FILMLÖWINkino: Toxische Männlichkeit – von Kritik und Selbstbestätigung

„Toxische Männlichkeit“ ist ein Schlagwort, das in den letzten Jahren insbesondere über journalistische Texte Verbreitung gefunden hat. Von dort aus hat sich die Vorstellung einer giftigen Männlichkeit nicht nur in explizit feministischen Kreisen verankert. Doch was damit gemeint ist, hat sich in seiner kurzen Laufbahn bereits massiv verschoben. Anfangs nur lose an Begrifflichkeiten aus der soziologischen Geschlechterforschung angelehnt, wird mit „toxischer Männlichkeit“ heute zumeist etwas besprochen, das wissenschaftlich überhaupt nicht diskutiert wird. Gleichzeitig konnte mit dem soziologisch anmutenden Ausdruck eine Vorstellung popularisiert werden, zumindest etwas an der Art und Weise, wie Männer ihr Mannsein leben, könnte zu gesundheitlichen Schäden führen – teils bei anderen, teils bei diesen Männern selber. Dazu passt, dass eine der führenden US-amerikanischen psychiatrischen Vereinigungen unlängst überkommene, traditionelle Männlichkeitsvorstellungen auf die Liste der Charaktereigenschaften setzte, von denen bekannt ist, dass sie gesundheitsschädlich sind.

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Der Fokus weg von den konkreten Männern hin zu der kulturell geprägten Art und Weise, ihre Männlichkeit auszudrücken und zu leben, hat, das dürfte unumstritten sein, eine breite Diskussion um die Möglichkeit der Veränderung von Männern und um männliche Gewalt ausgelöst. Denn, wenn inakzeptables männliches Verhalten wie Belästigung, Vergewaltigung und Mord nicht mehr Ausdruck von biologischen Geschlechterunterschieden, Hormonlevels oder gar von Anatomie und grober Mechanik ist, dann können wir auf eine andere Männlichkeit pochen. Das mag auf eingefleischte Feministinnen banal wirken, doch im Bewusstseinsstand der breiten Bevölkerung ist beobachtbares und erlebbares männliches Verhalten unmittelbare Konsequenz biologisch-vergeschlechtlichter Existenz. Wenn Männlichkeit keiner Kultur folgt, sondern einfach da ist, hat sie erstens keine Geschichte und Vergangenheit und damit, zweitens, keine Zukunft, die vom Status Quo verschieden sein könnte. Sie bliebe dann immer dieselbe. Wenn es jedoch eine „toxische“ Männlichkeit gibt, dann muss es auch eine gute, schöne, konstruktive und für alle gewinnbringende Männlichkeiten geben.

Diese Kritik an der Ahistorizität von Männlichkeit, also der Vorstellung, dass Männer und ihre Art Männer zu sein vor jeder veränderbaren Geschichte und Kultur existieren, teilt sich der Diskurs um „toxische Männlichkeit“ mit der kritischen Männerforschung, an die der Begriff sehr lose angelehnt ist. Hier wurde „Männlichkeit“ unterteilt in verschiedene Männlichkeiten, die sich jedoch durch ihre prinzipielle Überlegenheit gegenüber Frauen auszeichnen. Die Rede ist dort etwa von einer „hegemonialen Männlichkeit“, die über Geld, bürgerliches Ansehen, akademische Bildung, Haus, Garten, Auto, Ehefrau und Kinder verfügt. Sie schafft es durch ihre Macht zu definieren, was Männlichkeit ist oder sein soll – nicht jedoch, ohne von anderen Formen der Männlichkeit entweder herausgefordert oder unterstützt zu werden.

So ist es die „marginalisierte Männlichkeit“, die mit einer eher kraftmeierischen Variante von Männlichkeit dagegen rebelliert, dass sie von den Machtmitteln der hegemonialen Männlichkeit ausgeschlossen ist. Marginalisierte Männer sind wesentlich stärker auf die unmittelbare, brutale Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen oder Schwule angewiesen. Diese Männlichkeit schlägt ständig über alle Stränge und bricht kulturelle wie juristische Gesetze. Die marginalisierte Männlichkeit erahnt, im Rennen um Männlichkeit den Kürzeren zu ziehen. Sie leidet unter einem massiven Selbstwertproblem. Für diese Männer steht die Überlegenheit, die sie durch die Geburt im richtigen Geschlecht haben sollten, ständig in Frage. Immerhin ist die Lebenspraxis von ständigem Scheitern geprägt, angefangen bei Schule und Beruf. Umso dringlicher ist das tägliche Theaterspiel, das das Gegenteil beweisen soll. Marginalisierte Männlichkeiten empfinden zum Beispiel einen inneren Zwang dazu, Frauen auf der Straße zu belästigen, weil sie von Frauen und ihren Körpern an das eigene Versagen erinnert werden. Über solche Unfreiheit wiederum kann die hegemoniale Männlichkeit nur lachen. Sie muss kaum unmittelbaren Zwang anwenden: Sexuelle Attraktivität generiert sie durch Geld, Status und Macht.

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Doch wie passt nun die „toxische Männlichkeit“ in so ein soziologisches Konzept von Männlichkeit? Die Antwort ist: schlicht gar nicht. Die Männlichkeitsforschung versucht darzustellen, wie all diese Männer selbst in ihrem stetigen Konkurrenzkampf untereinander, der mitunter tödlich sein kann, gemeinsam profitieren: „patriarchale Dividende“ nennt das etwa Raewyn Connell. Der Kampf unter Männern findet auf dem Rücken anderer Menschen statt, vor allem von Frauen. Alle Männer, egal ob hegemonial oder marginalisiert, stellen ihre stetig vom Scheitern bedrohte Männlichkeit her, indem sie sich über Frauen erheben. Dabei ist es völlig unbedeutend, ob sie Frauen und ihre Körper über Geld, Status und Einfluss an sich binden, oder ob sie sie zwingen, belästigen, sie schlagen oder vergewaltigen. Sie sind auf die Ressource Frau angewiesen, auf Gedeih und Verderb. Sich über diese Abhängigkeit hinweg zu täuschen und sich als unabhängige, autonome Subjekte zu beweisen, die über Frauen verfügen können, ist das täglich Brot aller Männlichkeiten. Dieses Paradox von Männlichkeit ist grundlegend für alle Formen von Männlichkeit: Frauen werden benötigt, um sich zu bestätigen, nicht auf Frauen angewiesen zu sein. Alles, was weiblich anmutet, muss aus dem eigenen Charakter getilgt werden.

Das hat eine Vielfalt psychologischer Konsequenzen zur Folge, mit denen sich eine ganze Fülle von feststellbaren Geschlechterunterschieden erklären lässt – zumindest einen Teil der Erklärungen können wir hier finden. Männer sterben früher, Männer gehen seltener zum Arzt, Männer nehmen seltener Hilfe an; Männer morden mehr und werden häufiger ermordet, sie sind sowohl häufiger Täter als auch Opfer von physischer Gewalt. Sie sind anfälliger für Sucht und Suizid, sie stellen den Großteil der in Gefängnissen lebenden Bevölkerung. Männer sind für den überwältigenden Großteil von sexueller Gewalt verantwortlich, und zwar quantitativ wie qualitativ. Männer vergewaltigen Kinder und zetteln verbrecherische Kriege an. Und weil Männer einander nicht trauen, sind sie umso abhängiger von Frauen, denen sie sich öffnen können. Diese ganze Palette von negativen Konsequenzen einer kulturell bedingten Männlichkeit sollte mit dem journalistischen Begriff der „toxischen Männlichkeit“ eingefangen werden: Männer sind giftig, wie sie sind – sie müssen sich verändern.

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Doch die Logik, nach der männliche Vorherrschaft funktioniert, hat auch den Begriff der toxischen Männlichkeit geprägt. Wie oben gesehen, fußt Männlichkeit auf einer Aufspaltung in einander bekämpfende Männlichkeiten. Jede Männlichkeitsform grenzt sich von anderen ab und reklamiert für sich, die echte, unverfälschte Männlichkeit zu verkörpern. Nur in diesem Konkurrenzkampf erzielen sie, unbewusst, die Herrschaft aller Männer über den Rest der Geschlechterwelt. Und in eben diesem Motiv hat sich die Männlichkeit dann auch auf die „toxische Männlichkeit“ gestürzt: Statt Männlichkeit in seiner Gesamtheit zu problematisieren, wurde aus toxischer Männlichkeit schnell eine spezifische Männlichkeit, die dann, in Abgrenzung zu anderen Männlichkeiten, angeblich giftig und gefährlich sein sollte.

Es waren in der Männlichkeitshierarchie eher oben angesiedelte Männer (aber nicht nur Männer!), die in der „toxischen Männlichkeit“ insbesondere ihren Ur-Feind wieder erkannten: „Assis“, Machos, Migranten, Muskelprotze, Handwerker und Hauptschüler. All die Eigenschaften von Männlichkeit, die giftige, tödliche Konsequenzen für Frauen und für sich selber haben, glaubten diese eher gebildeten Männer in jenen Männern wieder zu erkennen, von denen sie sich ja eh abgrenzten. Sie fühlten sich nicht nur nicht getroffen vom Vorwurf, toxisch zu sein, sondern noch bestätigt: immerhin waren sie ja nicht wie die Männer, die zum Beispiel in der Kölner Silvesternacht Frauen angegriffen hatten. Etwas bewegtere Zeitgenossen meinten immerhin, mit reformistischen Ansätzen negative Anteile aus der eigenen Männlichkeit ausmerzen zu müssen, eine „neue“ Männlichkeit erschaffen zu können. In der Prävention sexueller Gewalt schlägt sich diese Kritikabwehr in Mottos wie „real men don‘t rape“ nieder: Vergewaltiger, das sind immer die anderen. Dabei wissen wir aus der Forschung längst, dass das nicht stimmt. Dass „echte Männer nicht vergewaltigen“ könnte schließlich genau so gut das Motto eines antifeministischen Kongresses sein.

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Heute ist darum von „toxischer Männlichkeit“ immer nur dann die Rede, wenn es um die Männlichkeit „der anderen“ geht. Eine Bekannte von mir, kurz nach ihrem Abitur, neu an der Universität und feministisch interessiert, erzählte vor einer Weile begeistert von ihrem Theaterprojekt. Dort würde auch darauf geachtet, dass die männlichen Rollen nicht mit toxischen Männlichkeiten besetzt würden. Dieser Anspruch stammte von der Leiterin des Projekts und versetzte meine Bekannte in den Glauben, dadurch beim Theaterspiel vor schlechten Männern sicher zu sein. Darin scheint sich mir der wesentliche Effekt des Diskurses um „toxische Männlichkeit“ widerzuspiegeln: Statt Männer und ihre Verhaltensweisen, die anderen weh tun, wirklich in die Kritik zu stellen und dadurch transformieren zu können, bestätigt sich die uralte Ahnung, dass man selbst, die eigenen Freunde und Bekannten alle in Ordnung seien, weil die ja nicht „solche“ Männer seien.

Damit ist der kritische Stachel, der „toxische Männlichkeit“ im journalistischen Diskurs um Feminismus mal bedeutet hat, gezogen. Mit dem Schlagwort wird männliche Vorherrschaft längst wieder verteidigt, statt sie zu kritisieren. Wollte man bei der verwendeten Semantik bleiben, müsste man eigentlich von „Toxizität der Männlichkeit“ sprechen, um den Ausdruck noch irgendwie zu retten. Der rasanten Verwendung in unkritischen Medien wie den Jugendmagazinen der großen Zeitungen wird das jedenfalls keinen Riegel vorschieben. Dazu fügt sich das Wort viel zu passgenau in das Weltbild der Konsument:innen dieser Medien ein. Die lassen sich von B wie bento bis Z wie ze:tt liebend gern ihr Lebensgefühl verkaufen, als Gymnasiast:innen besser als der Pöbel zu sein. „Toxische Männlichkeit“ ist dann nur ein weiteres Mittel, angeblichen Assis die Scheiße anzuhängen, die man selber anstellt.

© Filmfest München

Im Rahmen unserer Filmreihe FILMLÖWINkino zeigen wir am 26.11.2020 den Film Western von Valeska Grisebach. Schreibt eine Mail an jana@filmloewin.de, um einen kostenlosen Zugang zum Film zu erhalten. (Nur gültig am 26.11.2020!) Ab 21 Uhr sprechen wir mit den Aktivist:innen Bilke Schnibbe, Linus Giese und Nils Pickert über Männlichkeitsbilder, die durch Filme vermittelt werden. Die Diskussion wird live bei YouTube übertragen.

Über die Gast-Löwin

Jeja Klein lebt mittlerweile auch in Berlin, macht freien Journalismus und Vorträge und beschäftigt sich unter anderem mit Geschlecht und Queerness, sexueller Gewalt und Antifaschismus. Mehr gibt es auf der Website jejaklein.net. Jejas Pronomen sind „sie“ und „es“. Man kann Jeja auf Patreon unterstützen. Aktuelle Projekte sind eine Vortragsreihe unter dem Schlagwort „keine sicheren Räume?“ und die Gründung des queeren Magazins BEBI.