Am grünen Rand der Welt – Herzblatt in Südengland
Am grünen Rand der Welt heißt der Roman von Thomas Hardy in der deutschen Version sowie in der neuen Filmadaption von Thomas Vinterberg. Far From the Madding Crowd lautet der Originaltitel. Und wäre ich gefragt worden, hätte ich mich für „Herzblatt in Südengland“ ausgesprochen, denn das ist in meinen Augen der Kern dieses romantisch-konstruierten Liebesdramas, das weder Carey Mulligans Gesangseinlage noch Matthias Schoenaerts Hundeblick retten kann.
Es geht um Bathesheba Everdeen (Carey Mulligan), eine nach eigener Aussage viel zu unabhängige Frau, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von ihrem Onkel einen großen Gutshof erbt und sich erfolgreich gegen männliche Konkurrenz behauptet. Doch darum geht es natürlich nicht. Wäre ja auch Quatsch. Immerhin stammt auch der zu Grunde liegende Roman aus dem 19. Jahrhundert und damals hatten Frauen in der Literatur natürlich nur ein einziges Ziel: die Liebe.
Wem der Name Bathsheba übrigens bekannt vorkommt, der hat wohl schon ein paar Verse aus der Bibel gelesen. Bei Bathsheba nämlich handelt es sich um die schöne, aber verheiratete Frau, mit der König David Geschlechtsverkehr hatte und deren Mann er ermorden ließ. Wie immer in der Bibel geht es auch in dieser Geschichte um die Männer – also David und Bathshebas Ehemann Uriah – während die verführte Frau passiv bleibt und auf dramaturgischer Ebene lediglich als Motor für einen männlichen Konflikt genutzt wird.
Die Bathsheba bei Thomas Hardy hat mit ihrer biblischen Namensvetterin auf den ersten Blick wenig gemein. Heiraten kommt für sie nicht in Frage, da sie keines Mannes Eigentum sein möchte. Oder wie sie es später formuliert, als sie zum wiederholten Male ein Anwärter mit dem Kauf eines Klaviers locken möchte: „I have a piano. I have no need for a husband.“ Bathsheba ist sich selbst genug. Und doch wird sie schließlich zu einer Trophäe, um die ein tödlicher Streit entbrennt.
Denn leider sehen Thomas Hardy, Drehbuchautor David Nicholls und Regisseur Thomas Vinterberg Batheshebas Rolle ein wenig anders als sie (wie überraschend… sind ja alle Männer!). Denn was der Kampf einer Frau um die ihr zustehende Unabhängigkeit, Freiheit und berufliche Gleichberechtigung werden könnte, endet als Liebesgeschichte nach dem Herzblatt-Prinzip.
„So, Bathsheba, wer darf denn nun Dein Herzblatt sein?
Vielleicht der sexy Soldat, dessen gebogener Säbel wenig subtil für sein männliches Genital steht und mit dem er so lange eindrucksvoll vor Dir rumfuchtelt, bis in Dir endlich so etwas wie sexuelles Begehren erwacht? Dessen diabolisches Glitzern in den Augen Dich deines sonst so klaren Verstandes beraubt, so dass Du all Deine Prinzipien über Bord wirfst, um Dich ihm gedankenlos und nackig in die Arme zu schmeißen?
Oder vielleicht doch der melancholische Millionär, der reiche aber einsame Nachbarsfarmer, den Du mit Deiner nicht ernst gemeinten Valentinskarte endgültig um den ohnehin schon labilen Verstand gebracht hast? Der Dir ein sicheres Heim, Wohlstand, Ansehen, aber dafür weder Liebe noch Leidenschaft bieten kann?
Oder entscheidest Du Dich vielleicht doch für den selbstlosen Schäfer, der Dir seit Jahren als stummer und innig verliebter treuer Diener zur Seite steht, jegliche männliche Konkurrenz still erträgt und trotz wiederholter Erniedrigungen deinerseits in jeder Notlage zur Stelle ist?
Gemeinsam fliegt ihr mit dem Herzblatthubschrauber nach Südengland und spaziert händchenhaltend in den Sonnenuntergang.“
Oder so.
Statt um Emanzipation geht es also um die Frage nach dem richtigen Mann, die – so schreibt das Patriarchat vor – ja ohnehin die Wichtigere im Leben einer Frau ist. Mit Bathshebas übereilter Hingabe an den sexy Soldaten, wird die weibliche Irrationalität und Schwäche ebenso unnötig überbetont wie die Abhängigkeit der weiblichen Sexualität vom männlichen Gegenüber. Erst mit dem Auftauchen Sargeant Troys (Tom Sturridge) und einzig in seiner Gegenwart legt Bathsheba Anzeichen erotischen Begehrens an den Tag.
Der Hochmut, den die Hauptfigur den übrigen Kandidaten, Farmer William Boldwood (Michael Sheen) und Schäfer Gabriel Oak (Schoenarts), gegenüber demonstriert, festigt das Klischee der erfolgreichen, aber rücksichtslosen und gefühlskalten Geschäftsfrau. Neben dem einen Mann das Opfer, neben den übrigen die diabolische Täterin – so richtig sympathisch ist keine der beiden Rollen. Damit bleibt Bathsheba meilenwert hinter dem eigentlichen stillen Helden der Geschichte zurück, der – wie schon in der Bibel – mit Gabriel natürlich ein Mann ist.
Kinostart: 16. Juli 2015
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Ich war bei dem Film persönlich sehr enttäuscht von Vinterberg. Er ist bislang ein Regisseur gewesen, der die Sozialkritik in seinen Filmen sehr stark in den Vordergrund gerückt hat, weswegen ich mir eine etwas mutigere Adaption dieser klassischen Geschichte mit Kommentar zur Gleichstellung der Frau gewünscht hätte. Ich persönlich habe Bethsheba letztendlich aber kaum als Täterin empfunden, sondern sie mit zunehmender Spieldauer immer stärker in der Abhängigkeit „ihrer“ Männer gesehen, was sich in Schlüsselszenen immer wieder ausgedrückt hat.
Schöne Kritik! 🙂
Du hast das noch mal sehr schön in Worte gefasst, was auch mir durch den Kopf ging. Ich hatte etwas völlig anderes erwartet, weniger „Herzblatt“ und mehr „Dogma“, um mal in Klischees zu denken. Und danke für’s Feedback! 🙂