Jupiter Ascending – Der Hohn der Wachowskis
Seit Matrix sind 16 Jahre vergangen. Inzwischen sind wir im 21. Jahrhundert angelangt und noch immer entscheidet sich die Mehrheit für die blaue Pille der Unwissenheit. Doch Lilly und Lana Wachowski versuchen es noch einmal, uns auf diesen fehlenden Erkenntnisschritt hinzuweisen. Auch Jupiter Ascending vollzieht einen Perspektivwechsel, definiert die Erdbevölkerung nicht nur als unterentwickelt, sondern erneut als ahnlungslose Ressource für eine mächtigere Partei. Mit ihrem neuen Werk allerdings werden die Wachowski-Geschwister die Menschheit definitiv nicht aus dem Dornröschenschlaf erwecken. Und vielleicht wollen sie es auch gar nicht (mehr).
Die Parallelen zu Matrix sind überdeutlich. Erneut verweben Lana und Lilly Wachowski zahlreiche religiöse Anspielungen in ihren Plot, ohne dass sich diese Elemente zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügen würden. Das Motiv der „Ernte“ entspringt der biblischen Apokalyptik, die drei galaktischen Königskinder Balem (grandios: Eddy Redmayne), Titus (Douglas Booth) und Kalique (Tuppence Middleton) erinnern an eine himmlische Götterfamilie. Und ist es ein Zufall, dass der männliche Held ausgerechnet Caine heißt und mit einer schweren Schuld leben muss? Der Plot stellt die Evolution, wie sie in unseren Schulbüchern gelehrt wird, in Frage, betont aber zugleich die Bedeutung der Wissenschaft für die Menschheitsgeschichte. So bietet auch Jupiter Ascending wie schon einst Matrix hinsichtlich des religiösen Subtexts multiple Interpretationsansätze, die zu verfolgen hier nicht nur den Rahmen sprengt, sondern auch mindestens eine weitere Sichtung erfordern würde.
Auch die Handlung lässt an Matrix denken. Die Menschheit ist einmal mehr ahnungsloser Spielball und in ihrer Unwissenheit auf die Rettung durch eine_n Auserwählte_n angewiesen. Wie schon einst Neo ist auch Jupiter (Mila Kunis) von ihrer Rolle überrascht. Schließlich ist sie doch nur ein amerikanisch-russisches Hausmädchen, das Toiletten putzt und ihre wohlhabenden Vorgesetzten bei der Kleiderwahl berät. Doch hier beginnen bereits die Unterschiede. Wo Neo schon vor der roten Pille vergeblich versuchte, die Matrix zu hacken, dreht sich bei Kloputz-Fee Jupiter alles um Gefühle. Laut Sternenkonstellation zum Zeitpunkt ihrer Geburt ist sie nämlich dazu bestimmt, die wahre Liebe zu finden.
Nicht nur dieses bemerkenswert emanzipierte Lebensziel erinnert an das sexistische Konstrukt der klassischen Märchenprinzessin. Die Handlung besteht zum Großteil daraus, wie Held Caine (Channing Tatum) die „Auserwählte“ aus einer Notlage nach der anderen rettet, während diese die hilflose Jungfrau in Bedrängnis mimt. Jupiter bleibt bis kurz vor Schluss eine vollkommen passive Figur, die ausschließlich durch das Einwirken anderer, meist – aber nicht ausschließlich – männlicher Figuren, angetrieben wird. Ihre einzige aktive Einflussnahme auf den Verlauf der Ereignisse besteht in den wiederholten Flirtversuchen mit Mensch-Wolf-Hybrid Caine, welche den Satz „Ich liebe Hunde“ wohl in die Annalen der Filmzitate eingehen lassen werden. Zwischen den einzelnen Entführungen stecken die Wachowskis ihre „Hauptfigur“ dann immer mal wieder in hübsche und möglichst aufreizende Kleidchen, so wie sich das für ein Objekt gehört. Jupiter ist keine Auserwählte, keine Person, kein Subjekt. Sie ist ein ausgesprochen ansehnlicher Wanderpokal.
Der wahre Held der Geschichte ist Caine, dem auch tatsächlich so etwas wie ein Charakter zugesprochen wird, auch wenn die Andeutung seiner düsteren Seite zu sehr eine offensichtliche Konstruktion bleibt. Damit verfügt er aber immerhin über deutlich mehr Komplexität als die weibliche Hauptfigur, die – so wie es sich für eine Frau* gehört – durch stereotype (um nicht zu sagen sexistische) Merkmale wie familienorientiert, nächstenlieb und bescheiden „charakterisiert“ wird. Dass Jupiter ganz am Ende tatsächlich mal eine richtige Entscheidung trifft und selbst zulangen darf wird sofort durch die nächste „Rettung in letzter Sekunde“ unterminiert – übrigens ein dramaturgisches Mittel, das hier durch seine zigfache Wiederholung gnadenlos überstrapaziert wird.
Bei einer so platten und absolut gestrigen weiblichen Heldin und einer derart repetitiven Handlung, die stark an Aufbau und Struktur klassischer Märchen erinnert, ist es kein Wunder, dass Jupiter Ascending über die Aneinanderreihung origineller visueller Ideen und gelungener Actioneinlagen nicht hinauskommt. Jupiter ist keine Figur, mit der sich irgendjemand identifizieren wollte, weshalb ihr Schicksal uninteressant und der Film letztlich langweilig bleibt.
Aber ist Jupiter Ascending tatsächlich nur hohle Effekthascherei? Wohl kaum. Lilly und Lana Wachowski haben etwas zu sagen, üben Kritik an der Konsumkultur und Machtgier der Menschen, die hier interessanter Weise wie in Christopher Nolans Interstellar zu ihren eigenen Schöpfern und Zerstörern werden. Der Mensch ist einmal mehr sein eigenes A und O, dreht sich ausschließlich um sich selbst. Doch während Nolan in seinem Film noch einen Ausweg andeutete, ist die Vision der Wachowskis zutiefst pessimistisch. Jupiter Ascending ist der pure Hohn. Ein Film, der wie sein Menschenbild nur noch reine Oberfläche ist. Kitschig, sexistisch, verworren und voller absurder Übertreibungen, deren Komik allzu oft auf halber Strecke in der Luft hängen bleibt, scheint sich Jupiter Ascending über ein Publikum lustig machen zu wollen, das längst verlernt hat, sich selbst und seine kulturellen Produkte zu hinterfragen. In dieser Farce ist die „Auserwählte“ eine vollends passive Figur, die Rettung der Menschheit die blaue Pille der Unwissenheit und der Stillstand die Lösung aller Probleme. Jupiter Ascending motiviert zur Untätigkeit. Die Schusterin bleibt bei ihren Leisten, bzw. die Putzfrau bei ihrer Klobürste. Und die Menschen bleiben dumm.
Die Wachowskis, so scheint es, haben uns aufgegeben.
Kinostart: 5. Februar 2015
- Berlinale 2025: Mutterschaft auf und jenseits der Leinwand - 27. Februar 2025
- Berlinale 2025: Heldin - 22. Februar 2025
- Berlinale 2025: La Tour de glace – Kurzkritik - 20. Februar 2025
Ich habe der Kritik als solcher überhaupt nichts entgegen zu setzen und stimme zu. Wirklich schade finde ich vor allem den Aspekt, dass der Film sich ständig wiederholt. Die ahnungslose Jupiter gerät in Gefahr und im letzten Moment ist Caine zur Stelle. Ich kann verstehen, dass sie überfordert ist, ihr Wissen reicht über das des Zuschauers nicht hinaus und wie soll sie entscheiden, wem sie vertrauen kann (als Zuschauer von außen sind die Vorzeichen leichter zu erkennen, wir kriegen ja auch das Ergebnis der Ernte präsentiert). Mehr dieser Momente, dass sie nebenbei ein ganzes Handbuch liest und Paragraphen zitieren kann oder sich einfach für ein „nein“ entscheidet, wären einfach zu streuen gewesen.
Und dennoch habe ich mich lange nicht mehr derart gut unterhalten gefühlt. Der Hunde-Satz ist der beste Brüller überhaupt, aber mehr noch gefällt es mir, wie Jupiter direkt über sich selbst den Kopf schüttelt. Der Film verkauft es nicht als einen guten Spruch. Und der ganze Kitsch, all die Klischees, sie werden so ehrlich vorgetragen. Ohne einen hintergründigen Zynismus. Müssen alle Filme immer hohe Ansprüche erfüllen? Die titelgebende Hauptfigur hätte mehr Charakterisierung verdient, ganz klar. Aber diese Welt selbst ist so ein herrliches Sammelsurium an allem, was irgendwie cool klingt und was man einfach mal in einem Epos zusammenbringen will, wenn man den Stift schwingt. Antigrav-Stiefel, coole Waffen, diese klischeebeladene Herkunft von Jupiter selbst mit ihrer dysfunktionalen Familie, riesige Imperien mit genetisch veränderten Supersoldaten, Flügel, komplizierte kleine Raumjäger (mal ehrlich, wie fliegt man diese Dinger mit all den verschiebbaren Kleinteilen?).
Bei der Liebesgeschichte bin ich zudem angetan, dass es im Grunde kein hin und her gibt. Ja, natürlich, Caine muss etwas grübeln. Wenn es keine moody-broody manpain gibt erkennt der Zuschauer seinen Helden ja nicht. Aber Jupiter ist heiß auf den Typ und sie kriegt ihn und sie sind beide sofort auf derselben Wellenlänge. Hier auf Drama zu verzichten ist schon wieder so erfrischend, dass mich der Kuss beim explosiven Finale innerlich zum klatschen brachte.
Ich kann Jupiter Ascending nicht ruhigen Gewissens als guten Film bezeichnen. Das weckt andere Vorstellungen. Aber Spaß gibt es in Filmen wie Sharknado, weil er so extrem übertrieben albern ist (leider taugt der nur für ein einziges Ansehen und danach reichen gif sets der Highlights). Ein vergleichbares Lächeln nach dem Besuch eines Millionen Dollar Blockbusters zu haben ist ein vollkommen ungewohntes Gefühl. Ich würde gern mehr über diese Welt erfahren, ich möchte vor allem den Lebenslauf von Commander Tsing lesen. Es ist schade, dass wir im Grunde nicht mal wissen, was zum Hades „die Legion“ überhaupt ist. Zu viel blieb ungesagt. Aber dafür gibt es den Moment, in dem ein Verräter einfach schulterzuckend zurück genommen wird, weil seine Motivation so verständlich ist. Wo auf der einen Seite nach jedem Stereotyp und Klischee gefischt wird, werden andere Konventionen wundervoll zerschlagen.
Ich sehe viel Verbesserungsbedarf und doch würde ich gern mehr solcher Filme sehen. Wo die Fantasie einfach mal wieder Amok laufen darf.
Auf alle Fälle aber ein guter Artikel, der sehr viel fairer mit dem Film umspringt als viele andere, die ja schon zu viel kriegen, weil Jupiter Ascending sich wie ein Kleinmädchentraum anfühlt (als sei das allein ein negatives Kriterium).