Queen & Slim

Ihr kennt das: So halb aus Langeweile, halb aus Einsamkeit habt ihr spontan ein Tinder-Date verabredet. Aber so richtig gut läuft das alles nicht. Aber auch nicht katastrophal. Immerhin keinen Abend alleine auf der Couch verbracht. So weit so gut. Doch was in Queen & Slim auf diese allseits bekannte Situation folgt, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit außerhalb der Lebensrealität deutscher und vor allem weißer Menschen abspielen. Slim (Daniel Kaluuya), ganz der Gentleman, möchte Queen (Jodie Turner-Smith) nach dem gemeinsamen Abendessen noch nach Hause fahren. Doch auf dem Weg werden die beiden von einem weißen Polizisten angehalten. Die Situation eskaliert, zwei Schüsse fallen, der Polizist ist tot und Queen und Slim sind plötzlich auf der Flucht.

Queen & Slim sitzen in einem schummrigen Restaurant.

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Es folgt ein Roadtrip durch die US-amerikanischen Südstaaten, bei dem die beiden Protagonist:innen einerseits mit Rassismus und Gewalt, andererseits mit der unfreiwilligen Heroisierung ihrer Tat konfrontiert sind. Der Einzelfall wird zum Politikum, das flüchtige Paar zum Idol der wütenden afroamerikanischen Bevölkerung. Doch an ihrer Not ändert das wenig: Wenn es Queen und Slim nicht gelingt, rechtzeitig das Land zu verlassen, wartet auf sie schlimmstenfalls die Todesstrafe.   

Es drängt sich geradezu auf, Queen & Slim als die Schwarze Version von Bonnie und Clyde zu bezeichnen. Tatsächlich formuliert das sogar eine der Filmfiguren selbst, nämlich Queens Onkel Earl (Bokeem Woodbine). Doch Achtung: Während Regisseurin Melina Matsoukas und Drehbuchautorin Lena Waithe diesen Vergleich bewusst nahelegen, wollen sie damit lediglich sein Scheitern unter Beweis stellen. Denn Queen & Slim sind keine Kriminellen. Sie sind nicht die Täter:innen, sondern die Opfer eines korrumpierten Rechtssystems. Ihre Flucht ist keine Held:innengeschichte, sondern ein politisches Roadmovie durch eine rassistische Gesellschaft. Wenn überhaupt, ist Queen & Slim eine Schwarze Aneignung des „Bonnie und Clyde“-Motivs, die deutlich macht, dass das weiße Narrativ an der Schwarzen Lebensrealität scheitern muss.

Queen & Slim vor ihrem Auto. Queen sitzt auf der Motorhaube und schaut zu Slim hinüber, der in die Kamera blickt.

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Und obwohl Queen & Slim also ein immens politischer Film ist, beeindruckt er durch seine Zurückhaltung, die sich vor allem im Verzicht auf die dramatisierte Opferrolle ausdrückt. Matsoukas und Waithe brechen vollständig mit der Erwartung des Publikums, wenn sie die Eskalation mit dem Polizisten weitgehend unaufgeregt erzählen. Statt eines musikalisch entsprechend untermalten emotionalen Zusammenbruchs der beiden Hauptfiguren inklusive ihrer Verzweiflungsmonologe, zeigen die Filmemacherinnen hier rational handelnde Personen. Queen & Slim sind zwar strenggenommen „Opfer ihrer Umstände“, aber eben so viel mehr als das. Weder stilisiert der Film sie zu übergroßen Held:innen noch benutzt er sie als elendsvoyeuristisches Vehikel, um einem weißen Publikum jene Form des Mitleids zu entlocken, die im Gegensatz zu echter Empathie letztlich doch wieder einen hierarchische Blick von oben herab produzieren würde. Stattdessen sind Queen & Slim komplexe Charaktere mit Stärken und Schwächen, Identifikationsfiguren statt Anschauungsobjekte.

Diesem Prinzip bleibt der Film übrigens durchgehend treu. Autorin Lena Waithe legt selbst die Nebenfiguren komplex an, verleiht ihnen über ihre Funktion hinaus stets auch eine Persönlichkeit. Während die in Queen & Slim portraitierte Gesellschaft eine Grenze zwischen „Schwarz und weiß“ konstruiert, möchte der Film diese Grenzziehung insbesondere auf oder moralischen Ebene transzendieren: Die meisten Figuren, egal welcher Hautfarbe, zeigen sowohl held:innen- als auch unehrenhafte Charakterzüge. Im Fall von Uncle Earl begeben sich Melina Matsoukas und Lena Waithe dabei allerdings auf immens dünnes Eis: Der Versuch, den Macho-Gangster und seine „Bitches“ als komplexe Persönlichkeiten zu inszenieren, droht die von Earl verübte häusliche Gewalt zu bagatellisieren.

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Überhaupt findet der Film keine klare Haltung zum Thema Gewalt, aber formuliert gerade in dieser Ambivalenz wiederum eine unmissverständliche Botschaft. Queen & Slim sehen sich nicht als glorreiche Rächer:innen, wollen für den Mord an einem Menschen nicht verehrt werden; ebenso wenig wie sie es begrüßen, dass sie anderen als Vorbild für eigene Gewalttaten dienen. Gleichzeitig macht der Film deutlich, dass die Frage nach der Legitimität von Gewalt in einer ungleichen Gesellschaft nicht für alle Menschen gleichermaßen zu beantworten ist.

Die Inszenierung selbst trägt dieser Uneindeutigkeit Rechnung. Melina Matsoukas weigert sich beständig gegen eine Genre-Einordnung ihres Films. Queen & Silm ist mal Drama, mal Komödie, mal Roadtrip, mal Liebesgeschichte. Das macht ihn wenig gefällig, vielleicht gar schwierig zu rezipieren, aber dafür umso interessanter. Denn wann immer ein Film darauf verzichtet, sein Publikum vollständig aufzusaugen, schenkt er ihm zugleich die Möglichkeit der Reflektion. Doch Queen & Slim ist keinesfalls moralisches Botschaftskino, sondern ein beeindruckendes audiovisuelles Werk, dem Melina Matsoukas‘ berufliche Vergangenheit als Musikvideo-Regisseurin anzumerken ist. Mal fungiert die Klanguntermalung als Brechung, mal als Katalysator für Stimmungen und Emotionen, doch immer ist sie punktgenau und spürbar bewusst eingesetzt. Auch auf der Bildebene ist hier nichts beliebig. Das Farbkonzept aus Beige- und Brauntönen vermittelt Wärme und Intimität. Die hierzu passgenauen stilistischen Anspielungen an die 70er Jahre in Kostüm und Ausstattung stehen in Kontrast zum immens zeitgenössischen Element des Tinder-Dates, verleihen dem Film aber gerade in diesem Widerspruch Zeitlosigkeit: Queen & Slim ist eben mehr als eine Liebes- oder Gangster:innengeschichte, nämlich das Portrait einer rassistischen Gesellschaft, die sich in den letzten fünfzig Jahren entschieden zu wenig verändert hat.

Ein Nachtclub. Das Licht ist sehr dunkel und wir können nur die Umrisse tanzender Körper erkennen.

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Aber nicht zuletzt ist Queen & Slim eben auch das Werk Schwarzer Filmemacher:innen, die afroamerikanische Lebensrealität von innen heraus abbilden und denen es dabei nicht nur um Gesellschaftskritik, sondern auch die selbstbewusste und positive Affirmation ihrer Kultur geht. Damit steht der Film in sich für eine willkommene Veränderung, für eine Erweiterung des viel zu engen Fokus unserer Filmkultur auf weiße, männliche (wie auch heterosexuelle und eurozentristische) Erfahrungen. Möge Queen & Slim ein breites Publikum erreichen. Möge er noch viele ähnliche Filme nach sich ziehen! 

Kinostart: 9. Januar 2020

Sophie Charlotte Rieger
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