Kurzfilmtage 2016: Zeitlose Einsamkeit und Wärmekörperbilder

So viele Filme: Der Vor- und Nachteil eines Kurzfilmfestivals ist die Menge an zu verarbeitenden Eindrücken, denn in nur 90 Minuten hat mensch bereits sechs oder sieben Filme gesehen. Es ist zumindest mir dabei nicht möglich, jedem einzelnen Film gerecht zu werden. Deshalb habe ich aus dem von mir gesichteten Teil des Deutschen Wettbewerbs bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen meine drei Favoritinnen herausgesucht:

© Sarah Drath

© Sarah Drath

Telefon Santrali – Die Ruhe des analogen Zeitalters

Telefon Santrali von Sarah Drath, mit dem 3Sat Förderpreis ausgezeichnet, spielt in einer anachronistischen Telefonzentrale irgendwo in der Türkei. Eine einzige Angestellte sitzt ruhig und konzentriert vor einem einzigen antiken Telefonapparat und wartet auf Anrufe. Das großzügige „Büro“ ist spärlich eingerichtet und die Leere des Raumes strahlt eine für diesen spezifischen Arbeitsort recht ungewohnte Ruhe aus: von Stress keine Spur. Die Kleidung der Telefonistin und der antike Apparat bilden einen zeitlos wirkenden Anachronismus, der auf den symbolhaften Charakter und die Metaebene des Films verweist.

Die freundliche und in ihrem Job augenscheinlich versierte Angestellte beantwortet mit vollendeter Ruhe verschiedene Anrufe. Ein Mensch möchte mit dem Krankenhaus, ein anderer mit Atatürk verbunden werden. Und dann ruft ihre Mutter an und blockiert damit die Leitung – ein Moment subtilen Humors, der in der Absurdität des Settings durch seine Alltäglichkeit einen Anknüpfungspunkt für das Publikum bietet. Am Ende klingelt es an der Tür und ein Bote überbringt Baklava, die wie er erklärt übers Internet bestellt wurden. „Übers Internet?“ wundert sich die Telefonistin. Dabei bleibt unklar, ob sie sich über die Bestellung oder „dieses Internet“ im Allgemeinen wundert.

Durch den Baklava-Boten bricht plötzlich die Zeit in die Geschichte ein. Der anachronistische, zeitlose Raum droht durch den Einfall der modernen Technologie zu zerschellen, die Ruhe zu zerbrechen. Doch die Telefonistin ist dieser Herausforderung der Moderne gewachsen. Sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und nimmt sich die Zeit, ihre Baklava zu genießen.

Telefon Santrali zeigt auf überspitzte Art und Weise und mit einer großen Portion Nostalgie die Ruhe der analogen Welt. Aber Sarah Drath plädiert hier wohl kaum für die tatsächliche Rückkehr zur manuellen Vermittlungen von Telefonaten. Viel mehr führt sie ihrem Publikum vor Augen, wie wichtig der bewusste Umgang mit digitaler Kommunikation und ihrem rasanten Tempo für das menschliche Wohlbefinden ist. Wir dürfen und sollten das Internet auch mal vor der Tür lassen und in Ruhe Baklava essen.

Plateau – Das gestrandete Individuum

Plateau von Vanessa Nica Mueller erzählt keine Geschichte, nicht einmal eine abstrakte. Plateau erzählt alleinig auf der Bildebene, ohne jeglichen Dialog ein Gefühl und zeigt Menschen an postapokalyptisch wirkenden, verlassenen Orten. Ein Mann, der suchend durch leere Straßen zieht und nichts findet als seine eigene Einsamkeit. Zwei Frauen, die in einem spärlich möblierten Raum sitzen und nicht miteinander in Beziehung treten können – selbst dann nicht, als sie sich erblicken. Mit dem großzügigen Breitbildformat kreiert Mueller Orte mit einer paradoxen Sogwirkung. Wie sie selbst in der Anmoderation ihres Films sagte, überträgt sich nicht nur innere Einsamkeit auf die Wahrnehmung von Orten, sondern es sind auch einsame Orte, die Gefühle der Einsamkeit produzieren. Es ist diese Einsamkeit und Isolation, die Plateau auf seine Zuschauer_innen überträgt. Und das, obwohl sie alle miteinander in einem prall gefüllten Kinosaal sitzen.

© Vika Kirchenbauer

© Vika Kirchenbauer

Wärmerkörperbilder in SHE WHOSE BLOOD IS CLOTTING IN MY UNDERWEAR

SHE WHOSE BLOOD IS CLOTTING IN MY UNDERWEAR, ausgezeichnet mit dem Hauptpreis des deutschen Wettbewerbs, ist der auf den ersten Blick verstörende Titel eines filmischen Experiments von Vika Kirchenbauer, das mit einer Wärmekamera die zart-harte Interaktion zweier Körper beobachtet. Kirchenbauer selbst ringt mit Spielpartner Max Göran in einer Art erotischen Play-Fights. Die Wärmebilder fangen Würgemale ein, Druckstellen, Berührungspunkte. Flüssigkeit fließt als schwarze Brühe über schneeweiße Körper, die durch die Wärmebildaufnahmen nahezu transparent wirken. Vikas Kirchenbauers Film macht Körper auf eine ganz neue Art und Weise erfahrbar, anonymisiert sie durch das ebenmäßige Wärmebild und lässt sie auf berührende Weise zerbrechlich wirken. Zärtliche Intimität mischt sich mit einem Spiel aus Dominanz und Unterwerfung, so wie auch die beiden Körper manchmal miteinander zu verschmelzen scheinen. Wo hört das Ich auf und wo beginnt das andere? Und gibt es auf diese Frage überhaupt eine klare Antwort?

Sophie Charlotte Rieger
Letzte Artikel von Sophie Charlotte Rieger (Alle anzeigen)