Lovely Louise
André (Stefan Kurt) hat ein besonders enges Verhältnis zu seiner Mutter Louise (Annemarie Düringer). Mit Mitte 50 wohnt er noch immer mit ihr in der gemeinsamen Wohnung. Sein Tagesablauf orientiert sich an ihren Gepflogenheiten: Wassergymnastik, der tägliche Ausflug in die Konditorei und schließlich abends der kleine Auftritt im Stadttheater. Denn Louise war einst eine große Schauspielerin. Damals, als sie ihre Karriere in Hollywood aufgab, um zu ihrem unehelichen Sohn in die Schweiz zurückzukehren. Seitdem steht André in ihrer Schuld und gibt sein Bestes, um Louise für ihren verlorenen Traum von Ruhm und Reichtum zu entschädigen. In die perfekt organisierte Routine des Mutter-Sohn-Gespanns platzt plötzlich Bill (Stanley Townsend), Louises zweiter unehelicher Sohn, den sie damals in den USA zurückließ und von dessen Existenz André bislang nichts geahnt hat. Kein Wunder, dass das Einzelkind und Muttersöhnchen mit großer Skepsis reagiert, zumal Bill sich ohne Scham und Berührungsängste sofort in den kleinen Familienkreis drängt. Warum taucht der Amerikaner ausgerechnet jetzt auf und was führt er wirklich im Schilde?
Bettina Oberli inszeniert die Beziehung zwischen André und Mutter Louise anfänglich mit trockenem, leicht bösartigem Humor, der an skandinavische Komödien denken lässt. Eine verschmitzte Annemarie Düringer spielt die Titelheldin mit einem zwinkernden Auge. Lovely Louise outet sich umgehend als Unterhaltungsfilm, der sein Publikum zum Lachen und nicht zum Weinen bringen möchte. Mit seinem Auftreten ergänzt Bill das Konzept nicht nur durch amerikanisches Temperament, sondern durchaus auch durch eine weitere humoristische Facette, einen Humor, der vor allem aus der Übertreibung entsteht.
Das plötzliche Auftauchen des verlorenen Sohnes hat noch einen weiteren Effekt. Ab dem Zeitpunkt, an dem sich Bill als Sohn Louises zu erkennen gibt, wird ein Großteil der Handlung vorhersehbar. Der Konkurrenzkampf zwischen den Brüdern, die Verdächtigungen Andrés und die kleinen Twists, die Bill abwechselnd als herzensguten Sohn oder als Blender erscheinen lassen, kommen uns allzu vertraut vor. Wir kennen diese Art der Erzählung einfach zu gut, um uns von Bettina Oberli überraschen zu lassen. Lovely Louise verliert mit der Originalität der Geschichte zunehmend an Charme.
Schade ist auch, dass Andrés Persönlichkeitsentwicklung, deren Verlauf ebenfalls sehr absehbar ist, nicht aus der Figur selbst entsteht, sondern durch die äußeren Umstände forciert wird. Seine finale Entscheidung zur Abnabelung entspringt weniger dem bislang unterdrückten Bedürfnis nach einer Beziehung, sondern der Offenlegung einer weiteren Lebenslüge seiner Mutter. Seine Wandlung verliert hierdurch an Kraft und Glaubwürdigkeit.
Trotz dieser Schwächen ist Lovely Louise ein überraschend kurzweiliger Film geworden. Bettina Oberli erzählt ihre Geschichte, wenn auch nicht sonderlich originell, so doch linear und dramaturgisch geschickt. Ohne sich auf Nebenschauplätzen zu verlieren, manövriert Oberli ihre Figuren souverän durch die ungewöhnliche Familienzusammenführung bis hin zum dramatischen Finale. Doch wenn die Gefühle von Enttäuschung, Sehnsucht und Frust dann endlich sprudeln, kippt der Film endgültig in die Komödie und kann die Zuschauer:innen emotional nicht erreichen. Den Charme und scharfen Witz der ersten Viertelstunde kann Lovely Louise leider nicht aufrecht erhalten und bleibt so eine nette, aber recht unbedeutende kleine Schweizer Komödie.
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