Blockbuster-Check: Independence Day: Wiederkehr

Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehme ich im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe. 

Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein!

Nur für den Fall, dass irgendjemand die 90er Jahre verschlafen hat, einmal kurz die Handlung von Independence Day, die im Grunde mit der Handlung von Independence Day: Wiederkehr identisch ist: Außerirdische greifen die Welt an. Ende der Synopse. Der Unterschied zum ersten Teil ist derselbe wie der zwischen Jurassic Park und Jurassic World. Die 90er Jahre Version war noch bescheidener und der Mensch konnte sich selbst retten. Im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends ist der Mensch gigantösen Feind_innen ausgesetzt und mehr als je zuvor auf übernatürliche Hilfe von außen angewiesen. Da ließe sich jetzt herrlich eine Magisterarbeit drüber schreiben, aber das habe ich ja schon getan. Deshalb fix zum Eigentlichen.

© 20th Century Fox

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Held_innen

20 Jahre sind innerhalb der Filmhandlung ins Land gegangen. Die Welt ist zusammenwachsen, es gibt keine Kriege mehr (aber Warlords – ich erspare mir an dieser Stelle philosophisches Geplänkel über logische Lücken), die Alientechnologie hat den Weg für rasante Entwicklungen in der Luft- und Raumfahrt geebnet. Aber der Fortschritt hat an einer entscheidenden Stelle halt gemacht: bei den Frauen*.

Es gibt in Independence Day: Wiederkehr keine richtige Heldin. Es gibt eine Präsidentin (Sela Ward), die weitgehend profillos bleibt, die im Gegensatz zu ihrem Vorgänger in der 90er Jahre Version keine Heldinnentaten vollbringen, sich nicht aufopfern darf, ja, die nicht einmal eine Familie hat. Wo einst der Präsident als liebevoller Vater inszeniert wurde, ist die Präsidentin eine sowohl dramaturgisch wie auch sozial isolierte Person.

Dann wäre da noch Patricia (Maika Monroe), die Tochter des ehemaligen Präsidenten, die zwar als Kampfpilotin in seine Fußstapfen getreten ist, sich dann aber doch für die Care-Arbeit entscheidet, um sich um einen Mann*, nämlich ihren Vater zu kümmern. So ist Patricia also bei Handlungsbeginn vermutlich die Redenschreiberin der Präsidentin, vermutlich deshalb, weil ihre berufliche Situation eine so untergeordnete Rolle spielt, dass sie nicht etabliert wird. Das, wie ich es fortan nennen werde, „Ant-Man-Phänomen“ verhindert geschickt ihre Aufopferung, denn es gehört zu den unausgesprochenen Regeln des Blockbuster-Kinos, dass Frauen* nicht für das Wohl der Menschheit sterben dürfen. Das dürfen nur Männer*. Getarnt wird diese patriarchale Bevormundung durch gut gemeinten Schutz (siehe Ant-Man), der die Frau* aber eben als schutzbedürftig und somit schwächer definiert. Als Patricia endlich doch in ein Flugzeug steigt, muss sie von einem Mann gerettet werden. Von ihrem Verlobten natürlich. Denn wie ließe sich die Geschichte einer angeblichen Heldin anders erzählen als mit einer Love Story.

© 20th Century Fox

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Dann gibt es noch die Psychologin Catherine (Charlotte Gainsbourg), die zwar ab und an ein paar kluge Sätze fallen lässt, jedoch an keiner Stelle heroisch daher kommt und überhaupt zur Rettung der Menschheit nichts Entscheidendes beizutragen weiß. Noch fataler scheitert die Figur Rain Lao (Angelababy), eine chinesische Kampfpilotin, die als Eye Candy und Objekt der Begierde eingeführt wird und im Finale, obwohl sie im selben Flieger wie die männlichen Kollegen sitzt, keine Kameraeinstellung erhält. Im Endkampf arbeitet Regisseur Roland Emmerich mit dem klassischen Blick ins Cockpit der Helden. Es handelt sich hier um zwei Raumschiffe, eines mit Jake (Liam Hemsworth) und Dylan (Jessie T. Usher), eines mit Floyd (Nicolas Wright) und Rain besetzt. Nun wechselt die Kamera zwischen dem garstigen Alien, Gefechtsszenen und Nahaufnahmen der Menschen im Cockpit, zeigt verzerrte, angestrengte und darin besonders heroische Gesicht von Jake, Dylan und Floyd und lässt Rain dabei vollständig aus. Sähe eins nur diese Sequenz, entstünde der Eindruck, Rain säße gar nicht im Flugzeug!! Sie tritt erst wieder in Erscheinung als sie sich im Zuge des heterosexuellen Paarungszwangs des Blockbuster Happy Ends mit Floyd auf ein Date verabredet.

Die Helden hingegen sind nach Lehrbuch konstruiert: Tapfer, stark, aber mit Ecken und Kanten. Es sind die Männer*, die hier die Welt retten, die Entscheidungen treffen, wichtige Manöver ausführen, Strategien ausklügeln, sich opfern. Independence Day: Wiederkehr ist aus der Gender-Perspektive eine dystopische Zukunftsvision.

Gegenspieler_innen

Hier wird es spannend: Für die Außerirdischen muss in Independence Day: Wiederkehr die beliebte Naturmetapher der Bienen herhalten, also die Idee eines weitgehend willenlosen Schwarms und kollektiven Bewusstseins, die durch ein überlegenes Wesen zentral gesteuert werden. Die überdimensionale Alienkönigin erinnert dabei verdächtig an den weiblichen Supersaurier in Jurassic World und es wäre interessant, dieser Inszenierung überdimensionaler, bösartiger „Frauen*“ auf den Grund zu gehen. Unnötig zu sagen, dass die Alienkönigin keinen Charakter besitzt, sondern einfach nur eine böse Alienkönigin ist. In dieser Hinsicht ist Jurassic World übrigens deutlich fairer und auch komplexer, da sich dort die Saurierin in einem quasi-emanzipatorischen Akt aus einer qualvollen Gefangenschaft befreit.

© 20th Century Fox

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Geschlechterrollen allgemein

Independence Day: Wiederkehr ist ein Lehrbuchbeispiel für die Schwächen des Bechdel-Tests. Ganz zu Beginn gibt es einen kurzen Dialog zwischen Patricia und Präsidentin Landford über eine Rede, also nicht über einen Mann*. Damit besteht der Film in den ersten Minuten den Bechdel-Test, ist aber davon abgesehen im feministischen Sinne eine Totalkatastrophe. Eine weibliche* Präsidentin und ein paar Pseudo-Heldinnen erfüllen eine rein quantitative und immens oberflächliche Frauenquote, die keinerlei qualitatives Fundament besitzt. Auf dieselbe Weise wie ein man of color als „Quotenschwarzer“ eingesetzt wird, soll die Präsenz der weiblichen* Figuren vermutlich über den omnipräsenten Sexismus des Films hinwegtäuschen. Aber nicht mit mir!

Frauen* sind in allen Szenarien unterrepräsentiert. Obwohl die Geschichte ein Zukunftsszenario darstellt, ist das Militär noch immer mehrheitlich männlich besetzt. Es gibt keine Szene, in der rein zahlenmäßig ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis herrscht! Schlimmer noch: Zu Beginn des Films führen Jake und Floyd einen Dialog über die zahlenmäßige Unterrepräsentation von Frauen* auf ihrer Raumstation, die aber nur deshalb zu bemängeln ist, weil Floyds Paarungschancen dadurch minimiert werden. Die weiblichen* Besatzungsmitglieder dienen also ausschließlich der männlichen Befriedigung. Rain Lao wird bei ihrer Landung in der Station in feinster „male gaze“ Manier als Objekt der Begierde inszeniert, mit erotisch über die Schulter geschwungenem Haar. Noch bevor er auch nur ein Wort mit ihr gewechselt hat, ist es um Floyd geschehen, denn wer muss eine Frau* schon kennenlernen, um sich zu verlieben. Es kommt doch nur aufs sexy Äußere an!

Ein Wort noch zum heterosexuellen Paarungszwang: Ich glaube, es ist kein Zufall, dass das einzige Liebespaar, das durch die Geschichte voneinander getrennt wird, ein schwules Paar ist.

© 20th Century Fox

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Dresscode und Sexappeal

Frauen* sind in Independence Day: Wiederkehr überraschend pragmatisch und der Situation angemessen gekleidet. Bis auf den obig beschriebenen Auftritt Rains verzichtet auch die Kamera weitgehend auf eine erotische Inszenierung der weiblichen* Figuren. Das ist immerhin erfreulich. Sex- oder Nacktszenen gibt es keine.

Interessant ist die Entkörperlichung des außerirdischen Pendants zur Bösewichtin. Das „gute Alien“ ist eine rein virtuelle Existenz, deren Korpus (nicht Körper) vor allem ein Speichermedium darstellt. Damit erinnert sie stark an das Betriebssystem Samantha in Her. Während also die weibliche* Physis als Bedrohung erlebt und in ein überdimensionales Alien übersetzt wird, ist die körperlose Frau* eine Verbündete. In dieser Rollenverteilung zeigt sich eine tiefe Misogynie, die erst dann beruhigt ist, wenn der weibliche* Körper vollständig von der Bildfläche verschwunden und in reine Funktionalität überführt ist, in diesem Falle in einen Wissensspeicher.

© 20th Century Fox

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Dramaturgie

Da Independence Day: Wiederkehr keine weibliche* Heldin besitzt, ist die Perspektive der Geschichte vornehmlich eine männliche. Die Kinozuschauer_innen erleben die Ereignisse aus Sicht der Helden, woraus sich ein anhaltend männlicher Blick ergibt, der wie schon erwähnt insbesondere in Verbindung mit Rain ins Auge sticht. Es sind zudem Männer, die sich opfern, die Heldentaten vollbringen, Entscheidungen treffen und die Welt retten und es sind auch Männer, die Verteidigungs- und Angriffsstrategien entwickeln. Männer haben die alleinige dramaturgische Macht.

Es sind auch ausschließlich Männer, die durch Visionen einen direkten Draht zu den Außerirdischen besitzen. Freilich basiert diese Verbindung darauf, dass sie im letzten Film, also während des ersten Angriffs, mit den fiesen Aliens in Kontakt gekommen sind, doch zeigt sich daran die gefährliche Hartnäckigkeit des Patriarchats: Aus Privilegien erwachsen Privilegien, aus denen wieder Privilegien erwachsen… In einem potentiellen dritten Teil werden es wieder ausschließlich die Männer sein, die Visionen haben, weil sie wieder die einzigen waren, denen Feindkontakt vergönnt war. Und so geht es immer weiter.

Botschaft

Nur eine körperlose Frau* ist eine gute Frau*.

Gesamtwertung: 1

von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)

Kinostart: 14.7. 2016

Sophie Charlotte Rieger
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