Familienfreundlichkeit und die Filmbranche
Dieser Text ist eine gekürzte Fassung der Keynote, die Belinde am 21.2. beim „Familiengerechtes Drehen – der konkrete Kongress“ von Pro Quote Film gehalten hat. Ihr erster Text zu diesem Thema erschien am 14.4.2014 in ihrem Blog SchspIN – Gedanken einer Schauspielerin unter dem Titel „Kinder, Kino, Karriere: wie familienfreundlich ist die Filmbranche?“
Familienfreundlichkeit und die Filmbranche
Hintergrund
Familien sind in der Film- und Fernsehbranche sehr beliebt – als Publikum, als Zielgruppe. Aber um diese Familienfreundlichkeit soll es hier nicht gehen, sondern um die Vereinbarkeit von Familie und beruflicher Karriere vor oder hinter der Kamera.
Die Erwerbstätigenquote von Eltern mit Kindern unter sechs Jahren in Deutschland zeigt, dass Väter zu 80 – 90 % arbeiten, egal ob sie ein, zwei oder drei Kinder unter sechs Jahren haben. Nur jede zweite Mutter geht in der gleichen familiären Situation einer Erwerbstätigkeit nach.
Von berufstätigen Frauen mit minderjährigen Kindern, also Kindern unter 18 Jahren, arbeitet der Großteil in Teilzeit, egal ob gewünscht oder notgedrungen. Männern mit minderjährigen Kindern sind nur zu 5 % in Teilzeit.
In einer kürzlich erschienenen Studie (Jörg Langer 2022) gaben 43 % der befragten Filmschaffenden an, Kinder zu haben und alleinerziehend oder in einer Beziehung zu leben. Gleichzeitig sagten mehr als zwei Drittel der Befragten (79 %), dass Filmberuf und Familie nur schwer oder gar nicht zu vereinbaren seien.
Wohlgemerkt, bei Familienfreundlichkeit geht es nicht nur um Eltern kleiner oder mittlerer Kinder, sondern auch um Menschen, die ältere Angehörige pflegen, oder deren Partner oder Partnerin schwer krank ist, und die mit der Filmbranche verbunden bleiben wollen.
Best Practice
Aus Dänemark hören wir Nachahmenswertes. Dort gilt der acht Stunden Arbeitstag, zu dem sich die großen Produktionsfirmen und Sender verpflichtet haben. Nicht wie hier acht Stunden Kamerazeit und insgesamt ein zwölf Stunden-Tag, der auch noch öfter überzogen wird. Und trotzdem werden Projekte in vergleichbaren Drehzeiträumen abgedreht. Dann gibt es z.B. Projekte wo die Verantwortlichen sagten: Wir drehen auswärts, alle wollen am Wochenende bei ihren Kindern sein, also machen wir die Drehtage länger und drehen dafür nur vier Tage.
Welche Möglichkeiten gibt es sonst für Eltern in der Filmbranche?
- Sie können es wie Jacinda Ardern machen, deren Partner die Kinderbetreuung übernahm.
- Oder wie Birgitte Nyborg aus der dänischen Serie BORGEN. Als ihre Teenage-Tochter psychisch erkrankte hat sie sich vorübergehend von ihrem Amt als Regierungschefin beurlaubt.
- Die dritte Lösung ist eine bezahlte Kinderfrau während der Produktion.
Dies wird bei uns hauptsächlich Regisseurinnen und Hauptdarstellerinnen ermöglicht. Da gibt es einen Rückzugsraum am Set wo sie ihr Kind in Ruhe stillen oder Milch abpumpen können. Da ist die Nanny auch bei Auswärtsdrehs dabei, ihr Flug wird bezahlt, ihre Unterkunft, ihre Verpflegung. Nur den Arbeitslohn zahlt die Mutter.
Nur eben nicht jede Mutter. Für die Regieassistenz, die Tonanglerin, die Maskenbildnerin mit Säugling oder Kleinkind gibt es das nicht. Und eine Schauspielerin, die nicht die Hauptrolle spielt will man nicht mehr so gerne besetzen sobald sie schwanger ist, weil das vielleicht Probleme mit der Versicherung macht.
Die Sache mit dem Geld
Frauen verdienen leider auch in der Filmbranche weniger als Männer, Schätzungen gehen von mindestens 30 % Gender Pay Gap aus. Der kann aber schnell größer sein, in einzelnen Gewerken oder individuell.
Mitte Februar hieß es in einem Grundsatzurteil vom Bundesarbeitsgericht, dass Equal Pay nicht vom Verhandlungsgeschick abhängen darf und dass gleichwertige Arbeit gleich bezahlt werden muss. Das hätte eigentlich Diskussionen in der Filmbranche auslösen müssen. Die blieben aber aus.
Stattdessen haben wir hier neben dem Gender Pay Gap auch noch den Status Pay Gap, z.B. beim Schauspiel.
Der bedeutet, dass die Hauptrollen im Vergleich zu den Kolleg:innen mit kleineren Rollen unverhältnismäßig viel mehr verdienen. Marktwert und Verhandlungsgeschick, mehr Sichtbarkeit, mehr Filmpreise – wo natürlich die Frauen auch wieder benachteiligt sind, weil es für sie deutlich weniger Rollen gibt.
Vielleicht sind Staffelgagen mit Mindest- und Obergrenzen ein Ansatz?
Was wir im Augenblick z.B. bei Fernsehfilmen haben, ist, dass die männliche Hauptrolle oft deutlich mehr verdient als die männliche Regie, die wiederum mehr als die weibliche Regie bekommt, und die weibliche Hauptrolle kriegt auf die ganze Produktionszeit bezogen immer noch sehr viel, aber deutlich weniger als die männliche Hauptrolle.
Es gibt die größeren Nebenrollen und dann die kleinen mit ein, zwei, drei Drehtagen. Da heißt es öfter, wir haben leider nicht viel Geld, weil die Hauptrollen soviel kosten, kannst du auch mal für weniger als üblich arbeiten? Das lehnen die wenigsten ab.
Inwieweit ist das für Kinderbetreuung wichtig? Erst mal hat die Darstellerin kleiner Rollen weniger Geld. Und zum zweiten möchte sie den Kontakt zur Branche behalten, auch in der Kinder- oder auch Pflegezeit. Sichtbarkeit ist ein elementarer Bestandteil der Arbeit – das müsste in unserer Branche gut gehen, weil man da ja keine Dauerbeschäftigung hat sondern einzelne Projekte, mit mal mehr mal weniger Drehtagen. Nur wenn die Gagen so niedrig sind und komplett für die Kinderbetreuung draufgehen, funktioniert das natürlich nicht.
Dazu kommt das Problem mit den Sperrtagen. In Großbritannien darf eine Hauptrolle nicht gleichzeitig mehrere Produktionen drehen. Hier darf sie das. Sie kann sogar Projekte verschieben lassen, weil sie noch ein anderes angenommen hat.
Die Nebenrollen, die für ein, zwei, drei Drehtage verpflichtet werden, müssen für den ganzen Zeitraum zur Verfügung stehen und erfahren vielleicht erst kurz vor Drehbeginn, ob sie die Rolle haben oder nicht. So kann niemand planen, keine Kinderbetreuung, keine Versorgung von Schulkindern, keine Ersatzpflege für Angehörige, wenn für ein, zwei, drei Tage – womöglich in einer anderen Stadt – ein ganzer Monat freigehalten werden muss. Deshalb würde es schon einiges bringen, wenn die Hauptrollen komplett für die Drehzeit zur Verfügung stehen müssen, und die großen und kleinen Nebenrollen Sperrzeiten haben dürfen. Zur Zeit können die schnell ein Ausschlussgrund bei der Besetzung sein.
Teilzeit und Jobsharing
Teilzeitarbeit gibt in der Variante weniger Stunden täglich zu arbeiten, oder weniger Tage die Woche.
Nehmen wir als Beispiel die Kamerabteilung für einen Kinofilm, da gibt es den DoP, d.h. einen Kameramann oder eine Kamerafrau. Dazu kommt die 1. und die 2. Kameraassistenz. Wobei für diese Positionen oft viele Leute genannt werden, weil sie teilweise eingesprungen sind, als Ersatz oder zusätzlich. Das kennen wir auch aus der Maske oder dem Ton, aus vielen Bereichen. Von da ist es nicht so weit zu Jobsharing, wo sich zwei Filmschaffende eine Position teilen, nicht unbedingt an einem Tag, sondern über die Drehzeit verteilt, das muss nicht 50:50 sein, und wird in einigen Fällen bereits praktiziert.
Jobsharing vor der Kamera kennen die älteren vielleicht noch aus der US-Serie DALLAS. Die Rolle Miss Ellie wurde von zwei Schauspielerinnen gespielt (Barbara Bel Geddes und Donna Reed). Niemand hat es gemerkt. Hier in Deutschland gab es das auch, z.B. bei LANG LEBE DIE KÖNIGIN!, das hat auch funktioniert.
Ein Hindernis für Jobsharing von deutschen Filmschaffenden können aber europäische Koproduktionen sein, die im Ausland gedreht werden. Da ist ein Modell wie „ich gehe nur für einzelne Tage an den Set“ nicht mehr so leicht möglich. Dazu kommt, dass bei Auslandsdrehs ein Großteil der Crew vor Ort gebucht wird, weil die Gagen niedriger sind und es zusätzliche Steuervorteile gibt. Leider werden gerne auch aus Kostengründen (kleinere) Nebenrollen vor Ort besetzt, der Dreh läuft dann zweisprachig und es wird nachsynchronisiert. Aber das heißt natürlich, dass diese kleinen Rollen, dieses Kontakthalten zur Branche, dann nicht möglich ist. Eine kleine Rolle, die wäre für mich ideal, ich pflege einen Angehörigen, ich habe ein Kind, mein Partner ist krank, ich könnte aber eine kleine Rolle übernehmen, Geld verdienen, arbeiten, sichtbar sein. Nur klappt das nicht, wenn diese kleine Rolle vor Ort besetzt wird. Genauso schwer ist es für die Kamerafrau, die in Teilzeit arbeiten möchte.
Neue Wege ausprobieren
Wie wäre es mit einem Modellprojekt? Das wäre eine Filmproduktion, Kino oder Fernsehen, egal wo man sagt, hinter der Kamera bieten wir Jobsharing an. Wir sagen explizit, komm zu uns, wenn Du wieder langsam einsteigen willst, wenn Du Kinder hast, Wenn Du jemanden gepflegt hast oder das noch tust. Wir werden versuchen alles möglich zu machen. Wir sind das Modellprojekt, eine professionelle Filmproduktion, und wir kümmern uns um Vereinbarkeit, um Jobsharing hinter der Kamera. Und vor der Kamera, da sagen wir, okay, diese Figur ist z.B. eine Sprechstundenhilfe, eine Arzthelferin. Die wird schon ins Drehbuch geschrieben als eine jobgesharte Figur, und die wird dann auch entsprechend besetzt von zwei Schauspielerinnen. Und dann haben wir das Thema Jobsharing in der Serie drin oder in dem Film, was klasse ist, und wir ermöglichen zwei Schauspielerinnen genauso, zu arbeiten. Die Software, mit der man Drehpläne erstellt kann sehr viel, und da kann man genau solche Parameter eingeben bei den kleinen Arbeitszeiten, also diese wenigen Tage, dass die beieinander liegen, wenn das gewünscht ist oder weit auseinander, immer an einem Montag oder so, kann man ja alles probieren. Wenn wir das wollen.
Dieses Modellprojekt würde Gagentransparenz haben, es wird veröffentlicht, was alle verdienen. In dem Moment, wo drüber gesprochen wird, Schweden zeigt das, gibt es nicht mehr so große Unterschiede, denn würde man die gerne öffentlich machen? Nee, dann bezahle ich doch lieber alle gleich bzw. vergleichbar.
Corona hat Impulse gebracht, und zwar haben wir angefangen, die Präsenzkultur in Frage zu stellen. Vieles ging auf einmal digital oder von Zuhause aus, wo es vorher hieß „Du musst in die Produktionsfirma oder den Sender kommen“. Nicht nur aber natürlich auch Castings oder Bewerbungsgespräche für die Crew.
In Deutschland wird sehr viel über Gesetze, über Vorschriften gemacht. Also wäre ein sozialer Drehpass ein Weg. Man könnte sagen, wer Förderung will, muss familiengerecht arbeiten, Jobsharingmöglichkeiten anbieten, Optionen wie die Vier-Tage-Woche und flexible Arbeitszeiten, und und und.
Wir können auch schon einiges verändern über Einmischung, über Nachfragen, Neinsagen, über Solidarität. Einen Hebel hat man nicht mehr nur beim Aushandeln der eigenen Gagen, sondern auch bei den Rahmenbedingungen, unter denen wir miteinander arbeiten – wir sagen doch immer, wir sind die große Filmfamilie?
Wenn ich die Hauptrolle spiele und von niedrigen Sondergagen bei Kolleg:innen erfahre kann ich sagen, Nein, unter diesen Bedingungen spiele ich nicht mit. Wenn ich als Regisseurin die Möglichkeit habe, mein Kind mit ans Set zu nehmen mit Stillzeiten und Kinderversorgung, und dann erfahre, die Maskenbildnerin kann das nicht, kann ich sagen, nee, tut mir leid, so möchte ich nicht arbeiten.
Solidarität und Transparenz, miteinander sprechen und wahrnehmen was andere brauchen, nicht nur ich selber. Das ist der Schlüssel.
Über die Gastlöwin:
Belinde Ruth Stieve ist eine deutsche Film- und Fernsehschauspielerin. Seit 2013 arbeitet sie auch als unabhängige Analystin und Beraterin zu Gender und Diversität in Film und Fernsehen und betreibt das zweisprachige Blog „SchspIN – Gedanken einer Schauspielerin“. Im Jahr 2016 erfand sie mit NEROPATM Neutral Roles Parity, eine Methode zur Erhöhung des Anteils weiblicher Charaktere und zur Diversifizierung von Besetzungen. Sie ist u.a. ist Autorin der Serienstudie 2022 über die Beteiligung von Frauen an den kreativen Bereich Drehbuch, Creation, Showrun und Head in deutschen Produktionen 2017-21. Belinde arbeitet mit Fördereinrichtungen, Sendern, Filmverbänden, Produzenten, Festivals und Filmschulen zusammen, und natürlich mit den Filmlöwinnen.
Webseite Experstieve – Gender & Diversität https://expertise.stieve.com/