Blogger für Flüchtlinge – Die Macht des Kinos

Die Initiative Blogger für Flüchtlinge ist definitiv ein triftiger Grund, einmal die Bühne der feministischen Filmkritik zu verlassen und ein anderes gesellschaftliches Thema in den Blick zu nehmen. Und jetzt bitte keine Beschwerden, dass mensch ja nicht überall über Flüchtlinge reden müsse oder dass ein Filmblog nun wirklich die falsche Plattform für dieses Thema sei. Das stimmt absolut nicht (ganz abgesehen davon, dass mensch über dieses Thema zur Zeit gar nicht genug reden kann).

Als jemand, der überdurchschnittlich viele Filme aus der ganzen Welt ansieht, fällt es mir wahrlich schwer zu verstehen, was gerade in Deutschland passiert, wie Menschen in Not mit Hass und Gewalt begegnet wird. Es ist natürlich ein Privileg, dass ich durch meine Arbeit die Gelegenheit habe, immer wieder über den Tellerrand hinaus in andere Lebenswirklichkeiten zu blicken und somit zumindest einen Eindruck davon zu gewinnen, was Menschen dazu treiben könnte, ihre Heimat zu verlassen, um eine entbehrungsreiche und lebensgefährliche Reise in ein vollkommen fremdes Land anzutreten.

© IFFF 2015

Red Rose © IFFF 2015

Aber es ist ja nicht so, dass dieses Fenster zur Welt nur Filmkritiker_innen vorbehalten wäre. Das Problem ist viel mehr, dass das Eskapismuskino so viel vergnüglicher ist als die Arthaus-Variante. Ist doch auch viel schöner, sich mit dem neuesten Marvel-Streich vom Alltag abzulenken, als sich mit Filmen wie Red Rose, Something Necessary oder The Trace of the Butterfly mit Konflikten zu beschäftigen, die mit uns vermeintlich nichts zu tun haben. Weshalb jene Filme eben auch nicht im Kino laufen. Und jetzt kommt mir bitte keine_r mit: „Na, wenn die laufen würden, würde ich auch reingehen!“ Wer von euch hat denn Taxi Teheran, Wajda oder Das Mädchen Hirut gesehen? Und wer hat Fifty Shades of Grey, Jurassic World oder Antman geschaut?

Genau!

Es ist die Ironie des Lebens, dass Dietrich Brüggemans bösartig-bissige Neonazi-Satire Heil ausgerechnet diesen Sommer in die Kinos kam. Aber auch wenn es eben nicht um weit entfernte Problemfelder, sondern um den Mist vor der eigenen Tür geht, ist der Unterhaltungsfaktor scheinbar einfach zu gering. Die Besucherzahlen von Heil reichen nicht mal im Ansatz an volksverblödende Schweiger-Schweighöfer-Produktionen heran. Auch Mo Asumangs mutige Doku Die Arier ist damals vollkommen untergegangen.

© Alpha Medienkontor

Die Arier © Alpha Medienkontor

Filmegucken hat natürlich noch niemandem Asyl beschert, niemandem Essen oder Obdach gegeben, niemanden in den Arm genommen und getröstet. Aber das Kino und auch das Fernsehen üben immer noch einen erheblichen Einfluss auf unsere moralischen und politischen Überzeugungen aus. Deshalb ist es mir ja auch ein Anliegen, dass Filme nicht sexistisch oder misogyn sind, dass sie keine Botschaft der Diskriminierung oder Abwertung einzelner Menschengruppen transportieren. Und aus derselben Überzeugung heraus, dass Filme unser Denken und Handeln mehr beeinflussen als wir glauben, plädiere ich auch für einen bewussteren Konsum von Kino und TV und für einen bewussteren Einsatz dieser Medien in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Filme wie Wadjda oder auch Die Königin der Stille öffnen Kindern und Jugendlichen auf „unterhaltsame“ Weise (unterhaltsam in Bezug auf das Medium Film im Gegensatz zu „trockener“ Literatur) das Fenster zur Welt, sensibilisieren für fremde Lebenswelten und haben damit das Potential, Vorurteile schon im Keim zu ersticken. Damit diese Kinder die Welt einst anders und besser gestalten, Flüchtlinge willkommen heißen statt sie zu bedrohen, mit anpacken statt wegzusehen. Nicht zuletzt sind die Kinder von heute auch die Politiker_innen von morgen!

© IFFF 2015

Die Königin der Stille © IFFF 2015

Siehe da: Ein Filmblog ist also doch genau der richtige Ort für einen Beitrag zu Blogger für Flüchtlinge. Aber wie gesagt: Vom Filmegucken allein hat noch niemand eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf erhalten. Deshalb schaut bitte, bitte mal auf der Webseite von Blogger für Flüchtlinge vorbei. Dort findet ihr nämlich nicht nur weitere Artikel, sondern vor allem Informationen, wie ihr euch ganz praktisch einbringen könnt, um Flüchtlinge in Deutschland zu unterstützen.

Und wen ich jetzt davon überzeugt habe, den eigenen Filmkonsum zu überdenken oder vielleicht in seinem eigenen Umfeld mit Hilfe des Mediums Film Menschen das Fenster zur Welt zu öffnen, dem lege ich die folgenden Filme wärmstens ans Herz. Mit dem Buchstaben „J“ habe ich gekennzeichnet, welche der Filme meiner Meinung nach besonders für ein jugendliches Publikum geeignet sind. Zudem habe ich mit „*“ jene Filme gekennzeichnet, für die ich bei Interesse an einer öffentlichen Vorführung gerne den Kontakt zur Filmemacherin herstelle.

Für den Blick über den Tellerrand:

  • Be My Baby (J) – ein Blick auf die erste Liebe eines Mädchens mit Behinderung
  • Camp X-Ray – ein Blick in die Gefangenenlager auf Guantanamo
  • Das Mädchen Hirut – ein Blick auf die äthiopische Tradition der Mädchen-Entführung
  • Der Sommer mit Mama –  ein Blick auf Klassenunterschiede im heutigen Brasilien
  •  Die Königin der Stille (J) – ein Blick in das Leben eines taubstummen Roma-Mädchens
  • For Those Who Can Tell No Tales – ein Blick auf das Trauma des Balkan-Kriegs
  • Gabrielle – ein Blick auf die Liebesbeziehung zweier Menschen mit Behinderung
  • Get – Der Prozess der Viviane Amsalem – ein Blick auf das zeitgenössische (!) jüdische Scheidungs(un)recht
  • Inch’ Allah – ein Blick in den Israel-Palästina-Konflikt
  • Layla Fourie – ein Blick auf Rassen-/Klassenunterschiede in Südafrika
  • My Beautiful Country ein Blick auf den Kosovo-Krieg
  • Pelo Malo (J) – ein Blick in das Hochhaus-Ghetto von Caracas
  • Red Rose – ein Blick in den zeitgenössischen Iran
  • Something Necessary  – ein Blick auf die Ausschreitungen nach den Wahlen in Kenia 2007
  • Taxi Teheran – ein Blick in den zeitgenössischen Iran
  • The Trace of the Butterfly * – ein Blick auf den arabischen Frühling in Ägypten
  • Tomboy (J) – ein Blick in das Leben eines transsexuellen Kindes
  • Waiting Area * – ein Blick auf die Nöte schwangerer Frauen in Äthiopien
  • Das Mädchen Wadjda (J) – ein Blick in den Alltag eines Mädchens in Saudi Arabien
  • Wo die freien Frauen wohnen * – ein Blick auf ein alternatives matriarchales Gesellschaftskonzept

Für den (kritischen) Blick vor die eigene Haustür:

  • Das Golddorf – ein Blick in eine Flüchtlingsunterkunft im Chiemgau
  • Die Arier – ein Blick auf Rassismus heute (nicht nur in Deutschland)
  • Heil (J) – ein Blick auf den Alltagsrassismus in Deutschland
  • Die 727 Tage ohne Karamo – ein Blick auf die Einwanderungshürden in Österreich

Diese Auswahl ist freilich stark begrenzt. Gerne könnt ihr sie in den Kommentaren durch weitere Filme erweitern!

Sophie Charlotte Rieger
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