Que(e)rdenken in Die Bestimmung – Insurgent
Von allen Young-Adult-Sci-Fi-Franchises ist mir die Adaption der Die Bestimmung Trilogie von Veronica Roth die Liebste. Das hat auch der zweite Teil, Insurgent, bestätigt. Und somit ist es Zeit einmal darüber nachzudenken, was mich an der Geschichte von der „divergenten“ Heldin Tris Prior eigentlich so begeistert.
Eigentlich funktioniert Die Bestimmung ja genauso wie jedes andere Sci-Fi-Teeny-Franchise. Ein junges Mädchen entdeckt überraschend und zunächst widerwillig ihre Superkräfte und rettet schließlich mit Hilfe eines schönen Mannes, in den sie sich natürlich unsterblich verliebt, die Welt. So weit so gut. Klingt ziemlich austauschbar. Gar nicht austauschbar, sondern überragend clever, ist jedoch das Science Fiction Szenario, in dem dieser Standardplot bei Veronica Roth angesiedelt ist. In einem postapokalyptischen Chicago hat sich die menschliche Gesellschaft zur Aufrechterhaltung des Friedens auf ein Kastensystem verständigt, in dem jede_r gemäß ihrer_seiner Fähigkeiten einen festen Platz zugewiesen bekommt. Nur die Divergents – zu deutsch: die Unbestimmten – lassen sich einfach in kein Schema pressen und stellen daher eine Gefahr für die Stabilität des Systems dar. Tris (Shailene Woddley), die Heldin des Franchise, ist wenig überraschend eine eben solche Unbestimmte, die sich zur Tarnung den Furchtlosen („Ferox“) anschließt, am Ende von Teil 1 aber die Flucht antreten muss, weil sie sich einem Coup der herrschenden Klasse der Gelehrten („Ken“) entgegengestellt hat.
Was zunächst wie ein überzeichnetes Zukunftsszenario erscheint, ist im Grunde eine ziemlich treffende Beschreibung unserer Gesellschaft, in der sich junge Menschen auf dem Weg zum Erwachsenwerden in ähnliche Kategorien pressen lassen müssen wie Tris und die übrigen Protagonist_innen in Die Bestimmung. Unsere Kategorien heißen nicht „Ferox“ oder „Ken“ und werden uns auch nicht nach einem Gehirnscreening zugeordnet. Aber sie heißen Mann, Frau, heterosexuell, homosexuell und so weiter. Vielleicht auch: christlich, atheistisch, muslimisch. Oder: Hippie, Konservative_r, Intellektuelle_r. Vermutlich ist jeder Mensch mit ganz individuellen Kategorien konfrontiert, in die sich einzuordnen eine Herausforderung darstellt. Und wer sich diesem Druck entzieht und auf seine Individualität, seine „Unbestimmtheit“, seine Queerness beharrt, der hat es im Leben oftmals schwer.
Die Bestimmung bestärkt uns in einer selbstbewussten Ablehnung vorgegebener Rollen. Tris Prior ist eine Heldin, weil sie anders ist. Weil sie nicht nur das eine oder das andere, sondern alles sein will und kann. Dabei legt sie eine Stärke und – im wahrsten Sinne des Wortes – Schlagkräftigkeit an den Tag, von dem sich so mancher Actionheld eine Scheibe abschneiden kann. Zumindest weicht sie einem Kugelhagel ebenso souverän aus wie ein John McClane. Im zweiten Teil des Franchise trägt Schauspielerin Shailene Woodley zudem einen modischen Kurzhaarschnitt, der sie auch optisch queer erscheinen lässt und statt mit tiefem Dekolleté beeindruckt sie mit muskulösen Oberarmen. Das ist eine weibliche Heldin, die diese Bezeichnung auch verdient hat und keine getarnte „Damsel in Distress“ im sexy Einteiler darstellt.
Ein Wermutstropfen bleibt, dass Tris auch im Laufe des zweiten Teils immer wieder von Männern gerettet werden muss. Ganz kann diese Figur also nicht an den männlichen Actionhelden heranreichen. Dafür aber schafft Tris etwas, was den meisten Frauenfiguren im Film verwehrt bleibt: Sie darf sich opfern. Tris Prior erhält in Die Bestimmung – Insurgent nicht nur einen echten Märtyrermoment, sondern sogar die fast ausschließlich männlich konnotierte Auferstehungsszene. Es ist Tris, die hier die Menschheit befreit und eine neue Ära einleitet. Und das im Übrigen ganz ohne männliche Hilfe, sondern aus sich selbst heraus. Aus der Akzeptanz ihrer Queerness generiert sie in einem symbolischen Moment der Konfrontation mit dem eigenen Ich die Kraft, die Welt zu verändern. Sie ist nicht das Problem dieser Gesellschaft – sie ist die Lösung!
Damit bejaht auch Die Bestimmung – Insurgent Queerness und den schon in Teil 1 angestimmten Abgesang ans Schubladendenken. Wir müssen uns nicht auf eine Rolle festlegen: Wir dürfen einfach sein wie wir sind. Und es sind gerade die Que(e)rdenker_innen, die die Welt zum Positiven verändern. Zusammen mit den durchgehend weiblich besetzten Schlüsselfiguren – sowohl die „Ken“ als auch die „Amite“ und die Fraktionslosen werden von Frauen angeführt – qualifiziert sich Die Bestimmung – Insurgent damit ganz klar für mein Prädikat „emanzipatorisch wertvoll“ und ist – so ganz anbei – auch ein wirklich gelungenes Kinovergnügen.
Kinostart: 19. März 2015
https://www.youtube.com/watch?v=sX9-l0iO5w4
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Gut gebrüllt Filmlöwin,
nach dem ersten Teil hab ich das Franchise für mich persönlich – in Relation zu Panem und ähnlichen, auf Teens abzielende, Franchises – abgehakt. Aber jetzt bin ich neugierig. Vielleicht lasse ich mich auch noch zu einem kurzen Intermezzo mit dem zweiten Teil hinreißen.
Die Gender-Thematik anzufassen finde ich per se schon mutig heutzutage. Gern gelesen.
Liebe Grüße,
Rob von Kopf & Kino
Ich sehe nicht, warum ausgerechnet die DIVERGENT/INSURGENT-Reihe das Andersdenken besonders gut verkörpern soll. Was ist denn mit der X-Men-Reihe? Oder anderen Superheldenfilmen? Ich kann mit DIVERGENT überhaupt nichts anfangen. Mir ist die Ähnlichkeit zu den Hungerspielen einfach zu stark.
Die X-Men-Parole „Mutant and Proud“ finde ich in jedem Fall auch sehr stark. Aber allein der Titel X-MEN schwächt allerdings schon eine potentiell emanzipatorisch wertvolle Aussage. Es ist aber eine Weile her, dass ich die Filme gesehen habe. Vielleicht kann ich dem bei einer erneuten Sichtung mehr abgewinnen. Im Allgemeinen zementieren Superheldenfilme einen Männlichkeitsmythos von Stärke und Überlegenheit. Superheldinnen gibt es selten und oft spielen sie nur eine Nebenrolle. Das ist bei den X-Men, zumindest in den Teilen, die ich gesehen habe, nicht anders. Die Perspektive bleibt eine männliche. Das Starke an „Die Bestimmung“ ist das Verschmelzen stereoytyp weiblicher Eigenschaften wie Fürsorge und Selbstaufgabe mit den männlich konnotierten wie Mut und Rationalität. Da setzt „Die Bestimmung“ in meinen Augen auch einen komplett anderen Schwerpunkt als „Hunger Games“, die ich im Übrigen ebenfalls sehr schätze, aber aus völlig anderen Gründen. Und letztlich, wie ich in meinem Text ja auch sage, sind sich all diese Franchises ohnehin sehr, sehr ähnlich.
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