Gut gebrüllt: Gloria Endres de Oliveira

© Philipp Bartz

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In meiner Artikel-Reihe Gut gebrüllt möchte ich regelmäßig Filmlöwinnen unterschiedlicher Professionen in Interviews und Portraits vorstellen. Den Anfang macht Gloria Endres de Oliveira, ihres Zeichens Regisseurin, Fotografin, Schauspielerin und Autorin, mit der ich im Interview über ihre Arbeit, die Definition von Weiblichkeit und die Herausforderungen für Frauen in der Filmindustrie gesprochen habe.

Du bist Schauspielerin, Fotografin, Filmemacherin und Autorin, schreibst feministische Texte über Filme. Bist du das eine mehr als das andere?

Für mich befruchtet das eine das andere, ich kann diese Tätigkeiten nur schwer voneinander trennen. Ich brauche einfach beides – das Performative, das mich Einlassen und Interpretieren der Visionen anderer Künstler_innen und das Umsetzen meiner eigenen Ideen. Wenn eine Seite zu lange zu kurz kommt, bin ich unglücklich und unausgeglichen. Was Film betrifft, halte ich es für förderlich und inspirierend, sich mit der kompletten Bandbreite des Filmemachens auseinander zu setzen, weshalb ich auch sehr gerne mit Regisseur_innen arbeite, die sich selbst schon einmal schauspielerisch ausprobiert haben (und andersherum).

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© Gloria Endres de Oliveira

Deine Fotografien zeigen vornehmlich junge Frauen in sehr „mädchenhaften“ Bildkompositionen. Die Bilder wirken oft verträumt und sehr sanft. Wie kommt es, dass Du fast ausschließlich Frauen fotografierst?

Ich mag Frauen und fühle mich zu ihnen hingezogen, fühle mich unter ihnen zuhause. Die abgebildeten Frauen sind keine mir fremden Berufsmodels, ich fotografiere so gut wie ausschließlich meine engsten Freundinnen.

Ab und an fotografiere ich auch Männer, jedoch inszeniere ich sie immer sehr feminin – viele dieser Modelle erzählen mir dann, wie sie als Kind gerne mit Meerjungfrau-Barbies spielten und lange, gelockte Haare hatten, sich jedoch spätestens im Grundschulalter einem gewissen Männlichkeitsanspruch beugen mussten. Mit meinen Werken möchte ich für einen schamlosen Umgang mit Mädchenhaftigkeit plädieren, jenseits vom Male Gaze und binären Geschlechteransprüchen.

Gibt es einen Grund, warum die Frauen auf Deinen Bildern so zart wirken?

Interessanterweise werde ich selbst oft als zart beschrieben, kann mich mit dieser Einschätzung jedoch überhaupt nicht identifizieren. Ich glaube, Zartheit ist oftmals ein Synonym für eine gewisse Mädchenhaftigkeit – in meinen fotografischen Arbeiten möchte ich mich mit eben dieser Mädchenhaftigkeit und ihrer Codierung auseinandersetzen und damit einhergehende Stereotype hinterfragen, mit denen ich selbst, als „mädchenhafte Person“, oft konfrontiert werde – Stereotype wie Fügsamkeit, Schwäche, Artigkeit, eine gewisse Sanftmut, harmlos, hübsch sein, Mütterlichkeit. Die Farben und Texturen der Bilder sind sanft, die Mädchen sind es jedoch nicht, sie sind auch nicht harmlos und artig, sie widersetzen sich jeder Aufforderung, doch mal zu lächeln.

© Gloria Endres de Oliveira

© Gloria Endres de Oliveira

Auch die Protagonistin in Deinem Kurzfilm Tub wirkt sehr fragil und in gewisser Weise ausgeliefert. Gibt es eine Verbindung zwischen Deiner Fotografie und diesem Film?

Während ich bei meinen Fotografien wert darauf lege, dass meine Protagonistinnen trotz ihrer Mädchenhaftigkeit stark und unabhängig wirken, ging es mir bei Tub darum, eine Geschichte zu erzählen, in der eine Frau an gesellschaftlichen Anforderungen und patriarchalen Strukturen letztendlich zerbricht. Wie die Mädchen auf meinen Bildern flüchtet sie sich in Traumwelten, sie befindet sich in einer fast buchstäblichen Seifenblase – kann darin jedoch nicht bestehen.

Dein Film ist eher experimentell. Kannst Du – ohne uns die Interpretation vorwegzunehmen – in wenigen Sätzen sagen, was der Kern des Konzepts ist, also worum es (für dich) geht?

Die Hauptfigur ist eine Art Ophelia, der Ort ist inspiriert von psychiatrischen Anstalten des 20. Jahrhunderts und den dort stattfindenden Behandlungen der sogenannten „Hysterie“. Das Wort Hysterie leitet sich vom altgriechischen Ort für Gebärmutter ab – weibliche Sexualität wurde pathologisiert, Spuren davon lassen sich noch in der heutigen Gesellschaft wiederfinden.

Der Film besitzt eine mehr oder weniger lineare Struktur, da er die Entwicklung der Hauptfigur chronologisch widergibt – jedoch wollte ich bewusst keine eindeutige Handlung darstellen und auch den Ort des Geschehens und die Protagonisten nicht klar benennen, um eine unsichere, bodenlose Atmosphäre zu schaffen, in der nichts ist wie es scheint.

© Gloria Endres de Oliveira

© Gloria Endres de Oliveira

Was war der Auslöser um diesen Film zu machen?

Ich interessiere mich schon lange für Found Footage, das Potential, dass dieses Genre oder diese Methode hat. Filme wie The Blair Witch Projekt, aber auch das Video in The Ring (2002) und die Homevideo Aufnahmen in Twin Peaks, die Laura Palmer und Donna Hayward bei einem Picknick zeigen, haben mich sehr geprägt. All diese Videos haben gemeinsam, dass sie das Unterbewusstsein der jeweiligen Protagonist_innen repräsentieren und deren Leid, die Probleme und zwischenmenschliche Konflikte reflektieren. Innerhalb einiger Kulturen, beispielsweise mancher indigener Völker Südamerikas, herrscht die Überzeugung, fotografische Aufnahmen würden einen Teil der Seele der abgebildeten Person rauben. Mit Tub wollte ich dieses Themengebiet untersuchen – die Fähgikeit von Bildaufnahmen, etwas Metaphysisches, das Unterbewusstsein, die Essenz einer Person festzuhalten.

Ich interessiere mich außerdem sehr für Märchen, deren psychoanalytische und feministische Auslegungen (ich bin aus dem Grund ein sehr großer Fan Angela Carters), weshalb Tub in gewisser Weise eine Interpretation von Andersens Die Kleine Meerjungfrau ist.

Was ist für Dich beim Prozess des Filmemachens die größte Herausforderung?

Finanzierung! Es scheint in Deutschland sehr schwer zu sein, eine Kinokultur aufrecht zu erhalten, die nicht durch Senderansprüche und somit durch eine Fernsehästhetik beeinflusst ist. Ich beobachte momentan, wie einige meiner FreundI_innen, die frisch von der Filmschule kommen, an ihren Debütspielfilmen arbeiten und hart dagegen kämpfen müssen, einen „Pakt mit dem Teufel“ einzugehen, der lediglich zu faulen Kompromissen führt. Wenn man das nicht möchte, gibt es natürlich inzwischen die Möglichkeit des Crowdfundings – ich weiß allerdings nicht, ob ich sie bei einem meiner eigenen Projekte nutzen würde. Ich scheue mich davor, zu viel über einen potentiellen Film preiszugeben, bevor er überhaupt entstanden ist. Oftmals entzaubert dies ein Projekt.

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© Gloria Endres de Oliveira

Bist Du als Frau mit anderen Herausforderungen konfrontiert als männliche Kollegen?

Gewisse gesellschaftliche Strukturen schlagen sich natürlich auch beim Filmemachen nieder –  beispielsweise las ich neulich einen interessanten Artikel zum Thema Dominanzverhalten, der sich mit meinen Erfahrungen deckt. Das Filmgeschäft ist immer noch von einer „Glasceiling“ bedeckt, an dem Frauen sich den Kopf stoßen, wollen sie außerhalb traditionell „weiblicher“ Bereiche (Kostümbild, Maskenbild, Casting) Fuß fassen. Das Ungleichgewicht zwischen den Arbeiten männlicher und weiblicher Filmemacher_innen in den Programmen bedeutender Festivals wie Cannes ist unheimlich deprimierend, ganz zu schweigen davon, dass dieses Jahr schon wieder, wie es die Regel ist, keine Einzige Frau als „Best Director“ bei den Academy Awards nominiert ist. Ich glaube und hoffe aber, dass sich die Lage langsam bessert – in den Filmhochschulen und unter jungen Filmemacher_innen scheint das Geschlechterverhältnis um einiges ausgeglichener. Allerdings besteht die Gefahr, dass die jungen Filmemacherinnen rasch von der Bildfläche verschwinden, sobald sie ihren Abschluss in der Tasche haben, solange in Festivaljuries, Gremien etc. sexistische Strukturen herrschen.

Und was tun wir am Besten dagegen?

Ich persönlich glaube, wir müssen zusammenhalten, uns gegenseitig nicht als Konkurrenz wahrnehmen, sondern einander fördern – ich bin seit geraumer Zeit dabei, mir ein kleines Netzwerk aus Filmemacherinnen aufzubauen, was sich bisher als wahnsinnig inspirierend und ermutigend erweist.

Mehr zu Gloria Endres de Oliveira findet ihr auf der Webseite ihrer Schauspielagentur. Wer über ihre kreative Arbeit auf dem Laufenden bleiben will, schaut am Besten auf ihrem Tumblr vorbei.
Sophie Charlotte Rieger
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