Venedig & Locarno 2023: Drei deutschsprachige Kurzfilme

Auch in Locarno und Venedig war deutschsprachiges Kino in Kurzform zu sehen, nicht deutsch, denn Deutsch wird zwar gesprochen, ist aber als Sprache der Filme nicht stark vertreten. Die Sprache an sich ist etwas, mit dem die Filme kämpfen, verhandeln oder auch ablehnen. Wenn es hier Sätze gibt, werden sie anders ausgesprochen als in der gesprochenen Sprache. Die drei hier vorgestellten Ansätze unterscheiden sich voneinander und führen andere Intonationen, Bewegungen und Welten ein.

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Sentimental Stories von Xandra Popescu

Interkulturalität schafft Kulissen, Räume, in denen Bedeutung insgesamt verhandelt werden kann. Das Aufeinandertreffen der Kulturen initiiert einen linguistischen Prozess, bei dem Adaptierung, Verhandlung, Widerstand und Ablehnung/Akzeptanz zur Tagesordnung gehören. Menschengemachter Fortschritt erhöhte die Geschwindigkeit des Lebens und führte von einem (gefühlten) verkörperten Anwesenheit zu einer Entkörperung der Umstände. Das Wichtigste ist online zu finden, das Aufstehen sei nicht mehr nötig. Diese Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse führte zu einer Welle von Kulturtheoretiker*innen und Medienliebhaber*innen, die begeistert vom Traum des Posthumans erzählten. Inzwischen ist das Leben stationär geworden, Bewegungen sollen punktuell funktional sein, die Schaffung von Nicht-Räumen soll nicht nur motiviert, sondern zum Datengewinn ausgenutzt werden. Die übriggebliebenen Körper, die nicht aufhörten, zu existieren, sobald eine WLAN-Verbindung hergestellt wurde, tragen die Schwere einer heruntergekommenen Existenz. Diese Paläste sind auf Ausbeutung und Ängste aufgebaut. Doch dennoch kann so etwas wie Hoffnung gesehen werden, wenn auch nur flüchtig.

___STEADY_PAYWALL___Prefigurative Praxis vermag, genau diese hoffnungsvollen Augenblicke zu betrachten, ja, sie ernst zu nehmen, statt sie wegzuwerfen. Doch erst kommt das Betrachten. In Sentimental Stories verschafft Xandra Popescu den offenen Raum, um die Prozesse der Verbindung und Verbindungslosigkeit ihrer Figuren gründlich zu untersuchen. Durch die Bewegungen ihrer Formen wird jedoch keine wissenschaftliche Abhandlung skizziert, sondern ein bewegendes Interesse an dem, was Sprache und Sprachformen im Verhältnis zu suchenden und findenden Körpern ausmachen. Pflanzen, Wasser und Licht sind die einzigen nicht menschengemachten Figuren, alles andere skizziert ein enges Bewegungsverhältnis; die menschliche Figur lässt sich durch starke, architektonische Arrangements eingrenzen. Ein Menschenkopf wird auf der Einstellung zwischen zwei großen Gebäuden platziert. Formale Hindernisse setzen Erkundungsfluss frei; der Sound eines Schiffs deutet auf ein Außerhalb dieses Frames hin. Die Bewegung ist dennoch ruhig, suchend und gleichzeitig fixiert. Kollisionslogik im Schnitt ersetzt das Bedürfnis, die vorgestellte Figur zu der nächsten Aktion zu verfolgen, durch ein stilles Bild, durch das eine von uns noch nicht gesehene Figur hindurchgeht. Der horizontale Blick und die Nicht-Bewegung treffen auf eine diagonale Bewegung. Kino hat die Fähigkeit, kleine Schnittmuster aufzudecken und sie zu verkomplizieren, die Gesamtheit wird dann von dieser Kette von Entscheidungen beeinflusst. Farben können das „Böse“ gegen das „Gute“ symbolisieren, aber auch den Schweiß der Arbeit spürbar machen.

Die drei unterschiedlichen Menschenkonstellationen, die “Sentimental Stories” erforschen, zeichnen sich durch ihre Verwendung von Sprache aus. Ein Mädchen und ihr Freund sprechen Französisch; eine Tochter und ihre Mutter sprechen Griechisch; die Arbeiter*innen sprechen Spanisch. Migrant*innen müssen aber den Last der Sprache zweimal bewältigen, nicht nur die eine, sondern zwei. Selbstverständlich ist es für Muttersprachler*innen, dass deren Idiom gesprochen wird, aber die Sprache hat auch Auswirkungen auf die Einstellung. Das Mädchen spricht im Deutschen mit der Tochter und der Arbeiter “viel Glück” wünscht, statt “mucha suerte.” Das Deutsch ist funktional und international, aber es schafft Distanz, sie ist die Sprache der Arbeit und der Anweisungen. Bürokratie heimsucht die Räume, deren Menschengemachtheit mit kalten Tönen unterstrichen wird. Hier in der Arbeit, da im Restaurant, Kompositionen werden festgelegt für genügend Zeit, um den Effekt der Sonne, des Lichts, zu betrachten, deren Schein die Farben innerhalb eines Umkleideraums ändern kann, der Affekt ändert sich dementsprechend. und die Bewegung spiegelt nicht nur individuelle Emotionen (Traurigkeit, Verwirrung) wider, sondern auch die Beziehung der Figur zu ihrer Umgebung, wobei diese Umgebung eine sorgfältig konstruierte Architektur zur Platzierung und Verschiebung ist.

Vier Gespräche und eines, das nicht stattfinden kann, konfigurieren die Ebenen dieses Gebäudes. Auf Spanisch sprechen die Arbeiter über eine Ehe, ein Sexualleben, das nicht existiert. Unzufriedenheit und ein sinnliches Verständnis von Begehren stehen nebeneinander, während die Tochter das Paar beobachtet. Von außen betrachtet sehen sie jedoch glücklich aus. Die Gründe sind nicht bekannt, nur Ausreden, warum er gehen sollte. Auf Griechisch wird ein Gespräch über die Zukunft geführt, wer was tun wird und wer nicht und warum. Erwartungen an ein besseres Leben, so wie es sich eine Migrantenmutter wünscht. Der geäußerte Wunsch ist ein Paradoxon: Sie wollen etwas Besseres, aber der Weg, den sie vorschlagen, hat Ihnen selbst nichts gebracht. „Sentimentalität“, die Betonung der Gefühle, kann im Spanischen als übertrieben empfunden werden, doch diese Sentimentalität ist zart, sensibel, schön. Sie ist in der Lage, etwas von der Vergangenheit und der Gegenwart einzufangen, das nicht unbedingt von Anfang an vorhanden ist. Sie kann auch ein emotionales Laster sein, bei dem nach David Pugmire ein Gefühl der Wirkung seines Ausdrucks untergeordnet werden kann. Daraus folgt Narzissmus, da diese Wirkung für jemanden das Wertvollste ist und nicht das Gefühl selbst. Die Arbeiter*innen sprechen jedoch eine andere Dimension an, in der das In-die-Spiegel-Schauen kollektiviert werden kann. „Ich sehe dich, du siehst mich.“ Sentimentalität funktioniert nicht anders, die Betonung des Gefühls kann andere Menschen hereinholen, anstatt sie auszuschließen, was schmerzhaft ist, wenn sie gehen. Das Mädchen sucht, findet aber nicht, bevor sie schließlich geht, sitzt sie in einem grell beleuchteten Raum, in einer ähnlichen Position befindet sich links ein Plakat, das eine nackte Frau zeigt. Sentimentale Figuration kann das Materialistische aus den Gefühlen herausnehmen, Vergleiche ziehen und Körper für den Konsum von Körpern für sich selbst unterscheiden. Manchmal ist es besser, nichts zu tun, aus der Stille, die sich ergibt, kann man klarer sehen.

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Slimane von Carlos Pereira

In Sci-Fi verhandelt man in Konzepten, die eine Reihenfolge von Ideen entfalten, deren Ursprung von den ältesten Geschichten der Menschheit abgeleitet werden. Daraus folgt, dass die meisten Erzählungen auf eine Weise schon auf irgendwelchem Streaming-Dienst auserzählt wurden und dass man schnell Elemente wiedererkennen kann, wenn sie vor ermüdenden Augen nach der Arbeit ausgeführt werden. Mustererkennung ist nicht mal das exklusive Territorium der Gestalttherapie, um diese schöne Fähigkeit des Menschlichen in Maschinen nachzubilden, wird eine Menge Rechenleistung verbraucht. Das, was das menschliche Gehirn tun kann, scheint erschreckend einfach zu sein, ist aber ein unglaublich komplexer Teil eines noch komplexeren Prozesses. Sowohl kluge als auch unkluge Sci-Fi begreift diese Meta-Ebene als Stoff. Das Gefühl, einen riesigen Ouroboros dabei zu sehen, wie er sich selbst zerfrisst, hilft nicht, wenn es sich darum handelt, einen Überblick über unsere modernen Erzählstrategien zu bekommen. Mit dem Aufkommen leicht erhältlicher Verbraucherkameras ist eine wilde Vielfalt von Geschichten ins Spiel gekommen. Vielleicht haben sie einige ähnliche Muster, aber die Form entwickelt sich mit ihnen. Der „Look“, ein reduzierender Begriff für Bildgestaltung, Kameraarbeit, Farbkorrektur und Kostüm, eines Films kann einen hochkarätigen Science-Fiction-Film von einer gewöhnlichen Produktion unterscheiden. Die Form des Sci-Fi-Films ist jedoch nicht nur das Reich dieser spezifischen Merkmale, und insgesamt beschäftigt sich Sci-Fi als Genre mit der Umsetzung der Geschichte. Formale Innovationen können eine eindeutige Zeitwahrnehmung erzeugen, sie können Panoramen allein mit Mathematik beschreiben und die Begriffe der Quantenphysik zur Beschreibung von Kämpfen nutzen. Sie sind deswegen wie Zauberei, auch wenn die „Erzählung“ an sich relativ einfach ist. In Slimane kommt diese Zauberei durch die Kompositionen (Karim Marold) und den Schnitt (Vanessa Heeger).

Omar war im Gefängnis, weil er queer ist. In Deutschland der nähen Zukunft haben Queere Menschen ihre Rechte verloren. Eines Tages kommt er raus, er kann nicht zuhören, was die anderen Menschen im Bus sagen, er hält sich die Ohren zu deswegen. Omar besucht eine Freundin, merkt etwas und findet endlich einen Release im Wald. Diese Amazon-Produktreview-artige Beschreibung des Films stellt eins der größeren Probleme mit dem Sprechen und Schreiben von Filmen in einem Erzählung-fokussiertem Medium vor. Zahlreiche Youtube-Channels wurden nur deswegen hergestellt, zu zeigen, wie blöd Filme und Serien eigentlich sind, wenn man sich nur auf dieser Ebene fokussiert und jedoch irrt sich der medienkritische Ansatz vollkomen, indem der nächste Schritt nicht unternommen wird: wieso guckt man diese Sachen? Ist es Unterhaltung? das Vergessen der eigenen Umstände? Zwei Worte kommen oft vor: Genuss und Langeweile. Eins positiv, das andere negativ. Das breitere Spektrum der Reaktionen ist von vornherein ausgeschlossen. Dadurch werden Subkulturen total inexistent und irrelevant, sobald sie sich zu diesen manichäischen Konfigurationen nicht anpassen. Im grammatikalischen Begriffen heißt das: spezifisches Adjektiv ersetzen durch ein gebräuchliches. Gewalt beginnt mit einem Buchstabe. Und Gewalt rückgängig zu machen bedeutet, das Adjektiv, das Wort, erneut zu konstruieren, auch wenn es bereits gelöscht wurde. Hierin fallen das teilweise utopische Projekt der Science Fiction als Denkmaschine und das Neuschreiben einer queeren Form zusammen.

Carlos Pereiras Slimane wird von Abwesenheiten geplagt, die titelgebende Figur taucht nur als Erwähnung auf, ihre Nicht-Präsenz wird durch eine nackte, ausdrucksstarke Wand angezeigt, die Omar immer wieder zu füllen versucht. Hier wird die Abwesenheit eines Körpers durch einen anderen kompensiert, aber dieser neue Körper kann weder einen Platz einnehmen, noch ihn schaffen. Queere Körper sind keine Massen, wie sie von den Medien angepriesen werden, sondern Realitäten, denen nur dann ein Platz eingeräumt wird, wenn sie bestimmten Stereotypen entsprechen, so scheint es. Die Toten und Nicht-Abwesenden bleiben so, die Menschen, die um sie trauern, müssen sich mit diesem Loch abfinden. Im Fall von Omar gibt es Stimmen, die sich Raum verschaffen wollen, aber er lässt sie nicht zu. Was er hören will, geht von innen nach außen und umgekehrt. Das Wichtigste ist die Autonomie der Entscheidung. „Du schaust mich an, als wäre ich ein Gespenst“ und dann die Abwesenheit, die fast 3 Minuten andauert. Angriffe, Liebe, Beharrlichkeit, Dissoziation, die Stimme von Ava spricht über die Schwere. Das Ergebnis dieses Verständnisses der Welt ist eine leichte Berührung zwischen den Menschen, die Angst entspringt ihren Mündern. 

Die Wiederholung, die aus der Sehnsucht kommt, schafft die Visionen von Slimane. Pereiras Science-Fiction-Welt ist eine Leere, die sich von den Menschen ernährt, die sie für nicht zeigenswert hält. In der Öffentlichkeit, in der das Leben reglementiert wurde, ist nur noch normative Bewegung möglich, und so zeigt uns der Film das Wesentliche. Abwesenheit, Anwesenheit, Freisetzung. Die Details einer zerstörerischen Welt sind nicht so wichtig wie ihre Auswirkungen. Die „Bösen“ sind so abwesend wie die Opfer, und doch sind sie da, denn ihre Macht vernichtet die anderen und drängt sie in den Schatten. Omar findet eine Befreiung, die durch die Ohren geht, einen Übergang, der sich der figurativen Schöpfung in bescheidenem Umfang bedient, indem er versteht, dass die Sci-Fi die Gegenwart erfassen und sie direkt und frei von jeglichem Blödsinn machen kann. Omar tanzt wie nie zuvor, sein Körper wird befreit und versteht sich, zumindest für jetzt.

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Engar madaram geriste bud aan shab von Hoda Taheri

Eine beliebige Liste von Sachen, die Asylsuchenden erleben müssen, um in Schland reinzukommen: Beleidigungen, Angriffe, Vergewaltigung, bürokratische Gewalt, sprachliche Anforderungen, Integrationszwang, Profilierung, Überwachung, Prüfungen, politische Verfolgung, Diskriminierung sowieso, Erniedrigung der psychischen Gesundheit, die Verweigerung grundlegender menschlicher Würde, die Aufopferung all dessen, was vom Verbleib in einem Land abhält. Die Art und Weise, wie Körper, Identität und Individualität durch einen Prozess staatlicher Bürokratie auseinandergerissen werden, zerstört jede Chance, über diese drei Aspekte kohärent zu sprechen; so verwirrt und verzweifelt sind die Menschen, die sich diesem wahren Albtraum unterziehen, um einem anderen, größeren Albtraum zu entkommen, dass das Kino, der große Apparat der Körper, Identitäten und Individualitäten (und ihrer jeweiligen Kollektive), zu stückweisen Annäherungen an das Thema neigt. Der medizinische Film, der für die Diagnose und Katalogisierung der Krankheiten von Menschen verwendet wird, zeigt die Einfachheit und Komplexität dieser Maschine: Die Körper sind gleichzeitig da, werden durch verschiedene Aufnahmen und Kompositionen analysiert, ihre Bewegungen katalogisiert, ihre Bedeutung und ihre figurative Strategie ist jedoch verschlossen und bedarf des Experimentierens. Filme über Migration bieten, wenn man sich auf die Vibrationen gebrochener Körper einstellt, einen herausfordernden und gleichermaßen lohnenden Weg, sie zu verstehen. Das, was katalogisiert und diagnostiziert wird, ist jedoch nichts weniger als eine gesellschaftliche Degradierung, von der nur Menschen erzählen können, deren Stimmbänder von den Erfahrungen am eigenen Leib betroffen sind, ohne dass es wie eine surreale Alptraumgeschichte aus einer anderen Dimension klingt.

In Engar madaram geriste bud aan shab von Hoda Taheri, geschrieben mit Magdalena Jacob und Boris Hadžija, ist das Leben voller Überdeterminiertheit, von dem Gefühl, dass man über das Leben nur begrenzte Kontrolle hat. Negative Freiheit – frei von irgendwas zu sein – statt positive Freiheit, die Freiheit, um etwas zu tun. Regierungen überall in der Welt stehen Menschen dieser Freiheit zu, doch, wenn es um Körper geht, die reguliert werden müssen, sind die Bedingungen anders. Der Film verwirrt bewusst die Grenzen zwischen dem Gesellschaftlichen und dem Filmischen, um diese Konversation außerhalb der Grenzen seines Formalismus zu gestalten. Die Figuren werden schematisiert, präsentiert, um thematische Richtlinien zu setzen. Das graue Leben, das sich zwischen den Figuren entfaltet, ist eins der kleinen Entscheidungen. Hoda, gespielt von Hoda Taheri selbst, hilft einer anderen Person, sogar wenn sie das nicht sollte, die kleine Geste eine menschliche Tat vor den Wänden ihrer Wohnung.  Die Sorge der Mutter, “what if your asylum case doesn’t work out?” präsentiert einen inneren Konflikt, deren “Lösung” eben keine ist. Was die menschlichen Figuren fühlen, ist keine Priorität und kann deswegen die Welt nicht zu ihrem Willen konfigurieren. Konfigurationen gehören bekanntlich zur Bürokratie, deren Papiere Menschen in die Auslöschung treiben. Wenn die Sprache, die in diesen Dokumenten sind, eben nicht die eigene ist und nicht verstanden werden kann, dann bedeutet das den Sieg des von Maurizio Ferraris geprägtes Konzepts von “Documentalität”, in dem Dokumente die Realität der sozialen Wirklichkeit untermauern. Macht steckt drin, dementsprechend darf eine theoretische Geburtsurkunde wichtiger als ein Menschenleben sein. Und nichts besitzt die Kraft, diesen traurigen Zustand zu ändern.

Die Asylsuchenden im Film besitzen keine Macht, dennoch können sie mit dem Körpern etwas tun, was ihnen helfen kann. Heteronomie, der Zustand der Abhängigkeit fremdes Willen, zeigt sich im Besitz der Figuren. Sie bringt sie zu Entscheidungen, die sie sonst nicht treffen würden, es sei denn, sie würden an den Rand ihrer Möglichkeiten gedrängt und könnten in diesem Käfig nicht mehr Freiheit finden. Besessenheit, nicht dämonisch, sondern bürokratisch, wird von den beiden Figuren, die unser zentrales Paar im Film bilden, auf unterschiedliche Weise behandelt. Ihr Vorhaben, eine Aufenthaltsgenehmigung für das Land zu bekommen, drängt sie nicht zu einer fragwürdigen Entscheidung, sondern lullt sie in den unendlichen Schlaf des Handelns aus der Not heraus ein, in dem man seine Sinne verlassen muss, damit das alles einen Sinn ergibt. Nach und nach verliert der Film strategisch seine Vorliebe für Sprache und begibt sich kopfüber ins Gestische, in das Reich der Opfer, die Körper bringen müssen. Die geplante Schwangerschaft des Paares, die durch das Sperma eines deutschen Kollegen zustande kommt, soll der Befreiung dienen, doch die formalen Anliegen des Films werden klaustrophobischer, überhöht durch das 4:3 Seitenverhältnis und das Kamerawerk von Lena Thiemann. Ein reglementiertes Leben schafft die Chance auf eine instabile Paranoia. In einer wunderbaren vertikalen Kameraschwenkung werden hier Ängste, Gleichgültigkeit und die Multiperspektivität des Asylsuchenden sichtbar, wo Worte nur Beiwerk sind.

Was danach entsteht, ist Teil des figurativen Projekts von Hoda Taheri, eine logische Konsequenz ihres letzten Films, die Wiedervereinigung von Scham und möglicher Geburt, denn um in einem Land zu bleiben, muss man etwas aufgeben, sei es die grundlegende Würde, die reproduktiven Rechte, die eigene Sprache und die Fähigkeit zum Selbstausdruck, ohne Angst, dass man am nächsten Tag nicht mehr sie ist. In ihrer letzten Geste als Regisseurin, mit ihren Körpern für das Publikum zu sehen, schafft die Regisseurin einen autoethnographischen Film, der nur eine Treue kennt, die der Körper der Menschen.

 

Giancarlo M. Sandoval