LA BOUM – DIE FETE REVISITED

Als am 17. Dezember 1980 der Film La Boum erstmals über Frankreichs Leinwände flimmerte, war noch nicht abzusehen, dass er sich zu einem Kultfilm entwickeln würde, der Menschen aus verschiedenen Ländern und Altersgruppen noch Jahrzehnte später begleiten würde. Ganze Generationen von Französisch-Schüler:innen sahen den Film im Unterricht, schwärmten für die junge Sophie Marceau alias Vic und staunten über die Rollschuhdisco, in der sich die Pariser Jugendlichen treffen, oder über Vics coole Uroma Poupette. Die Klänge des Titelsongs „Reality“ von Richard Sanderson, komponiert von Vladimir Cosma, katapultieren viele bis heute sofort zurück in die 80er-Jahre – zu Vic und Mathieu und ihrem Engtanz in La Boum – Die Fete. Der Erfolg des Films überrascht nicht, behandelt er doch so universelle Themen wie die erste Liebe, die ersten Partys, Probleme mit den Eltern – und den ersten Liebeskummer. Der charismatischen, talentierten Hauptdarstellerin Sophie Marceau, die während der Dreharbeiten im Sommer 1980 13 Jahre alt war, bescherte die Rolle der Vic nicht nur ihren ersten Filmauftritt, sondern direkt den großen Durchbruch. Marceau, die eigentlich Sophie Maupu heißt, hatte sich auf der Suche nach einem Ferienjob auch in einer Agentur für Kindermodels angemeldet – und erhielt eines Tages eine Einladung zum Casting und schließlich die Rolle der Vic.

© Studiocanal

Zu Beginn des Films erlebt die 13-jährige Vic Beretton (Sophie Marceau), die gerade mit ihren Eltern aus Versailles nach Paris gezogen ist, den ersten Schultag nach den Ferien am Lycée Henri IV, einer der berühmtesten und angesehensten weiterführenden Schulen Frankreichs. Dort freundet sie sich schnell mit der forschen Pénélope (Sheila O’Connor) und deren aufgeweckter jüngerer Schwester Samantha (Alexandra Gonin) an. Vics Vater François (Claude Brasseur, Die Außenseiterbande, 1964) ist Zahnarzt, ihre Mutter Françoise (Brigitte Fossey) arbeitet als Cartoonzeichnerin. Doch Vics wichtigste Bezugsperson ist ihre lebenslustige und schlagfertige Urgroßmutter Poupette (Denise Grey), der sie alles anvertrauen kann und die ihr stets mit – teils gewagten – Ratschlägen zur Seite steht. Als ihr Mitschüler Raoul eines Tages Vic und Pénélope zu seiner Fete, der ersten titelgebenden Boum, einlädt, muss Vic lange mit ihren Eltern diskutieren, um zur Party gehen zu dürfen, denn ihre Eltern haben ihre eigenen Probleme: Vanessa, die ehemalige Geliebte von François, taucht in dessen Zahnklinik auf und verlangt eine Abschiedsnacht von ihm – ansonsten will sie seiner Frau alles erzählen. François verstrickt sich daraufhin in immer mehr Lügen, täuscht einen Autounfall vor und lässt sich von einem Freund und Kollegen zur Tarnung ein Gipsbein verpassen. Als Pénélope noch dazu Vics Schwarm Mathieu mit einem anderen Mädchen flirten sieht und Vic davon erzählt, ist das Familienchaos bei den Berettons perfekt.

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Drei starke Frauenrollen

La Boum – Die Fete entstand unter der Regie des 1925 geborenen Claude Pinoteau, der gemeinsam mit Danièle Thompson auch das Drehbuch verfasste. Für den Schnitt zeichnete Marie-Josèphe Yoyotte, Jahrgang 1929, verantwortlich, die über 50 Jahre lang als Filmeditorin tätig war und für ihre Arbeit an anderen Filmen insgesamt drei Césars gewann. Die Idee zum Film La Boum – Die Fete stammt von Co-Drehbuchautorin Danièle Thompson, geboren 1942, die sich von ihrer Tochter, damals Teenagerin, zur Rolle der Vic und von ihrer Großmutter zur Figur der Poupette inspirieren ließ. Aus feministischer Sicht bemerkenswert sind alle drei starken Frauenrollen, die den Film tragen: die Hauptfigur Vic, ihre Mutter Françoise und die Urgroßmutter Poupette. Der bekannte Bechdel-Test beinhaltet die Fragen, ob es in einem Film mehr als zwei Frauenrollen gibt, ob diese miteinander sprechen und ob sie sich über etwas anderes unterhalten als über einen Mann. Die ersten beiden Testfragen besteht La Boum – Die Fete problemlos, doch über den letzten Punkt lässt sich streiten. Denn das bei Weitem häufigste Gesprächsthema der weiblichen Charaktere in La Boum – Die Fete sind Männer bzw. Jungs. Sowohl Vic als auch ihre Mutter und ihre Urgroßmutter stecken – ebenso wie die beteiligten Männer – in turbulent-chaotischen Liebesbeziehungen, über die sie sich immer wieder austauschen. Trotzdem sind alle drei Frauen keine passiven Figuren, die sich ihren jeweiligen Männern unterwerfen. Im Gegenteil: Allen drei weiblichen Charakteren ist ihre Unabhängigkeit wichtig. Selbstbewusst treffen sie ihre eigenen Entscheidungen und treiben damit die Filmhandlung voran. 

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Dabei repräsentieren die drei Frauen gleichzeitig drei Frauengenerationen, die auf jeweils eigene Art versuchen, ihre Unabhängigkeit zu leben. Poupette, gespielt von der 1896 geborenen Denise Grey, tritt auch als über 80-jährige Urgroßmutter noch als Harfenistin auf, ist eine rasante Autofahrerin – und hat seit 42 Jahren einen Liebhaber, dessen Frau nichts von ihr weiß. In einem Pariser Café erzählt sie Vic, sie habe dort bereits 1925 mit Paul Poiret gesessen, dem französischen Couturier und Parfümeur – und dem Befreier der Frau vom Korsett. Sie selbst habe allerdings ohnehin nie ein Korsett getragen. Für ihre Urenkelin hat Poupette immer Zeit, spricht mit ihr sehr offen über Themen wie Liebe und Sexualität und gibt ihr Tipps wie: „Man soll sich hingeben, ohne sich was zu vergeben. So bleibt man unabhängig.“ Dass die Freundin ihres Sohnes Poupette wie eine alte Frau behandelt, passt der resoluten alten Dame gar nicht. Poupette lebt nach dem Motto: „Ich stehe mit einem Bein im Grab, aber mit dem anderen laufe ich noch ganz gut.“

Vics Mutter Françoise (Brigitte Fossey), eine Mittdreißigerin, versucht, als Comiczeichnerin Aufträge zu bekommen, was ihr im Laufe des Films auch gelingt. Sie ist auch, aber nicht nur die betrogene Ehefrau, die sich an der Geliebten ihres Mannes rächt, indem sie deren Parfümerie zerstört. Françoise wirft nicht nur ihren untreuen Ehemann aus der Wohnung, sondern fängt selbst ein Verhältnis an – mit dem Lehrer ihrer Tochter. Auch Vic selbst ist eine selbstsichere junge Frau, die genau weiß, was sie will. So fährt sie etwa gemeinsam mit Poupette und ohne das Einverständnis ihrer Eltern ihrem Schwarm Mathieu in die Normandie hinterher, wo er seine Ferien verbringt. Sie träumt davon, dort mit Mathieu ihr erstes Mal zu erleben. Auf die erstaunte Reaktion ihrer Urgroßmutter erwidert Vic unbeeindruckt, es gebe ja die Pille. Doch Vic lässt sich nichts gefallen. Als Mathieu sie allein in einer Strandhütte zurücklassen will, weil er am nächsten Morgen arbeiten muss, wehrt sie sich und sagt ihm ihre Meinung. Und schließlich ist es Vic, die am Ende des Films einem anderen Jungen tief in die Augen schaut, während sie noch mit ihrem Mathieu tanzt.

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Zeitlos und emanzipatorisch wertvoll

La Boum – Die Fete, den Film, der Sophie Marceau über Nacht berühmt machte, sahen allein in Frankreich 4,3 Millionen Menschen, in ganz Europa waren es 15 Millionen. Auch die 1982 erschienene Fortsetzung La Boum 2 – Die Fete geht weiter war erfolgreich, wenn auch etwas weniger als ihr Vorgänger. Um in einem geplanten dritten Teil nicht noch einmal Vic spielen zu müssen, zahlte Sophie Marceau eine Million Francs an Gaumont. Heute ist Sophie Marceau nicht nur weiterhin als Schauspielerin (Alles ist gut gegangen, 2021), sondern auch als Regisseurin und Drehbuchautorin (Mrs. Mills von nebenan, 2018) tätig. Doch viele verbinden sie nach wie vor mit dem romantisch-humorvollen Jugend- und Familienfilm La Boum – Die Fete – und nostalgischen Erinnerungen an die 80er-Jahre. Die drei starken Frauencharaktere aus drei Generationen machen La Boum – Die Fete – trotz der vielen Gespräche über Jungs und Männer – zu einem zumindest teilweise emanzipatorisch wertvollen Film. Die feinfühlig erzählte, mitreißende und zeitlose Geschichte einer Teenagerin und ihrer ersten Liebe schafft es auch mehr als 40 Jahre nach ihrer Premiere, das Publikum zu verzaubern und für einen Moment in die eigene Jugend zurückzuversetzen. 

Kinostart: 7. Juni 2022

Stefanie Borowsky
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