2016 – Das Jahr der Filmlöwin

Das Jahr geht in schnellen Schritten seinem Ende entgegen und so ist es auch für mich mal wieder Zeit zurückzuschauen, was sich 2016 ereignet hat – auf dem Blog, in der Welt und in meinem Leben.

© Belinde Stieve

Januar

Der Anfang des Jahres 2016 stand im Schatten der Silvesternacht am Kölner Dom und der darin wurzelnden Diskussion um die deutsche Rechtsprechung zu sexueller Belästigung, aber auch um die unerwartete und besonders hässliche Verschränkung der Themen Sexismus und Rassismus. In Reaktion darauf schlossen sich feministische Organisationen und Aktivist_innen zum Bündnis #ausnahmslos zusammen.

Mein erstes persönliches Highlight 2016 stellte die dritte Sitzung der Nominierungskommission Fiktion für den Grimme-Preis 2016 dar, die – wie ich damals jedoch noch nicht ahnte – vorerst meine letzte sein würde. Und ebenso wenig ahnte ich, welch unerwartetes Ergebnis unsere Nominierung nach sich ziehen würde. Doch dazu später mehr.

Im Januar publizierte die Bloggerin Belinde Ruth Stieve erstmalig ihr Neropa-Konzept, mit dem sie seitdem bei Fernsehsendern und Produktionsfirmen hausieren geht, um für Rollenparität, also eine faire Verteilung von Männer*- und Frauen*rollen zu kämpfen.

Erfreulichster Film: Das Floß

Ärgerlichste Filme: Die 5. Welle, Ein Atem

@ Filmlöwin

Februar

Wie sollte es auch anders sein, drehte sich im Februar alles um die Berlinale, die wieder zahlreiche Veranstaltungen von und für Filmfrauen* zu bieten hatte. Am Ende des Festivals freuten wir uns alle über den Regie-Bären für Mia Hansen-Løve und ihren Film Alles was kommt. Mein Persönliches Berlinale-Highlight und zugleich ein Erfolg für die FILMLÖWIN war aber mit Sicherheit mein Interview für Pro Quote Regie.

Große Errungenschaften für Filmfrauen und in diesem Fall auch People of Color fanden im Februar auf der anderen Seite des Teiches statt: Ava Du Vernay, Regisseurin von Selma, wurde mit der Regie für A Wrinkle in Time beauftragt. Wie sich dann Ende des Jahres herausstellte, ist sie damit die erste Woman of Color, die ein 100 Mio. Dollar Projekt dirigieren darf.

Erfreulichster Film: Mustang

Ärgerlichster Film: Tatort: Kartenhaus

März

Knapp zwei Monate nach der letzten Sichtungswoche der Kommission standen die Gewinner_innen des Grimme-Preis 2016 fest. In der Sektion „Fiktion“, an der ich beteiligt gewesen war, hatte es neben mehreren Serien nur ein einziger Spielfilm aufs Treppchen geschafft: Patong Girl von Susanna Salonen. Keine andere Entscheidung der Jury hätte mich mehr freuen können.

Deutlich weniger erfreut war ich von einem anderen Thema: Aufbauend auf meinen Sichtungen für den Grimme-Preis sowie dem Diskurs zur Kölner Silvesternacht, musste ich meinem Ärger in einem Artikel zur Darstellung von Missbrauch im deutschen Fernsehen Luft machen.

Erfreulichste Filme: Sexarbeiterin, Grüße aus Fukushima

Die Filmlöwin mit Schriftsteller und Drehbuchautor Steve Bürk

April

Auf die Bekanntgabe der Preisträger_innen folgte natürlich die Verleihung des Grimme Preis 2016, für die ich mit großer Freude nach Marl fuhr. Dies war im April jedoch nicht die einzige Reise nach Nordrhein Westfalen, denn kurze Zeit später ging es für mich zum Internationalen Frauenfilmfestival in Köln, wo ich in diesem Jahr besonders schöne Entdeckungen machte. Ich kam dem Werk Chantal Akermans sowohl durch ihren eigenen Film No Home Movie wie auch durch einen Dokumentarfilm über ihr Leben näher. Außerdem entdeckte ich mit La Mujer de Nadie einen mexikanischen, emanzipatorisch wertvollen Film aus dem Jahr 1937. Und ich führte sowohl mit Elite Zexer (Sand Storm) als auch mit Ana Cristina Baragán ein Interview. Letztere verließ das Festival übrigens mit dem Hauptpreis für ihren Film Alba.

Außerhalb Deutschlands gab es im April gute wie auch schlechte Neuigkeiten. Der Tod der israelischen Regisseurin Ronit Elkabetz (Get – Der Prozess der Viviane Amsalem) sorgte für Trauer. Anlass zur Freude gab die Nachricht, dass die nächste Staffel der erfolgreichen BBC-Serie Sherlock unter der Regie einer Frau* entstehen würde.

Erfreulichste Filme: Wild, Chevalier

Ärgerlichster Film: Hardcore

© Komplizen Film

Mai

Und wieder ging es nach Nordrhein Westfalen, diesmal nach Oberhausen zu den Kurzfilmtagen. Die ausschließliche Beschäftigung mit diesem Format stellte für mich eine Premiere dar. Mein Fazit: Ich bewundere alle Kolleg_innen, die über Kurzfilme schreiben. Denn Kurzfilme sind nicht nur qualitativ herausfordernd, sondern auch quantitativ. Allein ein einziges Kurzfilmprogramm von 90 Minuten enthält etwa 8 Filme, die erinnert und beschrieben werden wollen.

Auf einem ganz anderen Festival, nämlich in Cannes, sorgte Maren Ades Film Toni Erdmann für Wirbel. Die Kritiker_innen übertrafen sich gegenseitig in ihren Lobeshymnen, die zweite Goldene Palme für eine Regisseurin in der Geschichte der Filmfestspiele wurde vorhergesagt. Umso überraschter und auch ärgerlicher waren schließlich viele, als Toni Erdmann bei der Vergabe der Hauptpreise leer ausging. Einen kleinen Trost stellte der große Preis der Jury für American Honey von Andrea Arnold dar.

Der Mai brachte außerdem eine große Neuerung auf der FILMLÖWIN, nämlich den wöchentlichen Newsletter, der fortan alle Unterstützer_innen des Projekts mit Informationen zu Kinostarts, Filmtipps in Mediatheken und im Fernsehen so wie Hinweise auf Veranstaltungen versorgte.

Zudem erschien in diesem Monat die Studie zum Zusammenhang zwischen Germany’s Next Top Model und Essstörungen unter Kindern und jugendlichen als Open Source Dokument.

Erfreulichster Film: Petting Zoo

Ärgerlichster Film: Urmila – Für die Freiheit

© Laura Krestan

Juni

Und schon wieder zurück nach Köln: Diesmal zur Akademie der Künste der Welt und einem Treffen mit der ägyptischen Filmemacherin Maha Maamoun. Bei einem Kaffee in der Frühsommersonne plauschten wir über ihre Arbeit, vor allem aber auch über das Spannungsfeld aus Kunst und Politik – ein Gespräch, das meinen Blick auf das Medium Film anhaltend prägte.

Und weil ich ja noch nicht oft genug nach NRW gefahren war, machte ich mich wenig später noch ein weiteres Mal auf, um an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach einen Vortrag über meine Arbeit zu halten. Ich stellte den Studierenden meinen Blockbuster-Check vor und versuchte sie für den sensiblen Umgang mit Geschlechterrollen in ihrem eigenen künstlerischen Schaffen zu sensibilisieren. Nicht nur wegen des positiven Feedbacks der Zuhörer_innen ist dieser Vortrag vielleicht mein persönliches Highlight des Jahres. Vielmehr machte es mir eine solche Freude, vor einem interessierten Publikum über meine Arbeit zu sprechen, dass ich die nächste Gelegenheit dazu nicht erwarten kann.

Erfreulichste Filme: Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen, Sworn Virgin

Ärgerlichster Film: Bang Gang

Die Filmlöwin in Kuba

Juli

Anfang Juli unternahm ich die für dieses Jahr letzte Fahrt nach Nordrhein Westfalen, um zusammen mit meinen Ko-Jurorinnen über den ersten „Awareness-Preis“ der HfG Offenbach abzustimmen. Erstmalig durfte ich nicht nur über Filme, sondern auch über Fotografien, Installationen, Skulpturen und Malereien entscheiden. Einerseits war es mir eine große Ehre, an dieser Entscheidung beteiligt sein zu dürfen. Andererseits zeugten einige der eingereichten Arbeiten von erschreckend wenig Awareness. Mein Fazit aus meinem Engagement an der HfG ist vor allem, dass der sensible Umgang mit Sexismen, Rassismen, Klassismen und Ableismen an den Kunst- und Filmhochschulen deutlich zu kurz kommt. Kunst muss vielleicht nicht politisch sein, aber unreflektiert (!) Vorurteile und Diskriminierung nähren sollte sie meines Erachtens ebenfalls nicht.

Während sich große Teile der Welt darüber freuten, dass Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt wurde, zog ich mich in die digitale Entgiftung in Kuba zurück.

Erfreulichste Filme: Tangerine L.A., Toni Erdmann

Ärgerlichster Film: Independence Day: Wiederkehr

August

Mitte August kam ich wieder in Deutschland und damit auch im Internet an. Hiobsbotschaften über die Kandidatur von Donald Trump prasselten ebenso auf mich ein wie der gruselige Vormarsch der AfD in Deutschland. Glücklicher Weise waren auch ein paar positive Nachrichten darunter, zum Beispiel der Hauptpreis des Festivals in Locarno für Ralitza Petrova und ihren Film Godless.

Erfreulichster Film: Ghostbusters

Ärgerlichster Film: die Realität

© Sony

September

Mit ihrem Ausspruch „We need to stop violence against transgender women and topple the patriarchy. Topple the patriarchy!“ sorgte Jill Soloway bei der Emmy Verleihung für positiven Wirbel. Auch die FILMLÖWIN hatte Erfolge zu verzeichnen: Als nun offizielle Partnerin war sie fortan in vielen Newslettern von Women in Film and Television vertreten.

Erfreulichste Filme: 24 Wochen, Bad Moms

Ärgerlichster Film: Fucking Berlin

Oktober

Wie schon die vergangenen Jahre, begann auch dieser Oktober mit dem Filmfest Hamburg. Endlich kam die schon gefühlte Jahre geplante Zusammenarbeit mit Conrad Mildner von Cinema Forever zustande. Das Ergebnis waren mehrere Vlogs, zum Teil auch mit Lucas Barwenczik vom Longtake Podcast, und das Vorhaben, fortan öfter zu kooperieren. Vielleicht dauert es ja diesmal nicht wieder gefühlte Jahre von der Idee zur Umsetzung…

Natürlich stand im Oktober wieder das Pornfilmfestival auf dem Programm, das mit seinem hohen Regisseurinnenanteil auch 2016 in dieser Hinsicht so ziemlich jedes andere Festival in den Schatten stellte (Frauen*filmfestivals natürlich ausgeschlossen).

Zwei positive Nachrichten erfreuten Filmlöwinnen in und außerhalb Deutschlands. Die neue Staffel Jessica Jones wurde als ausschließlich unter weiblicher Regie angekündigt und in Deutschland brachte Filmemacherin Isabel Suba das Mentoring Programm Into the Wild für den Filmlöwinnen-Nachwuchs an den Start.

Erfreulichste Filme: American Honey, Lotte

Ärgerlichste Filme: Saint Amour, Bridget Jones’ Baby, Doctor Strange

November

Der filmfeministische Diskurs nahm weiter Fahrt auf: In den USA publizierte Mila Kunis einen Artikel über Sexismus in Hollywood und in Deutschland veröffentlichte der Bundesverband Regie seinen aktuellen Gender-Diversitäts-Bericht. Außerdem begann die groß angelegte Femmes Totales Filmtour. Läuft doch alles, dachte ich mir, und reiste zurück nach Kuba, um das Glück zu jagen.

Erfreulichster Film: Arrival

Ärgerlichster Film: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Die neue FILMLÖWIN-Kolumne

Dezember

Noch beseelt von meiner zweiten Kuba-Reise beschloss ich im Dezember den FILMLÖWIN-Newsletter für alle interessierten Leser_innen zu öffnen. Außerdem brachte ich den FILMLÖWIN-Kalender an den Start, in dem fortan sowohl Veranstaltungen als auch Fernseh-Tipps und Deadlines für Festivaleinreichungen zu finden sind. Ebenfalls neu ist die FILMLÖWIN-Kolumne im österreichischen an.schläge-Magazin. Kurzum: Der Dezember ist der späte Höhepunkt dieses Blogs.

Einen Höhepunkt erlebte auch das Team von Toni Erdmann, das beim Europäischen Filmpreis eine Auszeichnung nach der anderen einheimste.

Wo viel Freude herrscht, ist auch die Trauer nicht weit: Ende Dezember, vor wenigen Tagen, verstarb Carrie Fisher, die als Prinzessin Leia nicht nur die Kindheit einer ganzen Generation geprägt, sondern auch eine frühe feministische Identifikationsfigur dargestellt hatte.

Erfreulichster Film: Die Überglücklichen

Ärgerlichste Filme: Marie Curie, Paula

Ausblick auf 2017

In meinen Kuba-Reisen habe ich etwas Entscheidendes gelernt: Die Vergangenheit ist vorbei und die Zukunft noch nicht da. Was 2017 geschehen wird, lasse ich also einfach auf mich zukommen und versuche dabei vornehmlich an das Positive zu denken. Deshalb wünsche ich mir für 2017 vor allem eins: Hoffnung.

In diesem Sinne wünsche ich auch euch ein wundervolles neues Jahr!

Sophie Charlotte Rieger
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