Interview: Karin de Miguel Wessendorf – Die Rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst

Lea Gronenberg

Der Dokumentarfilm Die Rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst zeigt den Widerstand gegen den Braunkohletagebau im Rheinland.

Karin de Miguel Wessendorf

Regisseurin Karin de Miguel Wessendorf begleitet in ihrer Langzeitdokumentation ganz unterschiedliche Aktivist_innen: Lars Zimmer, der bis zuletzt in seinem verlassenen Heimatdorf ausharrt, das dem Tagebau weichen soll. Antje Grothus, die in einer Bürger_innennitiative für den Erhalt der Dörfer streitet und später die Anwohner_innen in der Kohlekommission vertritt. Michael Zobel, der als Waldführer für die Bedeutung des Hambacher Forstes sensibilisieren möchte. Clumsy, der im Baumhausdorf Oaktown nicht nur für den Erhalt der Bäume, sondern auch für den Systemwandel kämpft.

Als Karin de Miguel Wessendorf ihr Filmprojekt begann, konnte sie nicht ahnen, welche symbolträchtige Bedeutung der Hambacher Forst für die Klimabewegung erlangen würde. Nun ist sie gemeinsam mit ihren Protagonist_innen auf Kinotour. Filmlöwin Lea Gronenberg traf sie bei einer Sondervorstellung von Greenpeace und Fridays For Future in Berlin.
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Die Rote Linie – Widerstand im Hambacher Forst ist nicht dein erster Film zum Thema Nachhaltigkeit. Was bewegt dich an diesem Thema?

Das Thema beschäftigt mich, weil es mir Angst macht, weil ich mir Sorgen mache, was auf uns zukommt. Ich sehe, dass wir als Gesellschaft auf eine heftige Krise zusteuern und uns weiterhin so verhalten, als ob nichts wäre. Die Art, wie wir wirtschaften, und unser Ressourcen- und Energierverbrauch sind nicht vereinbar mit dem Wissen um den anstehenden Klimawandel. Wir müssen dringend Maßnahmen ergreifen und tun es als Gesellschaft nicht. Damit meine ich nicht nur die Politik, sondern eigentlich uns alle.

Begreifst du Filmemachen auch als Aktivismus?

Ich glaube, es ist eine Form der politischen Arbeit und für mich außerdem eine Form der Verarbeitung. Ich war früher durchaus aktivistisch unterwegs und oft sehr frustriert. Beruflich habe ich aber auch sehr viel politische Bildungsarbeit geleistet und das fand ich sehr erfüllend. Bei Filmen geht es mir ähnlich. Ich habe das Gefühl, dass ich damit etwas bewegen kann. Mir sagen auch Menschen, dass sie weniger verbrauchen oder fair einkaufen, dass sie ihr Leben komplett umgekrempelt oder einfach den Stromanbieter gewechselt haben, nachdem sie meinen Film gesehen haben. Das motiviert mich ungemein.

© Thurnfilm

Der Hambacher Forst steht stellvertretend für die Konflikte unserer Zeit.

Wie bist du dann auf den Hambacher Forst gekommen? Vor Herbst 2018 war das in der öffentlichen Wahrnehmung ja noch kein besonders großes Thema.

2015 habe ich zum ersten Mal vom Hambacher Forst gehört. Ich war überrascht über die Ausmaße dieses Braunkohlereviers. Vorher war ich noch nie da, obwohl ich schon 20 Jahre in Köln gelebt habe, von wo aus man die Schlote sehen kann. Ich hatte schon mal von Umsiedlungen gehört, dachte aber, dass das so eine Sache in den 80er/90er Jahren gewesen ist. Mir war nicht bewusst, welche Auswirkungen der Tagebau auf die Umwelt in der Region hat, auf die Menschen, auf die Gesundheit.

Als dir das bewusst wurde, hast du darin ein Thema für einen Film gesehen?

Damals wurden im Vorfeld der Klimakonferenz in Paris Aktionen des zivilen Ungehorsams von Ende Gelände geplant. Klima-Aktivisten aus ganz Europa haben sich dafür mit Anwohnern zusammen getan, die schon seit Jahrzehnten im Widerstand sind. Ich fand das interessant, weil es ja gar nicht so einfach ist, all die verschiedenen Gruppen und Interessen zusammen zu bringen. Ich hatte den Eindruck, das könnte eine große Geschichte werden.

© Thurnfilm

“Ich wollte diese Geschichte unbedingt erzählen“

Wie bist du das Projekt dann angegangen?

Ich habe das erstmal dem WDR angeboten, weil ich normalerweise fürs Fernsehen arbeite. Die hatten aber kein Interesse. Ich hatte also keinen Auftrag und damit keine Finanzierung, wollte aber unbedingt drehen. Deshalb habe ich mir Geld von Freunden geliehen und bei Ende Gelände gefilmt. Nachdem die Aktionen für Schlagzeilen gesorgt hatten, gab es dann doch Interesse beim WDR und ich konnte erstmal ein Jahr drehen. Das war mein großes Glück.

Hast du da schon geplant einen Kinofilm zu machen?

Das Thema ist groß und das Setting ist einfach so geeignet für das Kino. Allein aufgrund dieser Mondlandschaften und der unglaublichen Zerstörung, die man da sieht. Der Kontrast zwischen dem riesigen Tagebau mit den Baggern im Vergleich zu diesem kleinen Stück Wald. Ich habe auch gleich zu Beginn diese starken Protagonisten kennengelernt und immer gewusst, dass das Stoff für einen langen Film ist. Ich konnte aber immer nur so arbeiten, wie die Produktionsbedingungen waren. Wir hatten zwar irgendwann eine Filmförderung und der WDR ist mit eingestiegen, aber das Budget hat nicht gereicht. Wir haben den Film nur deshalb zu Ende gebracht, weil viele Menschen im Team große Teile ihrer Arbeit ohne Bezahlung beigesteuert haben. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar, weil der Film nur so zustande gekommen ist.

© Thurnfilm

„Ich wollte nie einen Film machen, der neutral ist.“

Euer Interesse am Thema könnte man euch insofern vorwerfen, dass ihr nicht objektiv seid.

Es ist schwierig, über solche Konflikte zu berichten und sich emotional nicht zu sehr hineinziehen zu lassen. Das, was dort passiert, ist so eindeutig falsch für mich, dass es nicht möglich ist, keine Position zu beziehen. Ich bin nicht nur Filmemacherin, sondern auch Mitglied dieser Gesellschaft und habe eine Meinung. Ich möchte mit dem Film aufrütteln und aufklären und mich einmischen. Ich wollte nie einen Film machen, der neutral ist und den Konflikt von allen Seiten gleichermaßen beleuchtet. Auch wenn man sich auf eine Seite konzentriert, kann man ein vollständiges Bild zeichnen.

Deine Protagonist_innen wählen unterschiedliche Protestformen. Im Film spielt die Frage nach legitimen Mitteln, nach Gewalt oder zivilem Ungehorsam immer wieder eine Rolle. Inwiefern hat dich diese Frage beschäftigt? 

Die Frage des zivilen Ungehorsams ist für mich die wichtigste Frage des Films. Ich wollte zeigen, warum Menschen in den zivilen Ungehorsam gehen ohne zu bewerten, ob das richtig oder falsch ist. Der Zuschauer muss selbst entscheiden, ob das legitim ist oder nicht. Es hat sich in diesem Konflikt gezeigt, dass immer mehr Menschen den zivilen Ungehorsam wählen. Ich hab immer auf den Moment gewartet, in dem meine bürgerlichen Protagonisten ungehorsam werden. Auch wenn es nicht ganz dazu gekommen ist, gibt es doch die Situation im Film, wo 10.000 Menschen – darunter auch meine Protagonisten – in den Wald gehen, obwohl dieser abgesperrt war. Es war so viel passiert, dass die Menschen nicht mehr bereit waren zu gehorchen – in einer Situation, die ihnen absurd erschien.

© Thurnfilm

„Wenigstens für den Moment haben die Waldbesetzer gewonnen.“

Das war während der Räumungen im Hambacher Forst?

Die Phase der Räumung war unglaublich emotional. Über Wochen gab es einen verbissenen Kampf um jedes Baumhaus, um jeden Baum. Ganz viele Menschen kamen, um die Waldbesetzer zu unterstützen. Der Wald wurde von 3.000 Polizisten abgesperrt, das war wie ein Kriegsgebiet. Aber es haben immer wieder Menschen in den Wald geschafft, um Lebensmittel zu bringen oder die Bagger zu blockieren. Das war eine große Welle der Solidarität.

Dein Film hat dann in gewisser Weise noch ein Happy End gefunden.

In gewisser Weise schon. Lange war völlig klar: Der Wald wird geräumt und dann wird gerodet. Es gab einen Moment, da war der Wald komplett geräumt, es war jemand gestorben. Das war eine sehr dramatische Entwicklung. Die Stimmung war schlecht und niemand dachte, dass man noch etwas machen kann. Dann kam plötzlich dieser Gerichtsentscheid aus Münster, dass nicht gerodet werden darf. Auch wenn das nur ein vorübergehender Erfolg war, war es ein politischer und moralischer Sieg. Trotzdem ist es damit natürlich nicht vorbei.

Kinostart: 23. Mai 2019

Lea Gronenberg
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