FFMOP 2025: Drei Dokumentarfilme im Wettbewerb

Drei Dokumentarfilme im Wettbewerb des 46. Filmfestival Max Ophüls Preis widmen sich gesellschaftspolitisch umkämpften Themen. 

Night of the Coyotes

Der mexikanische Ort El Alberto wird in Clara Trischlers Debüt Night of the Coyotes nicht zum ersten Mal Zentrum eines Dokumentarfilms (u.a. La Empresa oder El Alberto – La caminata de un pueblo), ist er doch mittlerweile berühmt für seine Caminata Nocturna. Mit dieser Tourist*innenattraktion können Besucher*innen die Erfahrung eines illegalen, nächtlichen Grenzübertritts von Mexiko in die USA erleben – simuliert natürlich, dennoch intensiv. Die Schlepper*innen nennen sich Kojoten, beweisen Härte und schöpfen aus eigenen Erfahrungen, die sie auch zur Bewusstseinsbildung der Abenteuerlustigen nutzen möchten. Ein Großteil der ehemaligen Bewohner*innen des Ortes befindet sich tatsächlich längst „drüben“, viele davon wurden direkt an der Grenze oder nach vielen Jahren, in denen sie bereits ein neues Leben in den Staaten aufgebaut haben, deportiert. 

Wenige andere sind geblieben. Trischler begleitet etwa Rebeca, ein Mädchen, dessen Mutter sich kurz vor Beginn der Aufnahmen und für ihre Tochter völlig überraschend ebenso auf den Weg in die Vereinigten Staaten machte. In der Schule scheint es kein Kind zu geben, das keine Erfahrungen mit der Migration von Familienmitgliedern hat. Trotz der Verlusttrauer hat auch der Nachwuchs den American Dream von einem Leben in Wohlstand vor Augen. Die Lehrerin erklärt jedoch warnend: Geld verändert die Menschen, sie wollen mehr und verlieren sich darin. Sie versucht aufzuklären, die Gefahren eines illegalen Grenzübertritts und die Vorteile des Bleibens hervorzuheben, doch viele der Schüler*innen sehnen sich auch einfach nach einem Wiedersehen mit ihrer Familie. Virgilio hingegen arbeitet seit seiner unfreiwilligen Rückkehr für Eco Alberto, dem Veranstalter der Caminata Nocturna, ein Job, mit dem er sich seine Zukunftsperspektive zurückholte. Und Felicitas blieb als einzige in ihrer Heimat, sowohl ihr Partner, als auch ihre Kinder gingen nach Norden, um alleine ihr Glück zu suchen.

Trischler und ihre Kamerafrau Miriam Ortiz Guzmán begleiten ihre Protagonist*innen während ihrer Arbeit und in der Schule, bei Familienfesten und im alltäglichen Austausch mit anderen. So entsteht nicht nur das ausschnitthafte Porträt eines Ortes 1.000 Kilometer von den USA entfernt, sondern ein politisch heiß umkämpftes Thema wird als kollektive Lebensrealität spürbar. Immer wieder schwebt die Frage nach der Bedeutung eines „besseren Lebens“ mit, von Zukunftsperspektiven und der Relevanz gegenseitiger seelischer Unterstützung. Mit der zweiten Amtszeit von Donald Trump werden sich die Verhältnisse drastisch ändern, ein Umstand, den Night of the Coyotes noch nicht erahnen konnte. 

© Jakob Carl Sauer & Nicola von Leffern Golden Girls Film

Mensch, ärgere dich!

Um Grenzen geht es auch in Franziska Brozios Debüt Mensch, ärgere dich!: Sie widmet sich politischen Grenzziehungen in der Gesellschaft und setzt es sich zum Ziel, auf rationaler Ebene mit Menschen, die andere Meinungen als sie selbst vertreten, zu diskutieren. Dabei öffnet sie viele Fässer, verfehlt es jedoch letztlich ihre Ansätze und Fragen auf eine Weise zusammenzubringen, die für ihr Publikum bereichernd wäre. Kann man gut und böse überhaupt unterscheiden, grübelt sie etwa anfangs aus dem Off. Kann Wut konstruktiv sein? (Wie) Können wir rational diskutieren? Zur Annäherung an das Thema spricht Brozio über Videocall mit drei Experten – einem Neurowissenschaftler, einem Primatologen und einem Sozialpsychologen – und drei „kontroversen Persönlichkeiten (…) : einem scharfen Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, einer arbeitsunfähigen Sozialkritikerin und einem mehrfach belangten Klimaaktivisten“ (Producers Note). Können Personen selbst kontrovers sein? Sorgen nicht eher die Begegnungen zwischen Menschen unterschiedlicher Meinung für Kontroversen?

Und welche Position nimmt Brozio eigentlich selbst, die uns gedanklich mit ihrer Off-Stimme durch den Film führt, innerhalb dieses Gefüges ein? Das Narrativ beleuchtet ihren eigenen Hintergrund nicht, auch wenn sie sich als unsichtbare Diskussionspartnerin ihrer Gegenüber mit zum Subjekt des Films macht. Als Kulturschaffende scheint die Regisseurin davon auszugehen, dass ihre politische Haltung ohnehin klar ist. Doch gerade darin liegt ein Problem dieser Herangehensweise, die sich als ein großzügiges Zugehen auf „die anderen“ begreift. Wie sehr hinterfragt sich die Regisseurin tatsächlich selbst, wenn sie Grenzen zieht? Brozios eigener Austausch mit den drei Protagonist*innen soll genügen, um die Versuchsanordnung des rationalen Diskutierens – deren Unterbau die Äußerungen der ausschließlich männlichen Wissenschaftler bilden – auszuloten. Doch letztlich sehen wir drei eher unentschiedene Porträts, deren Tiefpunkt wohl die geforderte Erklärung der Armutsbetroffenen, woher die Möbel aus ihrer Wohnung stammen, darstellt. Das Filmpublikum würde sich vielleicht wundern über die schöne Wohnung. Wie der Radiomacher seine Sendung finanziert oder der Klimaaktivist seine Verwaltungsstrafen begleicht – darüber könnte sich “das” Publikum auch wundern. Fest steht jedenfalls, dass (politische) Dokumentarfilme tiefergehende Auseinandersetzungen nicht nur mit einem Thema brauchen, sondern auch mit der eigenen Position innerhalb des Narrativs und der Gesellschaft. Sonst gilt der Imperativ des Titels am Ende der Erfahrung des Kinopublikums.

© Apollonia Film GmbH

To Close Your Eyes And See Fire

Am 4. August 2020 erschütterte eine gewaltige Explosion im Hafen von Beirut die ganze Stadt. Für die Bewohner*innen der Hauptstadt und darüber hinaus löste dieses Ereignis verheerende Folgen aus. Während sich die tagesaktuelle Berichterstattung auf die akuten Auswirkungen unmittelbar nach der Katastrophe sowie den Regierungswechsel beschränkte, widmeten sich Nicola von Leffern und Jakob Carl Sauer den jahrelangen Nachwirkungen auf Lebensbedingungen und psychische Gesundheit einer Reihe von Menschen. Das Duo hielt sich drei Jahre lang in Beirut auf und unterteilt seinen Film entsprechend in mehrere chronologische Kapitel. Zurückhaltend-beobachtende Aufnahmen zeugen von einer eingehenden Auseinandersetzung mit den Höhen und Tiefen des Lebens nach dem 4. August. 

Wie umgehen mit diesem Trauma, bei dem viele ihre Angehörigen verloren, seitdem unter Schlaf- und Angststörungen leiden, Kinder regelmäßig aus Albträumen aufschrecken? Manche wenden sich an Yasmin, die als Telefonseelsorgerin arbeitet, zuhört und Mut zuspricht. Andrea wiederum findet in Tanz und Bewegungstherapie eine Stütze, aber auch im Austausch mit anderen und im Protest auf der Straße. Hier verlangt auch Jamal als einer unter vielen ein Jahr nach der Explosion, während das Land von wirtschaftlichen Krisen und unzähligen Stromausfällen geplagt wird, von der Regierung nach Aufklärung. Denn die Explosion des hochexplosiven Materials hätte verhindert werden können. To Close Your Eyes And See Fire widmet sich seinen Protagonist*innen auf behutsame Weise, zeigt sie in alltäglichen Situationen, in offenen und auch schmerzvollen Reflexionen über den Zustand ihres Landes und ihrer eigenen Seele. Dazwischen: immer wieder Totalen über den Dächern der Stadt, als würde die Kamera nie aufhören weiterzusuchen, nach den Geschichten der Leute in den stehenden und gefallenen Gebäuden.

© Horse & Fruits

Bis zum 2. Februar im Streaming-Angebot des 46. Filmfestival Max Ophüls Preis zu sehen.

 

Bianca Jasmina Rauch
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