Berlinale 2024: Afterwar – Kurzkritik

“Menschen im Frieden denken, der Krieg hört irgendwann auf”. Formal endete der Kosovokrieg im Juni 1999. Shpresim Azemi, Xhevahire Abdullahu, Gëzim Kelmendi, Besnik Hyseni sind zu diesem Zeitpunkt Kinder und weitestgehend auf sich gestellt. Ihren Kampf ums Überleben, zunächst gegen den Hunger, später für eine Zukunft, dokumentiert Birgitte Stærmose in Afterwar.

Bereits für den Kurzfilm Out of Love (2009) führte sie ausführliche Interviews mit den Kindern, die sich in den Straßen von Priština in den Nachkriegswirren durchschlagen müssen und verdichtete diese zu einer Erzählung geteilter Traumata und kollektiver Erfahrung. Afterwar erweitert den Kurzfilm um eine aktuelle Perspektive, die über einen Zeitraum von 15 Jahren zeigt, wie tiefgehend und weitreichend der Krieg das Leben der Protagonist*innen prägt. Dieser zweite Film, der auf der Berlinale 2024 seine Weltpremiere hatte, entstand in noch engerer Co-Creation mit den inzwischen Erwachsenen Shpresim Azemi, Xhevahire Abdullahu, Gëzim Kelmendi, Besnik Hyseni. Er ist unterteilt in drei Kapitel: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.___STEADY_PAYWALL___

© Troels N’Koya-Jensen

Das Skript entstand in einem kooperativen Prozess aus Interviews und Feedbacks des Casts. Gemeinsam mit ihrem Cast entwickelte Birgitte Stærmose so eine Darstellungsform, die tief in die Gefühlswelt ihrer Protagonist*innen blickt und dabei versucht, sie vor weiteren Verletzungen zu schützen. Die Monologe, die sie direkt ins Publikum sprechen, sind nicht in ihren eigenen Worten formuliert, doch sie spiegeln ihre Erfahrungen wider. Re-Enactments mit Schauspieler*innen erlauben ihnen, Szenen aus ihrem Innersten zu visualisieren, ohne zu viel von sich oder ihren Familien preisgeben zu müssen. Auf diese Weise ermöglicht die Fiktionalisierung vielleicht sogar eine größere Nähe und Authentizität, als es eine rein dokumentarische Form könnte.

© Troels N’Koya-Jensen

Mit einzelnen Aussagen verankert Birgitte Stærmose ihren Film immer wieder in der Realität und spricht dabei die Grenzen ihres Projektes an. Das erste Kapitel des Films beendet eines der Kinder: “Ich rede nur mit dir, weil ich Hunger habe. Ich bin so hungrig, dass ich dein Geld essen könnte”. Eine andere Protagonistin äußert im Kapitel Zukunft: “Das ist kein Film, es ist mein Leben. Dafür gibt es keine Worte”. Das wahre Ausmaß des Krieges lässt sich nicht auf eine Leinwand bringen und aus dem Komfort eines Kinosessels kaum begreifen. Die direkte Ansprache fordert das Publikum zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der Protagonist*innen heraus. Afterwar zieht aus den konkreten Einzelfällen der inzwischen jungen Erwachsenen, deren Leben für immer durch den Kosovokrieg geprägt ist, allgemeingültige Aussagen über Krieg.  Der Film erinnert auf einer größeren Ebene daran, dass Kriege – so fern sie uns räumlich oder zeitlich erscheinen – verheerende Folgen haben.

Vorstellungen bei der Berlinale 2024

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