The Substance
The Substance ist pures Spektakel. Der Film will aber auch Kritik an der Reduzierung des weiblichen Körpers als spektakuläres Objekt sein. Mit Body-Horror und dem Blick auf zwei Frauenkörper in unterschiedlichem Alter präsentiert er sich als Kommentar auf unsere vom Schönheitswahn durchtränkte (Unterhaltungs-)Gesellschaft. Aber wie gehaltvoll kann dieser Kommentar sein, wenn er sich letztlich genau der Mittel bedient, die er kritisch beäugen will? Demi Moore als aus dem Showbusiness ausrangierter, vereinsamter Hollywoodstar zerstört sich selbst in dem Versuch, ihr jugendliches Aussehen (Margaret Qualley) zurückzuerlangen. Mit dieser (Sehn-)Sucht nach der eigenen U30-Version greift Regisseurin und Autorin Coralie Fargeat die altbekannte Trope der nach Aufmerksamkeit suchenden, alternden Frau im Showbusiness auf.
The Hollywood Walk of Fame: The Substance beginnt und endet mit einer Vogelperspektive auf den rosa Stern, der mit seiner Abnutzung dem Nachnamen seiner Protagonistin nicht mehr gerecht werden kann. Elisabeth Sparkle, der größte Star unter den Aerobic-Trainerinnen dieser Welt, hat die 50er Marke erreicht. Das veranlasst ihren chauvinistischen Arbeitgeber dazu, sie zu ersetzen. Denn er weiß genau, was sein Publikum will: junge, knackige Frauen, deren Körperpartien vor dem Auge der Kamera in unterschiedlichen Positionen herumhüpfen und das Publikum gebannt auf den Bildschirm glotzen lassen. Um dies auch ja zu verdeutlichen, wird sich Benjamin Kracuns Linse im Verlaufe des Films immer wieder groß auf Margaret Qualleys Ende-20er-Hintern richten. Es ist dieser Hintern, der begehrt wird, der inszeniert wird, der immer wieder groß und in Bewegung gezeigt wird, damit das Publikum versteht, dass die jungen, dünnen, trainierten Körper diejenigen sind, die unsere Gesellschaft des visuellen Spektakels hochhält und die alle anderen, mögen sie selbst auch so schmal sein, erfolgreich verdrängen. Als Bestätigung dessen bestimmt Elisabeths unzufriedene Betrachtung ihrer Selbst – im Spiegel, auf Werbeplakaten oder im Fernsehen – ihren psychischen Zustand.
Elisabeth Sparkle ist also ausrangiert. Durch Zufall gelangt sie an eine geheime Instanz, die eine Substanz zur Verjüngung ihres eigenen Ichs bereitstellt. Die Bedingung: das junge Ich, das wortwörtlich aus dem bisherigen Ich schlüpft, lebt nur jede zweite Woche, sie müssen sich abwechseln. Ihr Bewusstsein bleibt theoretisch ein und dasselbe, verändert sich aber praktisch durch den Körperzustand und das Körpergefühl, motiviert ihre Handlungen und Entscheidungen maßgeblich. Elisabeth erhält Futterrationen, mit denen sie ihr jeweils schlafendes Ich täglich nähren muss – fast so oft wie Qualleys fragmentiert eingerahmte Körperteile nehmen Injektionsnadeln große Teile der Bildfläche ein. Mit der Geburt des jungen Ichs (Margaret Qualley) aus der Wirbelsäule setzt auch der Body-Horror des Films ein, der nach diesem ersten Höhepunkt vor allem im letzten Drittel und bis zum Ende hin noch gewaltig an Fahrt aufnehmen wird. Doch bevor es zum abstrus-grotesk-spektakulären Showdown kommt, begleiten wir die Protagonistin in ihrem neuen, geteilten Leben. Die junge Elisabeth wird zur Fitness-Nachfolgerin ihrer älteren Version und damit zum neuen Showgirl der Nation: sie ist die Perfektion schlechthin, wie die Fernsehmänner und Gatekeeper des Senders nicht müde werden zu kommentieren. Ihr Lächeln und Kichern begeistern den Chauvi-Showmaster und seine Kollegen mindestens genauso wie ihr makelloser Körper. Elisabeth schwebt auf Wolke sieben: endlich wird sie wieder begehrt und geliebt. Denn geliebt wird frau hier nur, wenn sie begehrt wird und begehrt nur, wenn sie jung ist.
Doch womit Elisabeth nicht gerechnet hat: der Wechsel zwischen ihren Ichs läuft nicht reibungslos ab. So zapft die U30 Elisabeth, als sie betrunken einen Aufriss heimschleppt und sich in zeitlicher Bedrängnis befindet, ein bisschen Saft von ihrer Ü50 ab, sodass diese fortan unter einem faltig-grauen Zeigefinger leidet. Es entfaltet sich ein Konkurrenzkampf der beiden – und somit zweier Generationen – um die Nutzung der Ressource Lebenssaft. Je mehr die Junge ihre 7-Tage-Dauer überschreitet, indem sie die Alte anzapft, desto schneller begibt sich diese in Richtung Grab. Ein Verweis auf gegenwärtige Bilder einer nachkommenden, klimakritischen, post-yolo Generation, lässt sich darauf nicht lesen, eher auf die Spaßgesellschaft und Generation X der 1990er. Die junge Elisabeth ist jedenfalls berauscht vom Leben, von ihrer Wirkung auf Männer, der Bewunderung ihrer Umgebung und von der Karriere, die sie blitzartig hinlegt, kurzum: von den Oberflächlichkeiten des Lebens. Die Ältere hingegen zieht sich immer weiter zurück, fühlt sich ausgegrenzt, wird immer einsamer und merkt irgendwann, dass der alte Schulkollege, den sie nach Ewigkeiten zufällig trifft, vielleicht doch liebenswerter ist als er auf den ersten Blick erschien. Doch als sie sich in ihrer Sehnsucht nach Geborgenheit zum Rendezvous mit ihm treffen möchte, verändert sie zig Male ihr Make-up und ihren Ausschnitt, fühlt sich zunehmend verunsichert. Eine Woche später sind all diese Gefühle wieder wie weggeblasen, wie Qualleys selbstsichere Blicke verraten. Lange kann dieser Bewusstseins- und Körperwechsel nicht gut gehen.
Dass der Kapitalismus mit all seinen Auswüchsen aus Werbung, Unterhaltungsindustrie und Machtverteilung weiblich gelesene Körper zu Objekten macht, dürfte für wenige Zuschauende ein Augenöffner sein. Dass Coralie Fargeat große Lust an der Inszenierung von Body-Horror hat, schon eher. Gänzlich lässt die Filmemacherin jedoch mediale Erzeugnisse abseits des Fernsehens und der Werbung im Straßenbild aus: Social Media spielt etwa keine Rolle. Wir scheinen eher in den 1980ern zu stecken – stilistisch erfreut sich das Jahrzehnt in Spielfilmen also immer noch ästhetischer Beliebtheit – oder in einer zeitlos-fiktionalen Blase, die doch unsere gegenwärtige Gesellschaft meinen will. Fargeat arbeitet mit heruntergebrochenen Dichotomien – alt und jung, begehrenswert und nicht begehrenswert, einsam und beliebt, erfolgreich und erfolglos – um Kritik an einem komplexen Thema zu üben. Damit schafft sie im Prinzip nichts Neues, reiht sich in Geschichten um frustrierte Stars mit Falten ein (Bette Davis und Gloria Swanson machten es schon in den 1950ern bzw. 1960ern in Whatever Happened to Baby Jane? und Sunset Boulevard vor). Sich der Mittel eines patriarchalen Kinos und seiner Blickinszenierungen in überhöhter Form zu bedienen, beweist keinen großen Widerstand oder kreiert alternative, feministische Erzählungen. Auch in der Sexszene zwischen der jungen Elisabeth und ihrem Aufriss bleibt die Kamera auf ihrem Hintern, folgt ihrem sich öffnenden Reißverschluss, seinen zupackenden Händen, ihr Begehren des männlichen Körpers bleibt ein blinder Fleck. Ihr eigenes Begehren begrenzt sich aufs Begehrtwerden, auf eine to-be-looked-at-ness. Das könnte satirische Aneignung sein, doch für solch eine Durchkreuzung bleiben die Bildeinstellungen letztlich zu sehr in einer konventionellen, male gaze Logik verhaftet. Der Showmaster ist immer wieder beim Essen und Trinken zu sehen, sein Gesicht vertilgt in der Fischaugen-Optik der Kamera – der visuelle Marker der Satire – gierig Garnelen und verdeutlicht seine Funktion als verschlingenden Macho. Sexualisierung erfährt er weder optisch noch dialogisch, ebenso wenig die anderen Männer der Geschichte.
Wenn in The Substance Moores und Qualleys Körper nebeneinander und nacheinander zu sehen sind, werden sie stets als konkurrierend angelegt, in einem Kampf, den der ältere Körper aufgrund seiner Ausgrenzung von Beginn an bereits verloren hat. Die Elisabeths selbst blicken nicht hinter die Fassade, werden nicht zu Kritikerinnen ihres Systems, sondern zu bereitwillig mitspielenden Opfern, die an ihm zugrunde gehen müssen, nur um den männlichen Gatekeepern zu gefallen. Dieser voraussehbaren Abwärtsspirale gilt es, lange zwei Stunden zu folgen. Das macht mitunter mürbe und kann nicht mehr als zum repetitiven Spiegel der endlosen, sattgesehenen Oberflächen unserer Gesellschaft werden. Weder Satire noch Body-Horror haben hier den Auftrag noch das Vermögen über die Fassade hinweg Tiefe oder eben wirkliche Substanz zu erzeugen.
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