Maudie

Es wäre ein Fehler, Maudie von Aisling Walsh als Beispiel für ein Frauen*-Bio-Pic anzuführen. Denn der Film über die titelgebende Malerin Maud Lewis ist weniger an einer realitätsgetreuen Illustration ihres Schaffens als an der Inszenierung einer beispielhaften Lebensgeschichte gelegen. Ohnehin weicht der Titel des Films vom Namen der Hauptfigur auf – zumindest für mich – unverständliche Weise ab. Vielleicht liegt hierin ja bereits der Hinweis darauf, Maudie nicht als Film über eine ganz bestimmte, historische Frauen*figur, sondern als Fiktion zu lesen.

© Photo by Duncan Deyoung, Courtesy of Mongrel Media

Zu Beginn des Films ist Maud (Sally Hawkins) unfrei und die Gründe hierfür liegen alles andere als auf der Hand. Ihr Geisteszustand scheint im Rahmen des als normal Definierten zu rangieren und auch ihre leichten körperlichen Einschränkungen, Folgen einer Arthritiserkrankung, erklären nicht, weshalb die Familie ihr ein unabhängiges Leben verwehrt. Auch Maud erschließt sich die Notwendigkeit des häuslichen Gefängnisses nicht, weshalb sie als Haushälterin für den verschrobenen Everett (Ethan Hawke) zu arbeiten beginnt. Dieser lebt weitab des Dorfes in der wilden Natur des kanadischen Novia Scotias in einer kleinen Hütte, die er mit einer Mischung aus Sozialphobie und Macho-Gehabe wie ein Despot regiert. Aus Mangel an Alternativen erträgt Maud die Herrschsucht des ihr intellektuell maßgeblich unterlegenen Mannes und findet in der Malerei einen Weg, den multiplen Grenzen ihres Daseins zu entfliehen. Schließlich entwickelt sich aus der anfänglich gar gewalttätigen Arbeitsbeziehung Schritt für Schritt eine zärtliche, lebenslange Liebe.

Courtesy of the Art Gallery of Nova Scotia, all rights reserved.

Maudie ist die Geschichte einer doppelten Emanzipation. Gleich in den ersten Filmminuten entscheidet sich die weibliche Hauptfigur gegen ein fremdbestimmtes Leben. Die Freiheit, für die sie sich entscheidet, ist in den Augen vieler Kinozuschauer_innen vermutlich dennoch keine, begibt sie sich doch in eine Arbeits- und Liebesbeziehung, in der sie zunächst mit verbaler und körperlicher Gewalt in die Schranken gewiesen wird. Erst als sie durch ihr künstlerisches Talent nicht nur Ansehen erfährt, sondern auch über ein eigenes Einkommen verfügt, beginnen sich die Strukturen ihrer Beziehung zu verändern. Die Aufgaben im Haushalt werden neu verteilt und Everett beginnt, im Rahmen seiner stark begrenzten Möglichkeiten, Maud öffentlich den Rücken zu stärken, hinter ihr und ihrer Kunst zu stehen. Von der Haushälterin, die in Everetts persönlicher Haushaltshierarchie noch nach den Hühnern und Hunden steht, emanzipiert sich die Heldin zur ebenbürtigen Partnerin.

Dennoch ist Maud aus feministischer Sicht eine durchaus problematische Figur. Die Rollenverteilung der demütigen, körperlich und seelisch gebrochenen Frau* und des aggressiven, asozialen Mannes* fügt sich passgenau in die gängigen Klischees der Kino- und Fernsehwelt ein. Ein wenig erinnert Maudie an das Märchen Die Schöne und das Biest: Die kluge und empathische Heldin erträgt demütig die Wutausbrüche ihres „Kerkermeisters“, wohl wissend, dass unter seiner harten Schale ein weicher, liebenswerter Kern schlummert, der durch ihre grenzenlose Güte nur hinausgekitzelt werden muss. Die Botschaft der Demut gegenüber offensichtlicher Ungerechtigkeit und gar Gewalt ist dabei höchst fragwürdig.

© Photo by Duncan Deyoung, Courtesy of Mongrel Media

Andererseits bleibt Maud Herrin über ihr Leben und gestaltet ihre Lebenssituation aktiv mit eigenen Entscheidungen. Das kleine, ärmliche Haus fernab der Dorfgemeinschaft ist keine Notlösung, sondern genau der Ort, an dem sie sein möchte. Auch in ihren Bildern schweift sie nicht in die Ferne, sondern bleibt bei dem, was sie umgibt: Alltagsszenen, Menschen, Tiere, Jahreszeiten. Die Schönheit liegt in der Einfachheit – nicht nur in Mauds Kunst, sondern auch in ihrem Leben.

Diese Perspektive der Hauptfigur, „das ganze Leben in einem Rahmen“, spiegelt sich auch in der Inszenierung der Regisseurin Aisling Walsh wieder. Der Blick durch Fenster und die damit einhergehende Rahmung der Welt zieht sich motivisch durch den gesamten Film. Die Enge ist hier keine Begrenzung, sondern Geborgenheit. Das kleine Haus, in dem sich ein Großteil der Handlung abspielt, erscheint niemals als Gefängnis und gewinnt durch Mauds Illustrationen an Wänden, Möbeln und Fenstern nahezu an Größe.

Aber steckt sich Maud den Rahmen ihres Lebens wirklich selbst? Aisling Walshs Inszenierung ist leider zur rührselig, zu sehr auf die Fragilität der Heldin konzentriert, um ihr wahre emanzipatorische Kraft zu verleihen. Mauds Entscheidungen haftet stets der Mangel an Alternativen an, die Demut bleibt ihr hervorstechendes Merkmal. Und da der Film, weder zu Beginn noch im Abspann, Informationen zur realen Maud Lewis preisgibt, tritt auch ihre Identität als Künstlerin stark in den Hintergrund.

© Photo by Duncan Deyoung, Courtesy of Mongrel Media

Die Besetzung von Ethan Hawke als Everett entpuppt sich bedauerlicher Weise als weitere Achillesferse des Konzepts. Ohnehin eher ein Typ- denn ein Charakterdarsteller bleibt Hawke immer ein Schauspieler, der einen geistig behinderten Menschen verkörpert – mit dem immer gleichen debilen Gesichtsausdruck. Hauptdarstellerin Sally Hawkins macht ihre Sache zwar deutlich besser, der Forderung ihrer Rolle nach körperlichem Schauspiel weiß sie nachzukommen, doch agiert sie hier auch zweifellos auf bekanntem Boden und darf – im Gegensatz zu Ethan Hawke – innerhalb ihres etablierten Leinwandtyps spielen, nämlich eine auf zerbrechliche Weise unkonventionelle Frau*.

Für ein paar Rührungstränen reicht das aus, doch insgesamt kann Maudie leider weder als Film noch als emanzipatorisch wertvolles Frauen*portrait gänzlich überzeugen. Da hilft auch das wunderschöne Setting des rauen Nova Scotias im Kontrast zu Mauds farbenprächtigen Bildern wenig. Immerhin: Schön anzusehen ist Maudie in jedem Fall.

Kinostart: 26. Oktober 2017

Sophie Charlotte Rieger
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