Meine harte aber faire Kritik an Plasbergs „Gender-Diskussion“

Nachdem die Hart aber fair Sendung zu den Themen Frauenquote und Genderforschung bereits veritable Aggressionen bei mir ausgelöst hatte, war es wohl eine Mischung aus Neugierde und Alltagsmasochismus, mir gestern die Neuauflage der illustren Runde in der Mediathek anzusehen. Doch ich befand mich durchaus in der Illusion, die Neuauflage mit dem bereits sehr polemisch gewählten Titel Der Gender-Streit: Was darf zu Mann und Frau gesagt werden? wähle einen anderen Ansatz. Stadtessen verursachte die zweite Sendung nicht nur erneut viel Wut, sondern auch eine bedrückende Frustration, die mir auf ihrem Höhepunkt gar Tränen in die Augen trieb.

hart aber fair

© WDR/Oliver Ziebe

Ich bin aktive Feministin. Ich widme einen beträchtlichen Teil meiner Zeit dem Kampf um Geschlechtergerechtigkeit. Als Bühne habe ich das Medium Film gewählt, doch ist mein Kampf nicht weniger politisch als der von Beispielsweise Pinkstinks, die sich mit Werbung und gegenderten Produkten auseinandersetzen. Als ein Mensch, der sich mit dem Thema identifiziert, der dazu liest und arbeitet, sich täglich damit auseinandersetzt und Sexismus für ein unterschätztes Problem unserer Gesellschaft hält, sind Frank Plasberg und seine Pseudo-Talkrunde ein Schlag ins Gesicht.

Wie kann es sein, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen ein Thema von derartiger Relevanz so unausgewogen und lapidar präsentiert? Wie kann es sein, dass in einer Sendung, die sich angeblich inhaltlich mit Sexismus auseinandersetzt, Frauen offen angegriffen, unterbrochen und damit diskriminiert werden? Nicht nur ohne dass der Moderator einschreitet, sondern gar durch den Moderator selbst!

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Anne Wizorek © WDR/Oliver Ziebe

Die Redezeit von Anne Wizorek war verschwindend gering. Ein Großteil ihrer Sätze wurde unterbrochen, bevor sie ihre Ausführungen abrunden und damit eine überzeugende Aussage formulieren konnte. Während ihre Autorität insbesondere durch offene Anfeindungen Wolfgang Kubickis untergraben wurde, war die Präferenz des Moderators für den männlichen Feministen Anton Hofreiter mehr als offensichtlich. Dieser durfte ausreden. Es wurde ihm zugehört. Niemals wurden seine Äußerungen auf eine persönliche Ebene heruntergebrochen wie dies bei den Feministinnen der Runde der Fall war, denen unterstellt wurde, beleidigt zu sein, die eigene, private Person nicht vom objektiven Thema trennen zu können und nicht in der Lage zu sein, ihre Position angemessen zu vertreten. Wie mensch ausgerechnet Anne Wizorek vorhalten kann, die Position von Feminismus und Gender-Studies inadäquat zu repräsentieren, ist mir ein absolutes Rätsel, das nur mit der Ignoranz Plasbergs zu erklären ist, der vermutlich noch immer keinen einzigen Blick in ihr Buch geworfen hat.

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Sophie Tomalla © WDR/Oliver Ziebe

Statt Anne Wizorek aber die Chance zu geben, auf diesen Vorwurf zu reagieren und mit ihrem Fachwissen zu einem tatsächlichen Mehrwert der Diskussion beizutragen, erteilt Plasberg mehrfach Sophia Tomalla das Wort und ernennt sie zur „Vertreterin einer jungen Frauengeneration“. Ich für meinen Teil möchte zu dieser Frauengeneration nicht gehören und in meinem persönlichen wie auch beruflichen Umfeld ist mir auch keine Frau* bekannt, die sich mit Sophia Tomalla identifizieren wollen würde. Frau Tomalla ist weder die Vertreterin einer jungen Frauen*generation, noch eine Expertin der Gender-Thematik. Ja, sie kennt nicht einmal die grundlegenden Begriffe und Fragestellungen. Ihre Anwesenheit ist selbst Ausdruck von Sexismus, ist sie doch offensichtlich als reiner Augenschmaus für den männlichen* Zuschauer eingeladen worden. Inhaltlich nämlich kann sie zu dieser Diskussion jedenfalls nichts beitragen.

Darüber hinaus ist ihre Präsenz in der Runde ein Affront gegen alle, die sich ernsthaft mit der Gender-Thematik auseinandersetzen. Also eigentlich auch gegen Birgit Kelle, die aber jede Unterstützung ihrer zweifelhaften Position so dankbar hinnimmt, dass sie auf Inhalte offenbar keinen Wert legt.

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Birgit Kelle © WDR/Oliver Ziebe

Stellen wir uns doch mal eine Runde zu einem anderen gesellschaftlich relevanten Thema vor. Zum Beispiel… Flüchtlingspolitik. Stellen wir uns vor, Herr Plasberg würde zu diesem Thema eine Diskussionsrunde einberufen. Stellen wir uns weiterhin vor, einer der Teilnehmenden wäre ein geflüchteter Mensch, der sich auf Grund bestimmter Privilegien – wie familiärer Herkunft oder finanzieller Absicherung – nicht diskriminiert oder inhuman behandelt fühlt und darüber hinaus keinerlei Hintergrundwissen zum Thema Flüchtlingspolitik mitbringt. Dessen Anwesenheit also in sich als Argument gelten soll. So unter dem Motto: Wenn sich dieser geflüchtete Mensch nicht diskriminiert fühlt, dann wird sich wohl auch kein_e andere_r so fühlen.

Nehmen wir weiterhin an, es befände sich in dieser Runde wiederum kein geflüchteter Mensch, der von einer gegenteiligen Lebensrealität erzählt, und ebenso wenig ein_e Politikwissenschaftler_in, der_die sich kritisch mit dem Thema Flüchtlingspolitik auseinandergesetzt hat. Nehmen wir zudem folgende weitere Teilnehmer_innen an: Ein_e Sprecher_in einer humanitären Organisation, selbst mit Migrationshintergrund, der_dem unterstellt wird, durch die deutsche Flüchtlingspolitik persönlich beleidigt zu sein und Andersdenkende aus reinem Trotz zensieren zu wollen. Ein_e Blogger_in und Aktivist_in, die_der seit Jahren zum Thema Flüchtlingspolitik arbeitet, in dieser Diskussion aber kaum zu Wort kommt und der_dem überdies wiederholt die Kompetenz abgesprochen wird. Eine Person, die ein Buch darüber geschrieben hat, dass Flüchtlingspolitik ein unnötiges und abgedroschenes Thema sei. Und ein_e Jurist_in, der_die keinerlei Respekt vor Menschen mit Migrationshintergrund zeigt, Teilnehmende der Runde beleidigt und die Flüchtlingskrise per se abstreitet. Als einziger Lichtblick in dieser Runde bleibt der_die Politiker_in, der_die – vermutlich auf Grund des fehlenden Migrationshintergrunds – als einzige_r der Kritikübenden tatsächlich zu Wort kommt. Stellen wir uns weiterhin vor, die Rhetorik von Moderator und Sender bestünde in einem süffisanten Lächeln darüber, nun gezwungener Maßen die Möglichkeit einräumen zu müssen, dass die aktuelle deutsche Flüchtlingspolitik vielleicht doch nicht ganz ideal verlaufe.

Bildschirmfoto 2015-09-11 um 14.06.16Vielleicht wird an diesem Beispiel offenbar, was das eigentliche Problem der Gender- und Feminismus-Debatte ist. Die Kritiker_innen des Status Quo, jene also, die unsere Gesellschaft als sexistisch oder gar misogyn wahrnehmen, die einen Handlungsbedarf sehen, müssen immer wieder bei null anfangen. Immer wieder müssen wir erst einmal unsere Daseinsberechtigung belegen, für die Anerkennung des Problems an sich argumentieren. Wir kommen gar nicht dazu, tatsächlich über Wege zur Geschlechtergerechtigkeit zu diskutieren, weil wir immer nur damit beschäftigt sind zu beweisen, dass dieser Weg überhaupt gegangen werden muss. Weil wir immer nur damit beschäftigt sind, auf Anfeindungen zu reagieren, die vom eigentlichen Kernthema ablenken. Weil von uns immer 110% erwarten werden (bloß keine Fehler in der Formulierung, keine logischen Lücken, etc.), während die Gegenseite die größten Unsinnsargumente vorbringt.

So lässt sich keine zielführende Diskussion führen. Weder bei Hart aber fair, noch irgendwo sonst!

Sophie Charlotte Rieger
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