Berlinale: Die abhandene Welt
Nach nun vier Podiumsdiskussionen zum Thema der Regiequote liegt mir Margarethe von Trottas Film Die abhandene Welt besonders schwer im Magen. Nicht weil er so viel schlechter wäre als andere Beiträge im diesjährigen Berlinale-Programm, sondern weil er auf den ersten Blick wie eben jene Sorte „Frauenfilm“ wirkt, die dem weiblichen Geschlecht ungerechter Weise zugesprochen wird. Als ob Männer von Natur aus nur Thriller und Frauen Beziehungskisten drehen würden. Dieses Klischee ist ebenso fehl am Platz wie die Forderung, Regisseurinnen dürften nun keine Familiendramen mehr inszenieren, nur um das Gegenteil zu beweisen. Dämliche sexistische Zuschreibungen zu widerlegen ist nämlich Energieverschwendung.
Also lassen wir Frau von Trotta ihren Reigen über Sophie (Katharina Riemann), die in der Sängerin Caterina (Barbara Sukowa) eine Doppelgängerin ihrer jüngst verstorbenen Mutter entdeckt, in die USA reist, um der Opernsängerin persönlich zu begegnen, und infolgedessen ein Familiengeheimnis nach dem anderen aufdeckt. Lassen wir ihr auch die mehr als auffällige Charakterisierung der weiblichen Figuren als überaus taff und organisiert, während die männlichen gefühlsduselig bis unzurechnungsfähig wirken. Irgendwie ist es ja ein überfälliger Gegenschlag, der das Klischee der hysterischen Frau wirkungsvoll auf die männliche Spezies überträgt. Schon wenn Sophie zu Beginn des Film urplötzlich und scheinbar grundlos von ihrem Freund verlassen wird, schleicht sich das Gefühl ein, dass hier traditionell weiblich konnotierte Eigenschaften wie die emotionale Überreaktion – wenn auch wenig subtil – auf männliche Charaktere projiziert werden.
Über andere Schwächen kann und will ich dann aber nicht hinwegsehen. Zum Beispiel über die zuweilen hanebüchene Geschichte, die statt dramaturgisch wohl komponierter Plotpoints, Enthüllungen wiederholt buchstäblich aus Holzkistchen zaubert, bis dieser repetitive „Gott aus der Kiste“ nur noch (unfreiwillige?) Komik erzeugen kann. Das wenig überzeugende Schauspiel irritiert ebenso wie die verworrenen Familienverhältnisse, die durch das reale Alter der Darsteller noch undurchsichtiger werden. Wer ist hier eigentlich mit wem wie verwandt und können bzw. wollen wir das in Anbetracht des Alters der Menschen auf der Leinwand überhaupt glauben? Dann wieder schleichen sich merkwürdige inszenatorische Fehler ein, wie ein Grab, das zunächst mit einem Stein, später aber mit einer Tafel geschmückt ist. Versäumnis oder Ironie?
Immer wieder drängt sich der Verdacht auf, Margarethe von Trotta meine all dies nicht wirklich ernst. Die Geschichte und ihre Figuren können zu keinem Zeitpunkt überzeugen. Immer wieder entsteht eine diffuse, schwer einzuordnende Komik. Sophies Nebenjob jedenfalls, bei dem sie säkulare Trauungszeremonien durchführt, sprüht vor bitterer Komik über zum Scheitern verurteilte Ehen. Wenn sie die Paare als Vorbereitung für die Zeremonie über ihre Beziehungen befragt, schwingt der Diskurs von Lüge und Wahrheit mit. Was wir unseren Partner_innen erzählen, was lieber verschweigen wollen, ist eine individuelle und sehr subjektive Entscheidung und meist mit wohlwollenden Intentionen verbunden, selbst wenn das Gegenüber diese nicht zu schätzen weiß. Geht es vielleicht im Kern um die Frage nach dem Wert der Ehrlichkeit?
Doch selbst ein solcher Subtext kann Die abhandene Welt als Kinofilm nicht retten. Zu konstruiert ist die Handlung, zu limitiert ist sie auf eine arg begrenzte Anzahl von Personen und Spielorte. New York, wo ein großer Teil der Geschichte spielt, bleibt hier als attraktives Setting weitgehend ungenutzt. Für einen Fernsehfilm würde all dies ausreichen, aber hinsichtlich der Möglichkeiten einer großen Leinwand verschenkt von Trotta eindeutig zu viel Potential.
Um noch einmal zur Quotendiskussion zurückzukehren: Dabei geht es ja nicht darum, dass Frauen grundsätzlich bessere Filme machten als Männer, sondern im Gegenteil darum, dass jedem das Recht zusteht, auch einmal Mangelware zu produzieren. Darum dass Frauen sich nicht stärker beweisen müssen als Männer, um eine „Berufsberechtigung“ zugesprochen zu bekommen. Denn es gibt bekanntlich genug männliche Regie-Grütze. Also gestehen wir es Margarethe von Trotta zu, dass sie mit Die abhandene Welt kein Meisterwerk geschaffen hat. Oder wie meine Mutter sagen würde: Punktum und Streusand drauf.
Kinostart: 7. Mai 2015
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