Drei Gedanken zu: MARIA MAGDALENA
Filmische Biographien von Frauen* sind noch immer eine Seltenheit, insbesondere wenn es um religiöse Figuren geht. Umso mehr freue ich mich nun, dass mit dem Bio-Pic zu Maria Magdalena eine biblische Frauen*figur ihren eigenen hochkarätig besetzten Kinofilm erhält. Joaquin Phoenix (wer sonst?) spielt Jesus, Chiwetel Ejiofor Petrus, Tahar Rahim Judas und Rooney Mara übernimmt die Rolle von Maria Magdalena. Aber was taugt der Film von Garth Davis? Dazu habe ich mir mal wieder „Drei Gedanken“ gemacht.
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Geschichten von Frauen* gibt es nur in Geschichten von Männern*
Maria Magdalenas Geschichte beginnt in diesem Film nicht mit ihrer Geburt, ihrer Kindheit, ihrem Heranwachsen, sondern kurz vor ihrer Begegnung mit Jesus. Und sie endet nicht mit ihrem Tod, nicht mit ihrer Laufbahn als Verkünderin des Wort Gottes, sondern mit Jesu Kreuzigung. Die dramaturgische Macht, also der narrative Rahmen, liegt in männlicher* Hand. Marias Geschichte ist für den Film nur dann relevant, wenn sie in direktem Zusammenhang mit Jesus selbst steht. Damit bleibt die Heldin trotz ihrer Emanzipationsgeschichte (siehe 2.) durch die männliche* Hauptfigur definiert – die „Gefährtin von“. Dass sie nicht alleine stehen kann und auf dramaturgischer Ebene abhängig bleibt, unterminiert ihre Selbstermächtigung beträchtlich und zeigt eindrucksvoll, wie schwer es uns auch im Jahr 2018 noch fällt, Geschichten über Frauen* unabhängig von ihren männlichen* Begleitern zu erzählen. Was in vielen anderen weiblich* zentrierten Bio-Pics Liebhaber oder Ehemänner* sind, ist hier der Prediger und Prophet Jesus, der dem Filmtitel zum Trotz, der eigentliche Held der Geschichte bleibt.
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Maria Magdalena war die erste Feministin n.Chr.
Auf inhaltlicher Ebene jedoch erzählt Maria Magdalena die Geschichte einer Frau*, die sich aus der ihr zugedachten gesellschaftlichen Rolle befreit und mutig einen unabhängigen Weg beschreitet. Als sie sich gegen eine Zwangsehe mit Epharim (Tsahi Halevi) ausspricht und dann auch noch die Dreistigkeit besitzt, ohne männliche* Begleitung alleine zum Beten in den Tempel zu gehen, glaubt ihre Familie sie vom Teufel besessen und führt im Meer einen Exorzismus durch. Gewaltsam taucht ihr Bruder sie immer wieder unter Wasser, um die Dämonen zu vertreiben. Als auch das nichts hilft (warum sollte es auch?) schickt die Familie nach dem Heiler, der sich gerade in Magdala aufhält: Jesus. Dieser erkennt sofort, dass die junge Frau* nicht vom Teufel besessen, sondern im Gegenteil von Gott beseelt ist und einen legitimen Kampf um ihre Freiheit bestreitet. Maria wiederum fühlt sich erstmalig als Mensch vollkommen angenommen und verlässt ihre Familie, um sich Jesus und seinen Jüngern anzuschließen. Ihre Taufe durch Jesus im Meer als Gegenstück zum vorherigen Exorzismus ist ein Akt der Befreiung.
Aber auch die Jünger sind mitnichten begeistert von der Frau* in ihrer Mitte. Maria muss sich vielfach bewähren, um ihren Platz in der Gruppe zu verteidigen, und wird doch immer wieder angezweifelt. Dabei ist der Jesus dieser Verfilmung unverkennbar ein Feminist: „Euer Geist gehört Euch“ predigt er einer Gruppe von Frauen* und fordert sie damit auf, ihm nachzufolgen. Schwierig gestaltet sich hier allerdings die Notwendigkeit der Vergebung, die auch für Akte sexualisierter Gewalt abverlangt wird. An dieser Stelle bewegt sich Maria Magdalena auf sehr dünnem Eis.
Der Ehe zu entfliehen und ihr Leben Gott zu widmen, ist für Maria ein emanzipatorischer Akt: Indem sie sich einer Heirat verweigert, bleibt sie im Besitz ihres Körpers und Lebens. Die Filmhandlung charakterisiert sie stets als entschiedene Figur, die ihrer eigenen Moral treu bleibt und diese auch gegen Widerstände durchzusetzen weiß. Sie imponiert zudem durch ihre Nächstenliebe und Gnade, wenn sie – wie Jesus selbst – immer wieder die Nähe zu den Leidenden sucht, um ihnen in den düstersten Stunden beizustehen. Es sind diese Szenen, in denen Maria Magdalena gar die Aura einer übermenschlichen Heiligen erhält.
Jesu Vertrauen in Maria und seine Akzeptanz der Apostelin als gleichberechtigte Predigerin steht freilich dem Verständnis von Geschlechterrollen in der katholischen Kirche und auch einigen evangelischen Denominationen entgegen, die heute noch keine Priesterinnen zulassen. Die Maria Magdalena des Films aber kann nicht nur selbst andere Frauen* (wenn auch keine Männer*) taufen, sondern steht als engste Vertraute sogar näher bei Jesus als Simon Petrus. Sie gibt ihm ebenso viel Kraft wie er ihr. Auch wenn die dramaturgische Macht in diesem Film bei ihm liegt, herrscht zwischen den beiden eine ungewöhnliche und berührende Augenhöhe.
Erst 2016 übrigens wurde Maria Magdalena durch Papst Franziskus den Aposteln gleichgestellt und noch immer glauben viele, Maria Magdalena sei eine „Sünderin“, eine Hure gewesen. Diese Zuordnung jedoch geht auf eine Predigt von Papst Gregor I. aus dem Jahr 591 zurück. Viel wahrscheinlicher aber ist, dass Marias einzige Sünde darin bestand, gegen die ihr zugedachte Geschlechterrolle zu rebellieren, was sie quasi zur ersten Feministin in der Zeitrechnung n.Chr. macht – eine Geschichte, die mit Maria Magdalena endlich auf diese Weise und auf großer Leinwand erzählt wird.
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Der weibliche* Post- und der männliche* Prämillenarismus
Hier wird es jetzt kompliziert, denn ich greife nun auf meine Magisterarbeit zum apokalyptischen Subtext von Science Fiction Filmen zurück. Aber ich versuche, meine Ausführungen so einfach wie möglich zu gestalten. In der Auslegung der biblischen Endzeitschilderungen gibt es zwei unterschiedliche Ansätze: Der Postmillenarismus geht davon aus, dass wir das Reich Gottes durch eigenes Engagement auf der Erde errichten, sie zu einem besseren Ort machen können, und dass am Ende dieses Prozesses die Wiederkehr Christi steht. Der Prämillenarismus wartet auf das Einsetzen der „Rapture“, im Zuge derer die Gläubigen gen Himmel „entrückt“ werden und die Ungläubigen den Qualen der Endzeit und der Herrschaft des Antichristen ausgesetzt sind. Daran schließt die physische Wiederkehr Christi an und erst dann die Errichtung des tausendjährigen Reich Gottes auf Erden.
Zusammengefasst: Postmillenarist_innen glauben, dass wir im Hier und Jetzt etwas zum Guten ändern können und dass das sogar unsere Aufgabe als Christ_innen sowie die Voraussetzung für die Wiederkehr Jesu darstellt. Und Prämillenarist_innen warten darauf, dass Gott sein Reich selbst erschafft, während sie Katastrophen und Kriege als Hinweis auf die „Zeit der Trübsal“ und damit als Vorboten der Apokalypse und der Wiederkehr Christi deuten.
In Maria Magdalena ist es vor allem Judas, der auf das Reich Gottes auf Erden als durch Jesus spontan hervorgebrachtes Ereignis drängt, da er glaubt, auf diese Weise mit seiner verstorbenen Familie vereint zu werden. Aus dem Nicht-Eintreten dieses göttlichen Reiches entspringt dann in Judas jener Frust, der zum Verrat des Messias führt. Die Jünger legen insgesamt eine aggressive Haltung an den Tag, sind bereit, für ihren Glauben Krieg zu führen, Blut zu vergießen und sehen darin keinen Widerspruch mit Jesu Lehre. Die Titelheldin jedoch interpretiert diese vollkommen anders: „Das Königreich ist hier und jetzt“, spricht sie und ruft dazu auf, nicht auf das Reich Gottes zu warten, sondern es selbst zu erbauen. „Das Reich Gottes wird sein wie ein Senfkorn, das eine Frau in ihrem Garten sät“, eignet sich Marias Voice Over das Markus Evangelium Kapitel 4, Vers 31, feministisch an. „Und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können“ – lautet der anschließende Originaltext in Markus 2, 32.
Wie so viele kluge Frauen*, wird auch Maria nicht gehört, sondern ausgestoßen. Ihre auf Frieden und Nächstenliebe ausgerichtete postmillenaristische Haltung kollidiert mit dem aggressiven Prämillenarismus der Männer* – eine freilich geschlechterstereotype Verteilung der Positionen. Sie wird ausgestoßen, aber nicht besiegt. „Ich bleibe nicht hier und schweige einfach. Ich werde gehört werden!“
Und für diese Botschaft erhält Maria Magdalena, wenn auch mit klaren Abzügen, mein Prädikat „Emanzipatorisch Wertvoll“.
Kinostart: 15. März 2018
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