Drei Gedanken zu Terror in der Oper

Über vielen Kultregisseuren sowie Filmklassikern schwebt bis heute ein Nimbus der Unantastbarkeit. Als hielte die Zeit höchstpersönlich ihre schützende Hand über den cinephilen Wunderköpfen und deren sexistischen Entgleisungen. Ob die blutigen Geniestreiche eines Enfant terrible wie Dario Argento mit derselben Strenge kritisiert werden dürfen wie zeitgenössische Werke, sei an der Stelle kurz beantwortet: ja. Denn wie sollen wir sonst, den langen Faden der androzentristischen Tradition in der westlichen Kulturgeschichte, der bis in die Gegenwart reicht, nachverfolgen können? Argento selbst webt fleißig an diesem Faden mit, indem er Shakespeares bösartige Gestalt der Lady Macbeth auf die Leinwand holt und versucht, ihr ein modernes Antlitz zu verpassen.

©ADC Films, Cecchi Gori Group Tiger Cinematografica, Radiotelevisione Italiana___STEADY_PAYWALL___

Der omnipräsente männliche Blick

In seinem Splatter-Reigen Terror in der Oper bedient sich Dario Argento eines recht abgegriffenen Horrofilm-Sujets: eine junge, hübsche Frau wird zur Gejagten eines obsessiven Killers, dessen Identität aus nachvollziehbaren dramaturgischen Gründen erst gegen das Ende des Films enthüllt wird. Die Geschlechterrollenverteilung scheint somit zunächst den gängigen Stereotypen zu entsprechen. Auf der passiven Opferseite trifft man auf die zierliche, rehäugige Opernsängerin Betty (Cristina Marsillach), die durch ihre zurückhaltende Art Verletzlichkeit geradezu verkörpert. Und auf der aktiven, handlungssteuernden Seite bekommt man einen sadistischen Mörder serviert, der Tatorte quasi in Bühnen verwandelt, auf denen er dem Objekt seiner Begierde, also Betty, wilde Gemetzel vorführt. Die ohnehin eindeutige Machtasymmetrie wird durch wiederkehrende Kamerafahrten aus dem Blickwinkel des Mörders zusätzlich gesteigert. Er schleicht sich an seine Opfer heran, bestimmt dabei das Tempo und den Blick. Dabei fällt seine Wahl auf attraktive Frauen, die entweder in einem knappen Kleidchen vor ihm fliehen oder so gut wie textilfrei auf weißen Laken schlafen und noch nichts von ihrem Schicksal ahnen.

Auch Betty zwingt der Killer seinen Blick auf. An eine Säule gefesselt, versieht er ihre Augen mit Nadeln, damit sie die komplette Mordszene mit ansehen muss. Und während der Killer für die Zuschauer:innen unsichtbar bleibt, wird Betty in ihrer Hilflosigkeit förmlich exponiert (in einer Szene wird sie sogar in einen Schaukasten eingesperrt). Die unerträglich langen Close ups ihres tränen- und blutüberströmten Gesichts wirken dabei verstörender als die eigentlichen Gewaltakte. Dass dabei hin und wieder die Perspektiven vertauscht werden, so dass die Szenerie durch das gefängnisartige Nadelgitter vor Bettys Augen erblickt wird, ist keine wirkliche Umkehrung der Blickverhältnisse, sondern ihre Zementierung. Betty soll die Morde allerdings nicht nur mit ansehen. Sie soll dabei sexuell erregt werden, so die Intention ihres Peinigers. Damit versucht er nicht nur die Situation sondern auch die Lust seiner Gefangenen zu kontrollieren. Oder besser, sie überhaupt erst zu konstituieren.

©ADC Films, Cecchi Gori Group Tiger Cinematografica, Radiotelevisione Italiana

Es wäre unfair, die fiktiven Leichen eines Horrorfilms nach Geschlecht gegeneinander aufzuwiegen. Denn es werden auch männliche Figuren auf eine ganz und gar unschöne Weise niedergemetzelt. Teilweise auch „oben ohne“. Jedoch enthält die Darstellung der weiblichen Opfer eine sexuelle Komponente, die bei männlichen Pendants vollkommen fehlt. So sind die langsame Kamerafahrt über einen nackten, schlafenden und wie selbstverständlich makellosen Frauenkörper oder das Herumstochern des Mörders mit einem Messer bzw. mit der Hand im Mund einer Frauenleiche nichts anderes als unverblümte Projektionen männlicher Fantasien von einem passiven weiblichen Körper, an dem man(n) seine Schaulust befriedigen kann. Die einzige Frauenfigur, die sich dieser Aneignung durch den männlichen Blick zu widersetzen versucht, ist Betty. Aber es ist nicht nur ihre (meist) legere Garderobe, die keine tiefen Einblicke gewährt. Betty währt sich auch verbal gegen absurde weibliche Zuschreibungen, wie beispielsweise die Promiskuität aller Opernsängerinnen oder die Liebe als einzige Quelle aller Frauenprobleme. Im Übrigen tut sie dies auf eine angenehm gelassene und zugleich schlagfertige Art.

Die böse Mutter und die Emanzipation der Tochter

Die zu Beginn recht eindeutig gestrickte Geschlechterkonstellation der beiden Hauptfiguren beginnt mit der Enthüllung der wahren Motive des Mörders und seiner Identität – es stellt sich heraus, dass er tagsüber ein gutaussehender, charmanter Gesetzeshüter namens Alan Santini (Urbano Barberini) ist – zu bröckeln: Eine dritte Schlüsselfigur taucht auf und ist keine geringere als Bettys verstorbene Mutter und Santinis ehemals vergötterte Geliebte. Auch sie war eine gefeierte Opernsängerin, allerdings mit einem Hang zum Sadomasochismus, im Gegensatz zu ihrer brav wirkenden Tochter.

Und hier wird nun der Shakespearesche Faden weitergesponnen: Ähnlich ihrer Bühnenrolle der Lady Macbeth fungiert Bettys Mutter als hinterhältige Antriebsfigur für Santinis grausame Taten. Um sich die Hände nicht schmutzig zu machen, nutzt sie seine Vernarrtheit und seinen sklavischen Gehorsam, um ihre eigene sexuelle Lust als Voyeurin zu befriedigen. Hiermit wird einerseits auf der Figurenebene ein weiteres Horrorfilm-Klischee bedient, und zwar das der unheimlichen, bösen Mutter, die hier den liebeshungrigen Santini für eigene Lustgewinnung benutzt. Und andererseits wird die weibliche Sexualität mithilfe der Mutter-Tochter-Dyade in ein binäres Schema hinein gezwängt, das nur zwei Extreme kennt: Paraphilie oder Frigidität. Es ist bezeichnend, dass Betty nach einer missglückten Nummer mit dem Bühnenmanager Stefano (William McNamara) sich selbst als eine Katastrophe im Bett bezeichnet und somit die Schuld für das sexuelle Fiasko auf sich nimmt. Nun, die Entscheidung für diese Vereinfachung kann man, wenn man will, mit der hehren Intention des Regisseurs rechtfertigen, die Figur der Tochter so anschaulich wie möglich von der Figur der Mutter positiv abzuheben und sie zu emanzipieren.

©ADC Films, Cecchi Gori Group Tiger Cinematografica, Radiotelevisione Italiana

Weibliche Nebenrollen

Womit der Streifen ebenfalls besticht, sind seine zahl- sowie facettenreichen weiblichen Nebenfiguren, die verhältnismäßig viel Spielraum einnehmen, mehr als drei Sätze am Stück sprechen (die männlichen Protagonisten haben dagegen entschieden weniger mitzuteilen) und dabei sehr souverän wirken. as Wohlwollen seinem Frauenensemble gegenüber soll Argento nicht abgesprochen werden. Die Damen dürfen quasi alles. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, kritisieren sie den Regisseur Marco (Ian Charleson) für seine miese Macbeth-Inszenierung. Gemeinsam oder im Alleingang begehren sie gegen den Mörder auf, ohne dabei in ein typisch hysterisches Kreischen zu verfallen. Und schaffen es sogar, für einen Moment diesen zu überlisten, wie Bettys kleine Nachbarin Alma, die ihr Idol durch den Luftschacht in Sicherheit bringt. Der einzige Preis, den sie für ihren Mut und ihre Widerspenstigkeit zu zahlen haben, ist ihr Leben. Aber dies ist zuvorderst den Spielregeln des Horrorgenres geschuldet und keinen misogynen Voreinstellungen des Regisseurs. Ansonsten wird im Film geschlechterübergreifend gestorben, was das Zeug hält.

Sieht man also von dem vorherrschenden männlichen Blick auf den weiblichen Körper und der abgegriffenen Konstruktion der weiblichen Lust ab (wobei diese teilweise durch die Heldin selbst konterkariert wird), kann Terror in der Oper sogar als einen Versuch gewertet werden, mit den tradierten literarischen Frauengestalten zu brechen. Betty gelingt mit weiblicher und männlicher Unterstützung der Ausbruch aus der wortwörtlich verfluchten Rolle der Lady Macbeth und die Befreiung von dem blutrünstigen Monster Santini, das ihre Mutter mit erschaffen und ihr gewissermaßen „hinterlassen“ hat. Die grüne Wiese, mit der Betty am Ende des Films verschmilzt, kann demzufolge als Tabula rasa für einen hoffnungsvollen Neuanfang gedeutet werden.

Terror in der Oper ist noch bis zum 26. April 2021 in der Arte-Mediathek verfügbar

über die Gast-Löwin

Julia Turbina hat an der deutschen Ostküste Slawische Literaturwissenschaften und Migration & Diversität studiert und versucht nun, in der Verlagshochburg Leipzig, als freie Übersetzerin Fuß zu fassen. In Mußestunden verarbeitet sie auf ihrem Blog über alles und nichts in Bild und Wort die charmanten Banalitäten des Lebens und ihre migrantischen Erfahrungen, die sie ohne Filme und Literatur wohl kaum unbeschadet überstanden hätte. Als Dank seziert sie diese nun schonungslos hinsichtlich ihrer blinden sexistischen Flecken.