DVD: Camp X-Ray – Eine verbotene Liebe

© Koch Media

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Ich sag’s mal direkt und gerade heraus: Bei dem Filmtitel Camp X-Ray – Eine verbotene Liebe könnte ich kotzen. Und noch umso mehr, nachdem ich den Film gesehen habe. Denn was passiert im Kopf potentieller Zuschauer_innen beim Blick auf DVD-Cover und Filmtitel? Die wohl häufigste Assoziation dürfte folgende sein: Kristen Stewart, trotz Militär-Cap unschwer als Hauptdarstellerin zu erkennen, spielt eine sensible Soldatin, die sich in den Feind verliebt. Genre: Love Story. Will ich mir das als emanzipierte Frau angucken? Wohl eher nicht.

Schade, denn mit diesem vorschnellen Urteil verpasse ich einen ziemlich guten Film, dem ich – wenn denn ein deutscher Untertitel unbedingt sein muss – den Beinamen „Eine verbotene Freundschaft“ verleihen würde. Hauptfigur Amy Cole (Stewart), Wärterin in Guantanamo, entwickelt über ihre einjährige Dienstzeit hinweg nämlich ein durchaus ein zärtliches, aber nicht unbedingt romantisch-amouröses Verhältnis zu dem Insassen Ali (Payman Moaadi).

Klingt immer noch nach Klischee? Ja, das ging auch mir während der Filmsichtung immer wieder durch den Kopf. So unter dem Motto: Natürlich ist es die junge Soldatin, die als einziges Mitglied des Wachpersonals die Unmenschlichkeit im Umgang mit den Häftlingen bemerkt und kritisiert. Aber ganz so einfach macht es sich Regisseur und Drehbuchautor Peter Sattler dann doch nicht.

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Amy Cole ist keine übertrieben taffe Soldatin, sondern eine junge Frau, die in der Army einen Weg sieht, ihre dörfliche Heimat in Florida zu verlassen, die Welt zu entdecken und dabei etwas Sinnvolles oder gar Wertvolles zu tun. Sie ist engagiert aber nicht autoritätshörig. Sie versteht und befolgt die Befehlskette, ohne sich das eigene Denken verbieten zu lassen und ist somit keine Marionette, sondern ein ganzer Mensch. In der Zeichnung dieses Charakters vermeidet es Sattler gekonnt, Amys Weiblichkeit überzubetonen. Es dauert stolze 11 Minuten bis sie das erste Mal von einem Kollegen angebaggert wird, zuvor unterscheidet sie sich weder für die Zuschauer_innen noch für die Leinwandfiguren von den männlichen Kollegen. Der Flirt des Vorgesetzten bleibt jedoch nicht kritiklos, sondern entwickelt sich zu einer der größten Hürden, die Amy im Laufe ihrer Amtszeit zu bewältigen hat. Nicht weil das ein Klischee, sondern weil das die Realität ist.

Camp X-Ray machte mir bewusst, dass die Grenze zwischen einem vermeintlichen Klischee und der Realität manchmal sehr schmal ist. Denn natürlich hat Amy in ihrem beruflichen Umfeld auch mit sexistischen Anfeindungen zu kämpfen und es ist nur logisch, dass eben jene Ungleichbehandlung dazu führt, dass sie für die Situation der Häftlinge eine größere Sensibilität entwickelt als die männlichen Kollegen. Wir können ihre Freundschaft zu Ali als weibliches Klischee abtun oder in Erwägung ziehen, dass Frauen auf Grund ihrer gesellschaftlichen Position einen besseren Zugang zu den Benachteiligten und Unterdrückten besitzen.

Dies gilt für Camp X-Ray umso mehr, da Peter Sattler seiner Figur durch ihr Einfühlungsvermögen niemals Stärke raubt. Amys Gerechtigkeitsbewusstsein bringt sie in schwierige Situation, ohne dass sie jemals in der Opferrolle verbleibt. Sie weiß, wann es sich zu kämpfen lohnt und wann sie sich den (patriarchalen) Strukturen beugen muss, um zu „überleben“. Auch in ihrer Beziehung zu Ali behält sie sich eine immens beeindruckende emotionale Stärke, die sie bis zur letzten Minute zu einer Identifikations- und Vorbildfigur macht.

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Und so ist es letztlich tatsächlich egal, ob Amy Cole eine Frau ist. Viel wichtiger als ihr Geschlecht ist ihre Menschlichkeit, die sie sich in einem Umfeld menschenverachtender Umgangsformen allen Widerständen zum Trotz bewahrt. Peter Sattler gelingt es also, seine Hauptfigur als ganzen Menschen statt als feminines Klischee zu inszenieren, ohne spezifisch weibliche Probleme auszuklammern. Und es ist eben jene gelungene Gratwanderung zwischen Klischee und Realität, die Camp X-Ray schließlich seine Kraft verleiht.

Als emanzipatorisch wertvoll würde ich Sattlers Film dennoch nicht bezeichnen, aber dies ist mit Sicherheit auch der falsche Anspruch. In Camp X-Ray geht es nicht um die Entwicklung einer Frau, um ihre Selbstbehauptung in einer Männergesellschaft. Sondern es geht um die Aufrechterhaltung der eigenen Menschlichkeit. Insofern ist Camp X-Ray vielleicht nicht emanzipatorisch, aber doch sicherlich humanistisch wertvoll.

DVD-Start: 23. April 2015

 

Sophie Charlotte Rieger
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