IFFF 2016: The Belle Starr Story

Mein Körper für ein Pokerspiel – diesen vielsagenden Titel, eins zu eins vom italienischen Originaltitel übersetzt, trägt The Belle Starr Story auf dem deutschen Markt. Ein irreführender Name, ist doch die titelgebende Westernheldin tatsächlich nicht auf ihre körperlichen Vorzüge angewiesen, sondern hantiert souverän mit Pistolen und Gesetzlosigkeit. Die Namensgebung gilt wohl eher der Verschleierung des emanzipatorischen Potentials des Films, so wie auch Lina Wertmüllers Entscheidung unter männlichem Pseudonym zu arbeiten. Denn The Belle Starr Story ist nicht nur ein trashiger Spaghetti-Western, mit dem eine anspruchsvolle Filmemacherin keinen Blumentopf gewinnen kann, sondern in seinem Bruch mit sexistischen Genre-Konventionen durchaus auch eine Provokation.

© Monte Video

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Heldin Belle Starr (Elsa Martinelliträgt Hosen und raucht Zigarillos in vollem Bewusstsein ihrer phallischen Machtsymbolik. Sie braucht keinen Mann* an ihrer Seite, sondern lebt mit ihrer ehemaligen Hausangestellten und schlägt sich als Gesetzlos durchs Leben. Vor allem aber hat Belle Starr ein Ego, das dem ihrer männlichen* Kollegen in nichts nachsteht. Und so geht es bei ihrem Konflikt mit dem attraktiven Cowboy Larry Blackie (George Eastmanvor allem um einen Machtkampf. Als dieser ihr gutmütig den beim Poker verlorenen Ring zurückgibt, kann die stolze Lady diese Kränkung nicht auf sich sitzen lassen. Belle will Gleichberechtigung, selbst wenn diese ihr zum Nachteil gereicht – eine von Grund auf feministische Position. Für diese Gleichberechtigung begibt sie sich gerne in Gefahr, eilt den Unterdrückten zu Hilfe und tüftelt Raubüberfälle auf böse Kapitalisten aus. Kurzum: Belle Starr ist eine klassische Westernheldin.

Aber Belle Starr ist auch eine Frau und daran lässt Lina Wertmüller keinen Zweifel aufkommen. Ihr Film beginnt mit einem Pokerspiel Belles mit Larry, bei dem sie ihren Körper als Spieleinsatz verliert, wobei unklar bleibt, ob es sich hier wirklich um eine Niederlage oder sexpositives Kalkül handelt. Ein wenig befremdlich gestaltet sich in diesem Zusammenhang jedoch die Tatsache, dass Belle sich Larry Blackie hingibt, obwohl dieser ihre Grenzen rücksichtslos überschreitet. So verwandelt sich eine Vergewaltigungsszene plötzlich in einen leidenschaftliches One Night Stand, als ob das „Nein“ einer Frau* tatsächlich immer ein „Ja“ wäre. Diese Szene steht zudem nicht isoliert, sondern wird im weiteren Verlauf des Films in ähnlicher Form wiederholt: Wieder überschreitet Larry die durch Belle markierten Grenzen und wird dafür schließlich mit einvernehmlichem Sex belohnt.

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Befremdlich ist auch die Faszination des Films mit Belles Körperlichkeit. Bereits die Titelsequenz nimmt durch die visuelle Zerstückelung eine Destruktion Belles vor, reduziert sie auf die (attraktiven) Teile ihres Körpers. Immerhin setzt Lina Wertmüller auch Larry Blackie auf derart erotische Weise in Szene, dass sich die Zuschauer_innen vorübergehend in einem Schwulenporno glauben.

Ja, subtil ist The Belle Starr Story wirklich nicht. Lina Wertmüller bedient sich souverän zahlreicher Genre-Konventionen und scheut sich nicht, wann immer möglich dick aufzutragen. So trägt ihre Heldin beispielsweise in den Rückblicken wallende weiße Kleider und als Gesetzlose der Gegenwart einen anachronistischen schwarzen Ledereinteiler. Interessant ist aber an dieser Stelle die Bedeutungsebene: Schwarz und Weiß werden hier nicht wie bei Cowboyhüten als Marker für die Guten und die Bösen verwendet, sondern verdeutlichen den Verlust von Belles Unschuld. Dieser ist nicht sexuell zu sehen, denn der Film lastet seiner Heldin ihre Sexkapaden niemals negativ an. Vielmehr besteht der Verlust der Unschuld in der Demystifizierung des Vaters, der sich durch den Versuch einer arrangierten Ehe für die Tochter als machtbesessener Patriarch entlarvt. Belle, die ihrem Vater zuvor zärtlich zugetan war, verliert mit der Erkenntnis der sexistischen Strukturen der Gesellschaft ihre Unschuld. Sie gibt das patriarchale System bewusst für den Status einer Gesetzlosen auf, wobei diese „Gesetzlosigkeit“ eindeutig eine männliche* Zuschreibung darstellt, da sich Belle einem Gesetz entzieht, das sie benachteiligt und diskriminiert, aus ihrer Sicht also ohnehin ungerecht ist.

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Die Tragik des klassischen Westernhelden, der nicht in die Zivilisation zurückkehren kann, weil diese ihm sein wahres Wesen verweigert, wird hier auf die Emanzipation angewandt. Die Entscheidung gegen die ihr zugedachte Rolle macht Belle zu einer Außenseiterin und Einzelgängerin. The Belle Starr Story beschreibt mit dem spannungsvollen Verhältnisse Belles mit Larry die erschwerte Partnersuche emanzipierter Frauen*, deren Vorstellung einer gleichberechtigten Begegnung insbesondere in der Entstehungszeit des Films noch mit gesellschaftlichen Normen kollidierte.

In der Ablehnung der ihr zugedachten Rolle, besitzt Belle zugleich auch eine moralische Integrität, die sie im Grunde über die männlichen* Figuren der Geschichte erhöht. Hier zeigt sich deutlich, dass The Belle Starr Story ein Produkt der zweiten feministischen Welle darstellt. Frei nach dem Motto „Die Frau ist der bessere Mann“ geht es hier darum, die weibliche* Hauptfigur als den Männern* ebenbürtig bis überlegen zu inszenieren, anstatt – wie es beispielsweise der zeitgenössische feministische Western The Keeping Room tut – binäre Geschlechterkategorien in Frage zu stellen und aufzulösen.

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The Belle Starr Story lässt viel Luft nach oben, nicht nur im Vergleich mit anderen Spaghetti Western, sondern – zumindest aus heutiger Sicht – auch hinsichtlich seiner emanzipatorischen Botschaft. Aber Lina Wertmüllers Film ist nicht trotzdem, sondern gerade deshalb ein ungemein interessantes Zeugnis des feministischen Autorinnenkinos der 60er Jahre. Dass von ihrem Film nur noch eine einzige analoge Kopie existiert, deren Digitalisierung in den Sternen steht, ist daher besonders bedrückend. Umso wertvoller ist es, dass The Belle Starr Story im Rahmen des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund/Köln 2016 – wenn auch in einer vermutlich unvollständigen digitalen Form – zur Aufführung kam.

Sophie Charlotte Rieger
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