Gast-Löwin: Into the Wild 2020 – Drei Teilnehmerinnen im Interview

Das Mentoring-Programm Into the Wild wurde 2017 von Regisseurin Isabell Šuba (Männer zeigen Filme, Frauen ihre Brüste) ins Leben gerufen und soll Studentinnen und Absolventinnen deutscher Filmhochschulen bei Berufseinstieg und Netzwerkbildung unterstützen. Im Frühjahr 2020 wurden aus rund 80 Bewerbungen 13 Teilnehmerinnen für den zweiten Jahrgang ausgewählt, der bereits gestartet ist. Gast-Löwin Maxi Braun hat mit drei der Teilnehmerinnen des aktuellen Jahrgangs über ihre bisherigen Erfahrungen gesprochen. Alle drei befinden sich in unterschiedlichen Stadien ihrer Karriere: Jelena Ilic studiert derzeit an der KHM in Köln, Luise Brinkmann konnte mit ihrem Abschlussfilm (Beat Beat Heart, 2016) direkt ein Kinodebüt vorlegen und versucht jetzt, sich zu etablieren. Anna Ditges hat mit Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin und Wem gehört die Stadt – Bürger in Bewegung bereits zwei erfolgreiche Dokumentarfilme und kämpft nun für ihr Spielfilmdebüt. 

Jelena Ilic – „Es gibt ständig ungefragte Ratschläge”

Into the Wild Teilnehmerin Jelena Ilic

© Martin Paret

Jelena Ilic studiert seit 2014 an der Kunsthochschule für Medien in Köln, wo sie auch als Regisseurin und Fotografin tätig ist. Ihr preisgekrönter Film Euphrat ist Teil des Katalogs der AG Kurzfilm und lief unter anderem auf dem Filmfest Dresden und dem Kurzfilm Festival Hamburg. Derzeit arbeitet sie an ihrem Diplomfilm Kein Etwas.

Maxi: Mit welcher Idee haben Sie sich beim Into the Wild beworben?

Jelena: Ich mache einen Film über einen Hinkelstein, der mir im Alter von fünf Jahren ins Gesicht gefallen ist. Ein Familienportrait sozusagen.

Haben Sie selbst schon Geschlechterungerechtigkeit im Beruf erlebt?

Im Studium befinde ich mich in einer Blase, in der meine männlichen Kommilitonen nicht über mir stehen. Natürlich gibt es ständig ungefragte Ratschläge und man muss oft erklären, warum Szenen, Drehbücher oder Dialoge sexistisch sind, aber wir Feminist*Innen passen da ganz gut auf. Aber ja, auch das ist eine Form von Aufklärungsarbeit, die meistens bei uns liegt und Zeit und vor allem Nerven kostet.

Wie sind Ihre Erfahrungen bei Into the Wild bisher?

Ich bin unfassbar beeindruckt und inspiriert von den anderen Teilnehmenden, extrem motiviert und freue mich sehr auf den Austausch und die anderen Projekte – es gibt so viel zu lernen.

Wagen Sie eine Utopie: Wie sieht das (deutsche) Filmbusiness 2030 aus?

Machtmissbräuchliche Strukturen wurden eliminiert und die Quote gibt es inzwischen seit Jahren. Die Zeiten in denen Männer für „feministische“ Filme, in denen nur junge Frauen beim Sex zu sehen sind, gefeiert werden sind lange vorbei. Die Gehälter sind gestiegen: Frauen in der Regie verdienen jetzt die nächsten Jahre 36% Prozent mehr als ihre männlichen Kollegen, als Ausgleich für die letzten Jahre sozusagen. Jedes Set hat inzwischen eine eigene Kinderbetreuung und einen auch für Eltern gerechten Drehschluss. Und während ihrer Periode haben Frauen Anspruch auf bezahlten Urlaub und kostenlose Menstruationsartikel sponsored by ARRI. In den Filmschulen sind Antirasismuss- und gewaltfreie Kommunikations-Seminare Pflichtveranstaltungen und Drehbücher werden vor der Umsetzung auf sexualisierte und stereotypisierte Rollenbilder von Frauen und Mädchen geprüft und ggf. korrigiert.

Luise Brinkmann – „Wir wollen einen frischen Blick“

Into the Wild Teilnehmerin Luise Brinkmann

© Luise Brinkmann

Luise Brinkmann war als ausgebildete Mediengestalterin Bild & Ton viele Jahre in diversen Bereichen der Kino- und Fernsehfilmproduktion tätig, bevor sie Filmregie in England und an der ifs internationale filmschule Köln studierte. Ihr Abschlussfilm Beat Beat Heart war 2016 zugleich ihr Kinospielfilmdebüt. Aktuell entwickelt sie zwei neue Kinofilmprojekte sowie eine Serie und coacht Schauspieler:innen und Regisseur:innen in der Improvisation für Film.

Maxi: Mit welcher Idee haben Sie sich bei Into the Wild beworben?

Luise: Ich arbeite in diesem Jahr an einer gottlosen Komödie, die sehr bunt und lustig wird.

Haben Sie selbst schon Geschlechterungerechtigkeit im Beruf erlebt?

Auf jeden Fall bei der Vergabe von Jobs. Früher ist mir das nicht so bewusst aufgefallen. Doch ich bin Mitglied bei Pro Quote Film und setze mich auch schon länger für Gleichberechtigung ein und mich selbst damit auseinander. Außerdem bin ich auch schon ein paar Mal angefragt worden mit Sätzen wie „Der Sender will eine Frau“ oder „Wir wollen einen frischen Blick“. Vor allen Dingen seit den Bemühungen um die Quote. Mindestens die Hälfte dieser Anfragen ging am Ende dann aber doch an einen Mann, der es schon hundert Mal gemacht hat.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Into the Wild bisher?

Ich schätze die Betreuung durch meine Mentorin, die Dramaturgin, Isabell Šuba und all die anderen Frauen, die zusammen mit mir in diesem Jahr dabei sind, sehr. Wir tauschen uns jetzt schon viel aus, geben einander Feedback zu den unterschiedlichsten Fragen und diskutieren. Ich glaube, das wird gut!

Welche Erwartungen haben Sie insgesamt an das Programm?

Ich erwarte, dass ich durch das Programm (noch)mal einen Einstieg in die Branche bekomme. Meinen Abschluss habe ich vor ein paar Jahren mit einem Kinofilm gemacht. Das war schon gut. Danach wollten einige mit mir arbeiten. Doch am Ende hat es dann doch nicht zum „Ja“ gereicht und ich musste mein Geld mit anderen Jobs verdienen, meine Filme weiter ohne Förderung drehen. Ich habe das Gefühl, dass ich durch Into the Wild auf jeden Fall nochmal anders wahrgenommen werde, mein Netzwerk ausweiten kann. Und ich freue mich auf die Arbeit mit den ganzen tollen Frauen und auf die Arbeit an meinem Stoff.

Wagen Sie eine kleine Utopie: Wie sieht das (deutsche) Filmbusiness 2030 aus?

2030 gibt es in allen Departments so viele Frauen wie Männer wie nonbinäre Menschen, so viele BIPOC wie Weiße, so viele Alte wie Junge. LGBTQueer People, Menschen mit Behinderung sind regelmäßig sichtbar, ohne dass es um sexuelle Identität oder Behinderung geht. Es gibt genauso viele Frauen in Hauptrollen wie Männer. Mindestens. Und das nicht nur in Kinder- und Jugendfilmen. Liebeskomödien mit zwei Frauen laufen nicht im Sonderprogramm, sondern sonntagabends im Herzkino ZDF – und ich führe dabei Regie.

Anna Ditges – „Warum sollen wir ausgerechnet dich im Spielfilmbereich fördern?“

Into the Wild Teilnehmerin Anna Ditges

© Heide Schneeberger 2019

Anna Ditges schloss 2002 ihr Diplom an der Kunsthochschule für Medien Köln ab und arbeitet als Autorin und Regisseurin in Köln. 2008 realisierte sie mit Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin ihr Dokumentarfilmdebüt, bei dem sie für Regie, Buch, Kamera und Schnitt verantwortlich zeichnete. 2015 folgte mit Wem gehört die Stadt – Bürger in Bewegung ihr zweiter Dokumentarfilm. Zwischen 2018 und 2019 war sie Meisterschülerin der DrehbuchWerkstatt München. Im Rahmen von Into the Wild entwickelt sie aktuell ihren Debütspielfilm Schwester Sofias Reise.

Maxi: Mit welcher Idee haben Sie sich bei Into the Wild beworben?

Anna: Schwester Sofias Reise ist eine sehr persönliche Drehbuchidee für einen Spielfilm über eine katholische Ordensschwester, bei dem ich auch die Regie führen werde. Ich arbeite schon mehrere Jahre an dem Stoff und habe Drehbuchförderung der Film- und Medienstiftung NRW dafür erhalten, was mich sehr freut.

Haben Sie selbst schon Geschlechterungerechtigkeit im Beruf erlebt?

Meist läuft das sehr subtil ab, das ist ja das, was es so schwierig macht für viele Frauen und letztlich auch für die Gesellschaft. In der Vergangenheit bin ich als Regisseurin aufgrund meiner Dokumentarfilmerfahrung oft in diese eine Schublade gesteckt worden. Nachwuchsredakteure haben mir trotz meines Regie-Studiums und diverser Weiterbildungen ins Gesicht gesagt: „Warum sollen wir ausgerechnet dich im Spielfilmbereich fördern?“. Die FFA nennt dieses Phänomen in ihrer Studie zu „Gender und Film“ den „Labeling-Effekt“, der erwiesenermaßen bei Frauen besonders ausgeprägt ist. Aber ich gebe nicht auf, sondern bilde mich kontinuierlich in Schauspielführung fort, bis man mir dann einfach nicht mehr Nein sagen kann.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Into the Wild bisher? 

Es herrscht eine Stimmung bedingungsloser, gegenseitiger Unterstützung. Aber dabei auch der Anspruch, einander offen die Meinung zu sagen. Das ist wichtig. Großartig sind auch die individuelle dramaturgische Beratung und der Beistand einer erfahrenen Mentorin über den Zeitraum eines ganzen Jahres hinweg. Ganz zu schweigen von den Talks mit erfolgreichen Frauenpersönlichkeiten aus der Filmbranche, die ganz offen über ihren Werdegang sprechen. 

Welche Erwartungen haben Sie insgesamt an das Mentoring-Programm?

Ich bin gespannt, Schwester Sofias Reise im Austausch mit den anderen Teilnehmerinnen auf den Prüfstand zu stellen. Außerdem bin ich neugierig, mehr darüber zu erfahren, was alle anderen für Projekte mitbringen. Wir werden uns gegenseitig Mut machen und es ist schon jetzt klasse, Teil eines sich unterstützenden Netzwerks von Frauen zu sein.

Wagen Sie die Utopie in Gedanken: Wie sieht das (deutsche) Filmbusiness 2030 aus?

Es gibt Filme mit Protagonistinnen und Heldinnen aller Altersklassen in mannigfaltigen Rollen und in ungewöhnlichen Geschichten zu sehen. Ich sehe eine Filmbranche, in der es selbstverständlich ist, dass Frauen jeglicher Herkunft Regie führen und die Entscheidungen treffen.


© Maxi Braun

Über die Gast-Löwin:

Maxi Braun lebt und arbeitet als freie Journalistin und gelegentliche Fotografin im Ruhrgebiet, von dem sie sich einfach nicht losreißen kann. Außerdem ist sie in der Festivalarbeit, u.a. für das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund | Köln, tätig. Sie schreibt über Film und Feminismus z.B. für das Missy Magazin, an.schlaege oder Ray und manchmal auch über andere Themen. Mehr unter rodeozebra.eu