Wieso, weshalb, warum – Quoten-Querelen bei der Berlinale 2015
Es war die Berlinale der starken Frauen. Allerdings nicht auf, sondern jenseits der Leinwand. Bereits in den Wochen vor dem Internationalen Filmfestival hatten die Frauen von Pro Quote Regie die Diskriminierung von Frauen in der Filmindustrie erfolgreich zum Thema gemacht. Der Druck auf die Herren der Filmschöpfung war spürbar. Nicht nur Dieter Kosslick, der behauptete, sein Wettbewerb fokussiere sich dieses Jahr auf „starke Frauen in Extremsituationen“, sprach sich für die Mission von Pro Quote Regie aus. Vielmehr musste jeder Redner, der im Laufe der Berlinale – in welchem Kontext auch immer – das Wort ergriff, auf die eine oder andere Weise die Frauenfrage erwähnen. Nicht selten geschah das leider im Rahmen eines platten, schlimmstenfalls sexistischen Witzes, der das berechtigte Anliegen der Filmfrauen mit süffisant-paternalistischem Grinsen ins Lächerliche zog.
Doch von diesen eher scheinheiligen, vornehmlich aus Image-Gründen vorgebrachten und nicht immer ernst gemeinten Loyalitätsbekundungen abgesehen, fanden während des Festivals auch zahlreiche, sehr informative wie auch produktive Veranstaltungen zum Thema der Regiequote statt. Neben meinem umfangreichen Filmprogramm besuchte ich vier verschiedene Podiumsdiskussionen und konnte so einen umfassenden Eindruck der unterschiedlichen Perspektiven und Argumentationen sowohl auf nationaler, als auch internationaler Ebene gewinnen. Deshalb folgt nun ein etwas anderer Festivalbericht zum Thema „Wieso, weshalb, warum – Quoten-Querelen bei der Berlinale 2015“.
Der Status Quote: Worum geht’s hier eigentlich?
Laut Pro Quote Regie werden aktuell nur etwa 15% der Film- und Fernsehproduktionen von Frauen inszeniert. Insbesondere im Fernsehbereich ist die Diskriminierung von Regisseurinnen offensichtlich. Ein Diversitätsbericht des Bundesverbands Regie, der unter anderem die fiktionalen Prime-Time-Programme von ARD und ZDF analysiert, stellt eine Frauenquote von nur 11% in den Regieposten fest. Viele Serien, genauer gesagt um die 50% (!), haben trotz jahrelanger Ausstrahlung und zahlreicher Folgen noch nie eine Regisseurin beschäftigt! Was ist da los? Ein Mangel an Filmfrauen kann für diese erschreckenden Zahlen nicht der Grund sein, sind doch 42% der Absolvent_innen des Studiengangs Regie in Deutschland Frauen.
Der kleine Anteil von beschäftigten Regisseurinnen in Film- und Fernsehen findet sich bevorzugt in schlechter bezahlten Bereichen – im Dokumentarfilm oder im Soap-Segment. Der Fernsehfilm aber ist ein wichtiger Einstiegsbereich für junge Filmemacher_innen und den Frauen ganz offensichtlich kaum zugänglich. Wie HFF-Studentin Mahelia Hannemann in einem der Panels berichtete, blicken die Absolventinnen der Filmhochschule deutlich pessimistischer auf die eigene Berufswahl als ihre männlichen Kommilitonen. Zu Recht, denn dass hier nicht von Gleichberechtigung gesprochen werden kann, sondern vielmehr von struktureller Diskriminierung ausgegangen werden MUSS, lässt sich in Anbetracht der vorliegenden Zahlen nicht mehr leugnen.
Warum wir eine Quote brauchen
Den Regisseurinnen von Pro Quote Regie ist besonders an einer pragmatischen Argumentation gelegen, die konsequent von einer inhaltlichen Diskussion getrennt wird. In Anbetracht der vielen Gegner_innen einer Regiequote ist es sicher eine gute Strategie, sich weniger auf Meinungen als auf harte Fakten, Zahlen und Studienergebnisse zu beziehen. So ist das Hauptargument der Quoten-Befürworter_innen die Ungleichverteilung öffentlicher Gelder durch die geschlechterungerechte Förderung von Filmprojekten. Eine Zuschauerin des Panels „Im Fokus“ des Verbunds Deutscher Filmhochschulstudenten brachte es, wenn auch etwas überspitzt, auf den Punkt: „Wenn nur 11% der Fernsehgelder an Frauen ausgeschüttet werden, müssten Frauen auch nur 11% GEZ zahlen!“ So einfach ist die Rechnung natürlich nicht, doch macht sie das wichtigste Argument der Quoten-Diskussion sehr deutlich: Der Bevölkerungsanteil von Frauen liegt bei etwa 50%. Diese 50% müssen angemessen, also zu 50%, an der Ausschüttung öffentlicher Gelder beteiligt werden. Fernab von Diskussionen darüber, ob Frauen andere Filme als Männer machten und was daran positiv oder negativ zu bewerten sei, handelt es sich hier um eine sehr pragmatische Überlegung.
Neben dem gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen gibt es freilich auch qualitative Argumente. So betonte Hjalmar Palmgren vom Swedish Film Institute in seinem Vortrag beim Panel von Pro Quote Regie „Innovative Wege in die Diversität“, dass man sich mit einer vornehmlich männlich geprägten Filmindustrie um 50% der möglichen Geschichten und Perspektiven beraube. Die Qualität, um die so viele Quotengegner bangen, werde durch die stärkere Beteiligung von Frauen also eher gehoben als gesenkt. Aber es geht nicht nur um Frauen: Eine Quote, da sind sich die Befürworter_innen sicher, werde allgemein zu einer stärkeren Öffnung für alternative Blickwinkel in Film- und Fernsehen führen. Und wie eine Zuschauerin des „50/50“ Panels der Perspektive Deutsches Kino bemerkte: Wenn diese Öffnung einen Qualitätsverlust bedeuten würde, hieße das ja im Umkehrschluss, dass sich unser Fernsehen gerade im Idealzustand befände. Und da sind wir uns sicher alle einig: Das ist nicht der Fall!
Quoten-Gezeter: Warum 50/50 keine Lösung ist
Zu einer fairen Diskussion gehört natürlich auch das Anhören der Gegenseite. Die war in den verschiedenen Podiumsdiskussionen nur recht spärlich vertreten, was dazu führte, dass bis auf die Veranstaltung der Perspektive Deutsches Kino eher Informationen vermittelt als Argumente ausgetauscht wurden. Ich muss jedoch auch gestehen, dass die wenigen Stimmen gegen die Quote auf derart dünnem Eis agierten, dass ihre Begründungen kaum den Namen „Argument“ verdient haben. Aber dennoch:
Eines der wichtigsten Gegenargumente ist die negative Beeinflussung des künstlerischen Schaffensprozesses. Die Regie-Quote zwinge Produzent_innen dazu, mit Regisseurinnen unabhängig von ihrer fachlichen oder künstlerischen Qualifikation zu arbeiten, was zu einem Qualitätsverlust (siehe oben) oder doch zumindest einer Beeinträchtigen der Kunst als solcher führe. Oder um mit Regisseurin Axelle Ropert zu sprechen: Eine Quote ist Paternalismus gegen die Filmkunst. Ihrer Meinung nach mache gerade die männliche Dimension des Kinos seine Größe aus und es sei ohnehin nicht Aufgabe des Mediums Film, die ganze Menschheit zu repräsentieren. Auch Produzentin Annekatrin Hendel sieht eine Quote als Beleidigung. Zudem sei diese Diskussion unsexy und die aufgewendete Energie viel sinnvoller in neue Filmprojekte investiert. Auch sieht Hendel die Fähigkeit Kinder zu gebären als scheinbar unlösbares „biologisches Problem“ . Eine weitere Gegenrede, diesmal aus dem Publikum, argumentierte, dass eine Quote für Frauen auch eine Quote für verschiedene andere „Minderheiten“ nach sich ziehe. Bald, so der Redner, bräuchten wir dann auch eine Regelung für Muslime und Homosexuelle.
Hürden-Lauf: Was ist eigentlich das Problem?
Viel interessanter als Zahlen, Fakten und Argumente war für mich das umfassende Bild struktureller Probleme, das sich durch die verschiedenen Diskussionsrunden Stück für Stück wie ein Mosaik zusammensetzte. Gebremst werden die Bemühungen um Gleichberechtigung hinter den Kameras zum Beispiel durch das Problem der Zuständigkeit. Niemand betrachtet es als seine Aufgabe, eine Quote durchzusetzen oder sich zumindest um sie zu bemühen. Männer offenbar am allerwenigsten. Das zeigte nicht nur der frappierend geringe Anteil männlicher Besucher bei einzelnen Panels zur Quotendiskussion, sondern auch eine interne Veranstaltung des Bundesverbands Regie, zu der – wie Anno Saul berichtete – trotz zahlreicher Beschwerden gegen das Quotenvorhaben kaum Männer erschienen.
Da das Thema Familie (siehe auch Frau Hendel) ein noch immer stark weiblich konnotiertes Thema ist, sind eigene Kinder vornehmlich für Regisseurinnen ein Problem, denen die Fähigkeit abgesprochen wird, Nachwuchs und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Tatsächlich sind Frauen oftmals strukturell (nicht biologisch!) benachteiligt, weil sie von ihren Partnern unzureichend unterstützt werden und im Falle einer Trennung meist die alleinige Erziehung der gemeinsamen Kinder übernehmen. Dieses Problemfeld existiert jedoch offensichtlich primär in den Köpfen der (männlichen) Geldgeber. Alle der anwesenden Regisseurinnen berichteten, niemals in einen Konflikt zwischen ihren beruflichen und familiären Verpflichtungen geraten zu sein. Statt jedoch praktische Lösungen, wie familienfreundlichere Arbeitsstrukturen zu schaffen (die ja Männern wie Frauen zu Gute kämen), werden Kinder generell als „Makel“ begriffen.
Ein weiteres Problem besteht jedoch auch in der weiblichen Sozialisation. Der Bundesverband Regie hat deutlich weniger weibliche als männliche Mitglieder. Frauen, so scheint es, scheuen sich davor, in Verbände dieser Art einzutreten oder sich in Gruppen und Netzwerken zu organisieren. Während männliche Absolventen sich gegenseitig Jobs vermittelten, kommt dies unter weiblichen Ex-Kommilitoninnen kaum vor, so Mahelia Hannemann. Weshalb? Bettina Schoeller-Bouju von Pro Quote Regie glaubt, dass es auch die medialen Vorbilder seien, die Frauen zu Einzelkämpferinnen und Konkurrentinnen erziehen. So müsse die klassische Märchenprinzessin beispielsweise immer die Schönste oder Beste sein, anstatt mit anderen Menschen zu kooperieren. Es gehe um Überlegenheit, nicht Zusammenarbeit. Kate Brown vom European Women’s Audiovisual Network (EWA) sieht das ähnlich und führt die Neigung vieler Frauen zu Isolation und Identifikation als gesellschaftliche Außenseiterinnen ebenfalls auf mediale Vorbilder zurück.
Während es sich hier eher um soziokulturelle Theorien handelt, liegen andere Probleme klar auf der Hand. So gibt es ein Informationsdefizit. Laut Claudia Tronnier vom Kleinen Fernsehspiel des ZDF beispielsweise ist vielen Mitarbeiter_innen des Senders das starke Ungleichgewicht in der Filmregie gar nicht bewusst. Auch führt das gängige Verbot von Gehaltsabsprachen dazu, dass Honorarunterschiede verschleiert werden, so Schoeller-Bouju.
Lösungen – Wie kann es weitergehen?
Insbesondere der Panel vom Athena Film Festival New York und dem IFFF Dortmund-Köln „Get Networked Up“ widmete sich weniger den Problemen als ihren Lösungen und stellte verschiedene Initiativen vor, die sich erfolgreich für bessere Arbeitsbedingungen von Regisseurinnen einsetzen. Dazu gehört zunächst einmal EWA selbst. Das europäische Netzwerk bietet beispielsweise kostenlose Weiterbildungen für Filmfrauen an und ermöglicht die Online-Distribution ihrer Filme. Die Organisation Film Fatales wiederum organisiert in lokalen Gruppen monatliche Treffen für Regisseurinnen, zu denen auch Expert_innen für verschiedene Themen eingeladen werden.
Dass auch die Quote eine Lösung darstellt, zeigen die Erfolge des Swedish Film Institute, das erfolgreich eine Gleichverteilung der Gelder für Regisseur_innen, Produzent_innen und Drehbuchautor_innen durchsetzen konnte. Esther Gronenborn, Regisseurin und Pro-Quote-Regie-Aktivistin, betonte in verschiedenen Diskussionen immer wieder, dass Selbstverpflichtungen – wie kürzlich vom ZDF ausgesprochen – nicht ausreichten, sondern eine gesetzliche Festschreibung der Regiequote gefragt sei. Auch sollten strukturelle Benachteiligungen durch familienfreundlichere Arbeitsstrukturen wie beispielsweise eine Kinderbetreuung am Set ausgeglichen werden. Verena S. Freytag, Frauenbeauftragte des Bundesverband Regie, betonte zudem die Notwendigkeit von Mentoring- und Sponsoringprogrammen für junge Filmemacherinnen, um sie beim Einstieg in die männlich dominierte Filmindustrie zu unterstützen. Grundsätzlich, und das war das Fazit nahezu aller Diskussionen zum Thema, müssten Frauen stärker und besser zusammenarbeiten, sich unterstützen und gegenseitig fördern.
Ein entscheidender Schritt in Richtung Gleichberechtigung ist zudem die Transparenz. Förderungsinstitutionen sollten die Verteilung ihrer Gelder ebenso offenlegen wie die Fernsehsender. Zudem könnten weitere Studien die Gesellschaft für das Thema sensibilisieren. Die österreichische Initiative FC Gloria publiziert ihre Studienergebnisse beispielsweise auf Bierdeckeln.
Was die Filmkritik tun kann und muss
Auch inhaltliche Diskussionen müssen meiner Meinung nach angestoßen werden. Die vornehmlich männliche Perspektive in Film und Fernsehen hat auch gesellschaftliche Konsequenzen, wie mehrere der Panel-Teilnehmer_innen immer wieder betonten. Diese Perspektive gilt es durch eine kritische Medienberichterstattung und Filmkritik als solche offenzulegen und zu hinterfragen.
Die Benachteiligungen von Frauen in Film und Fernsehen ist ein Teufelskreis. Das System ernährt sich von sich selbst. Das Übergewicht an männlichen Regisseuren reproduziert restriktive Geschlechtermodelle, die Mädchen und Frauen Passivität, Isolation und Konkurrenzdenken vermitteln, was ihnen wiederum den Weg erschwert, als Regisseurinnen aktiv ins Filmgeschehen einzugreifen und neue Vorbilder zu kreieren. Eine Möglichkeit aus diesem Teufelskreis auszubrechen oder doch zumindest an seiner Dekonstruktion zu arbeiten, ist also auch die Infragestellung von medial repräsentierten Geschlechterrollen durch Journalist_innen und Kritiker_innen. Auch sollten wir uns ehrlich die Frage nach der Definition von Qualität stellen: Welche Maßstäbe setzen wir bei einer Kritik für einen „guten Film“ an und inwiefern sind diese Maßstäbe vielleicht durch eine männliche Perspektive geprägt, die es nun zu überdenken gilt?
Zudem ist Pro Quote Regie nun ein gemeinnütziger Verein, in den jede_r unabhängig von der eigenen Professionen eintreten kann, der_die sich mit dem Anliegen der Organisation identifizieren kann. Auch Filmkritiker_innen und Journalist_innen. Und auch Du!
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