Adam

Frau und Mutter zu sein ist nicht immer leicht, Freundschaft und Solidarität unter Frauen etwas Wunderschönes. Davon erzählt Maryam Touzanis Langfilmdebüt Adam, in dem sich zwischen der Witwe Abla und der schwangeren Samia eine zarte Freundschaft entwickelt. Das Drama der marokkanischen Regisseurin und Drehbuchautorin feierte 2019 bei den Internationalen Filmfestivalspielen Cannes Premiere und ist nach seinem deutschen Kinostart im vergangenen Jahr nun auf DVD und Video on Demand erhältlich.

Samia und Abla eint auf den ersten Blick nicht viel. Die Bäckerin Abla ist verwitwet und zieht ihre kleine Tochter Warda allein groß. In ihrer Nachbarschaft wird sie geschätzt und von ihrem Lieferanten Slimani umworben, scheint jedoch selbst im Umgang mit ihrer eigenen Tochter Schwierigkeiten zu haben, emotionale Nähe zuzulassen. Samia, deren Geschichte von einer wahren Begebenheit inspiriert ist, ist schwanger mit einem unehelichen Kind und kann daher nicht zurück in ihr Heimatdorf. Sie versucht sich in Casablanca durchzuschlagen, wo sie als unverheiratete Schwangere keine Arbeit findet. Als Samia eines Tages vor Ablas Tür steht, nimmt diese sie etwas widerwillig fürs Erste auf.

© Grandfilm

Die Bekanntschaft der beiden Frauen beginnt holprig. Abla wirkt zunächst abweisend, beinahe verbittert, und auch Samia ist oft verschlossen und es fällt ihr sichtlich nicht leicht, Ablas Hilfe anzunehmen. Immer wieder blitzt jedoch auch ihre Lebensfreude, Herzlichkeit und ihr fröhliches Gemüt auf, mit dem sie zunächst vor allem die kleine Warda für sich einnimmt. Durch Wardas herzerwärmende Offenheit Samia gegenüber und das gemeinsame Backen kommen sich die beiden Frauen langsam näher und öffnen sich einander. Mehr noch, sie fordern einander geradezu heraus, sich mit dem eigenen Schicksal und Schmerz, ihrer Vergangenheit und Zukunft und ihrer Rolle als Mutter auseinanderzusetzen. Dabei zeigen sie eine Wärme und Solidarität miteinander, die etwas tief in der anderen und auch im Publikum berührt.

An der Oberfläche passiert in Adam nicht viel, und Vieles bleibt ungesagt oder implizit. Es ist ein Film, der einen die Komplexität der alltäglichen Emotionen und der Beziehung der Figuren erleben lässt, statt sie ausführlich zu analysieren oder durch eine dramatische Handlung zu verstärken. „Ich wollte ihre Wahrheit auf die Leinwand bringen und ihr Schweigen sprechen lassen“, sagt Touzani über ihren Film, und tatsächlich kommen einige der emotional stärksten Szenen vollständig ohne Dialoge aus. Lubna Azabals und Nisrin Erradis kraftvolles und bewegendes Schauspiel vermittelt mit ausdrucksstarker Mimik und sanften Bewegungen, was nicht gesagt werden muss oder kann. Das macht Adam zu einem sehr ruhigen und körperlichen Film, der es ermöglicht, Ablas und Samias Einsamkeit und Verletzlichkeit, ihre (Mutter)Liebe und ihre Lebensfreude inmitten ihres Schmerzes zu verstehen und mitzufühlen, selbst wenn sie selbst diese Gefühle nicht immer einander oder sich selbst eingestehen.

© Grandfilm

Der sanfte, emotionale Blickwinkel des Films wird verstärkt durch Virginie Surdejs schlichte und doch abwechslungsreiche Kameraführung. Mal unruhig, fast schon schwindelerregend vermittelt sie dem Publikum das Gefühl ganz nah bei den Figuren zu sein, ihre aufgewühlten Emotionen mitzufühlen. An anderen Stellen ist sie ruhig, verweilt auf fast schon sinnliche Art auf Details oder zeigt Bilder, deren ästhetisches Arrangement im Zusammenspiel mit warmen, gedeckten Farben an Gemälde erinnert. Auf diese Weise vermittelt der Film die Schönheit von Liebe, Freundschaft und Solidarität auch auf visuelle Art.

So ist Adam, obwohl der Film eine sehr einfache Geschichte auf ruhige Weise erzählt, auf sanfte Art berührend. Einfühlsam und ohne Kitsch, überspitztes Drama oder literarisch aufpolierte Dialoge gewährt er einen Einblick in Schicksale, wie sie das Leben schreibt, und in das Leben von Frauen, die oft nicht wahrgenommen, deren Geschichten selten erzählt werden. „Der Tod gehört nicht den Frauen“, sagt Abla im Film. „Uns gehört nur wenig wirklich“, erwidert Samia. Doch Adam, Adam gehört diesen beiden Frauen, und ihre Geschichte zu verfolgen ist eine lohnende Reise.

DVD-Veröffentlichung: 25. Februar 2022

über die Gast-Löwin

Charlie Hain studiert Anglistik und Kommunikationswissenschaft in Berlin. In ihrer Freizeit liest sie bevorzugt Bücher von Frauen und queeren Menschen, schaut Serien meist in Form einer Staffel am Stück und hat eine Jahreskarte fürs Kino. Für Dramen, besonders von und über Frauen, hat sie eine Schwäche.

 

Charlie Hain