stereotypen sind: Der geniale, aber hauptsächlich hilfreiche ältere Cousin, die herzensgute beste Freundin, die etwas böse, aber am Ende alliierte Rivalin. Mein Eindruck war, die Drehbuchschreiber:innen haben immerhin versucht, diesen Charakteren spannende, individuelle Storys und mehr Handlungsspielraum zu geben, als unsere Sehgewohnheiten es erwarten. Ob es ihnen gelungen ist, können BIPoC besser beurteilen.

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Eine andere Sache allerdings hat mich völlig unerwartet erwischt:___STEADY_PAYWALL___

In einer Episode gehen zwei nicht-magische Jungen in die örtlichen Minen, um ein Mysterium aufzuklären. Sie brechen in einen seit Jahren gesperrten Schacht ein und werden dort von einem menschenähnlichen Monster angegriffen. Nach einem kurzen Kampf schaffen sie es, das Wesen mit einer Spitzhacke zu töten. Gruselig. Brutal. Gehört aber zum Horror-Genre dazu. Einige Folgen später erwähnt Theo, einer der beiden Jungen, beiläufig, wie er neulich in den Minen die Albino-Hexe getötet hat.

Das Monster in der Höhle

Ich trinke jetzt zur Beruhigung einen Schluck Wasser, bevor ich weiterschreibe. Die Albino-Hexe? Es gibt in dieser Welt jede Menge Hexen. Sie sind Hauptcharaktere und sehen völlig normal aus. Dank ihrer Magie sind sie mächtiger als andere Menschen und können sehr alt werden, dabei aber eine junge Erscheinung bewahren. Manche von ihnen schließen sich einem Zirkel an, andere leben lieber allein. Die einzige Hexe mit Albinismus, die wir in diesem Universum sehen, lebt aber nicht nur allein, sondern in einem verlassenen Minenschacht. Ohne fließendes Wasser, Essen, Einrichtungsgegenstände, Kleidung, Sozialkontakte und Sonnenlicht. Alle anderen Hexen leben mit diesen Dingen und scheinen sie auch zu brauchen. Warum kann diese eine Hexe nicht sprechen, sondern nur kreischen? Warum trägt sie nur einen Lendenschurz? Falls jemand diesen Ort bewachen musste, warum wird die einzige Hexe ausgewählt, die nicht über genügend magische Kräfte verfügt, um sich gegen zwei nicht-magische Jugendliche zu wehren? Die Antwort: Sie ist kein Mensch und keine Hexe wie die anderen, sondern ein filmisches Horror-Element. Ein gruseliges Monster in einer Höhle, das man einfach so töten kann. Eher noch, ein Monster, das getötet werden muss, weil das für die persönliche Entwicklung der Charaktere wichtig ist. Bevor Theo erwähnte, dass es sich um eine Albino-Hexe handelt, wäre ich nie darauf gekommen, dass dieses Wesen eine Hexe bzw. ein eigenständiger Mensch sein sollte.

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Diese Albino-Hexe war übrigens der erste weibliche Charakter mit Albinismus, den ich als Frau mit Albinismus je in einer Serie oder einem Film gesehen habe. Die Botschaft: Die mediale Verwendung für Menschen wie mich ist also „das Monster“.

Ich habe Albinismus und ich kenne andere Menschen mit Albinismus. Im echten Leben nehmen wir alle möglichen Rollen ein: Sportler:innen, Journalist:innen, Chemiker:innen, Verkäufer:innen, Großeltern und so weiter. Unsere Haut und unsere Haare sind meistens etwas heller als die der Leute um uns herum und wir sehen sehr schlecht, haben also eine Sehbehinderung. Davon abgesehen sind wir äußerst normal, fast schon langweilig normal. Klar hätte ich auch lieber magische Kräfte.

Da es nur sehr wenige Menschen mit Albinismus gibt (1 von 10.000 in der südlichen Hälfte Afrikas, 1 von 20.000 in Europa und Nordamerika, Schätzungen der UN), kennt nicht jede:r jemanden mit Albinismus. Daher informieren Medien wie Filme und Serien „unkundige“ Menschen darüber, wie Menschen mit Albinismus sind. Wie werden wir also dargestellt?

Bisher habe ich nur acht oder neun Auftritte von Menschen mit Albinismus in Filmen und Serien gefunden. Dabei wurden nur zwei der Charaktere auch von Schauspieler:innen mit Albinismus gespielt. Sie alle passen in eine der beiden folgenden Kategorien.Erstens: Der psychopathische Killer. Darunter fallen Tobias aus Black Lightning. Silas aus Sakrileg und der kreativ benannte „Albino“ aus Die Brautprinzessin. Sie sind alle Außenseiter, die nichts lieber zu tun scheinen, als andere zu foltern, zu töten und sich für ihre vermutlich schreckliche, einsame Vergangenheit zu rächen. Zweitens: Der mitleiderregende und unterschätzte Freak. Dazu zähle ich Jeremy aus Powder, Caspar „Milchi“ aus Ich, beide & sie und Howie Goodman aus Die Bankdrücker. Sie sind einsam und traurig und niemand will etwas mit ihnen zu tun haben, bis ein guter, „normaler“ Charakter auftritt und ihr Potential erkennt.

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Ich vermute, anderen Menschen mit Behinderungen geht es ähnlich wie mir, auch wenn ich nicht alle Stereotypen, die benutzt werden, kenne. Viele Filmproduzent:innen machen ein Häkchen bei „Inklusion“ und klopfen sich auf die Schulter, wenn ein:e Rollstuhlfahrer:in in ihrem Film einen Satz gesagt hat. Wenn es sich um eine größere Rolle handelt, dann ist die Behinderung meist der Aufhänger für eine tragische Geschichte, die erzählt werden soll. Am Ende bestätigt sie allen nichtbehinderten Menschen ihre Vermutung, dass ein Leben mit Behinderung schrecklich eingeschränkt und deprimierend sein muss und nur durch selbstlose Menschen ohne Behinderung erträglich wird.

Ich wünsche mir eine andere Mentalität. Besetzung von Charakteren, bei denen eine Behinderung ein optionaler Zusatz ist, statt der Aufhänger für eine Rolle. Gerade weil sich die Produzent:innen der Chilling Adventures of Sabrina sonst so viele Gedanken um Feminismus und Repräsentation gemacht zu haben scheinen, hätte ich erwartet, dass sie genauer unter die Lupe nehmen, was sie ihre Charaktere sagen lassen und was sie damit vermitteln.

 

© Laetitia Scholtka

Laetitia Scholtka studierte Psychologie und Philosophie und arbeitet freiberuflich als Übersetzerin und Spielentwicklerin in Berlin. Wenn sie nicht am PC sitzt, ist sie auf Rollschuhen oder an Kletterfelsen unterwegs. Außerdem diskutiert sie leidenschaftlich gern über politische Themen und findet, dass sich der Stoff von Filmen und Serien hervorragend dazu eignet. Ihr findet Laetitia auch bei Instagram.