FFHH 2015: Harry Me – The Royal Bitch of Buckingham
Camille weiß, dass sie nur das Beste verdient hat. Denn Camille weiß um ihren unschätzbaren Wert, ihre Perfektion, ihre Makellosigkeit. Camille weiß, dass sie zum Arbeiten viel zu schade ist und dass ihr Geld immer besser in sie selbst als in Wohltätigkeiten oder gar Steuern investiert ist. Kurzum: Camille hat die Welt verstanden. Aber weil die Welt Camille noch (!) nicht versteht, braucht sie einen reichen Mann. Jemanden, der sie finanziert und ihr Glamour und Sichtbarkeit verleiht. Und wer wäre dafür besser geeignet als Prinz Harry?!
Die französische Comedienne Camille Cottin begibt sich unter der Regie von Eloïse Lang und Noémie Saglio auf die Jagd nach ihrem Traumprinzen und sorgt dabei in London ordentlich für Wirbel. Denn Harry Me ist kein klassischer Spielfilm, sondern eine Mockumentary, die größtenteils mit versteckten Kameras gedreht wurde. Wenn Camille also dem königlichen Hundesitter den Corgi entreißt, dann kidnappt sie das Tier tatsächlich und die wütenden Schreie des Opfers („I’ll kill you!“) sind kein pointiertes Drehbuch, sondern nackte Realität.
Camille Cottin nimmt kein Blatt vor den Mund, ist bösartig, arrogant und unausstehlich. Damit persifliert sie nicht nur das Frauenbild des It-Girls, sondern führt vor allem ihre Gesprächspartner_innen vor, die sich überraschend viel gefallen lassen. Insbesondere wenn Camille als Grand Dame auftritt, kann sie nahezu alles verlangen. Die Menschen runzeln zwar die Stirn, tragen ihr aber trotzdem das Gepäck aus dem fünften Stock ins Taxi oder kühlen ihr zur besseren Trinkbarkeit pustend den heißen Tee ab.
Im Grunde ist Harry Me eine Aneinanderreihung von (Street) Comedy Sketchen mit nichtsahnenden Nebendarsteller_innen. Manchen gönnt mensch dies mehr als anderen. Insbesondere das junge Model, dass Camille für ein YouTube Video castet, mit dem sie Harrys Ex-Freudin diskreditieren möchte, kann einem_r dann doch ganz schön leid tun. Laut Vorspann haben jedoch alle Beteiligten ihr okay gegeben. Also Schwamm drüber.
Die impertinente und immer zwei Stufen zu laute Heldin ist dennoch manchmal schwer zu ertragen. Die anfängliche Komik verliert sich in den immer neuen Dreistigkeiten und droht ihren Charme einzubüßen. Doch spätestens wenn Camille den Zaun des königlichen Palasts besteigt, um endlich zu ihrem Harry zu gelangen, erobert sie die Herzen des Publikums zurück.
Der zivile Ungehorsam, zu dem die Regisseurinnen ihre Darstellerin anhalten, erfordert noch mehr Mut als es das unangepasste Verhalten der Figur es ohne schon tut. Die Bösartigkeit Camilles kann es mit jedem männlichen Kollegen aufnehmen. Weibliche Comediennes habe ich in einer derart aggressiven Rolle tatsächlich noch nie gesehen. Damit eignet sich Camille auch ein männliches* Genre, eine männliche* Rolle an. Sie wirft die ihrem Geschlecht aufoktroyierten Benimmregeln über Bord und macht sich die Welt wie es ihr gefällt. Dieser Befreiungsschlag ist auch ein emanzipatorischer Akt.
Der echten Camille Cottin wäre das nur schwer möglich. Denn eines macht Harry Me wie nebenbei sehr deutlich klar: Daneben benehmen können sich vor allem die Reichen und Schönen. Mit Geld kann sich jede_r problemlos Narrenfreiheit kaufen. Nur mit der britischen Polizei will es nicht ganz klappen. Die ist – ein Glück – nicht durch Camilles Auftreten zu beeindrucken.
Natürlich steckt in der Leinwandfigur der oberflächlichen Tussi auch ein gefährliches Klischee, das durch die Toleranz ihrer Gegenüber gefestigt wird. Camille mag exzentrisch sein, aber so manches Verhalten scheint vielen offenbar doch nicht so abwegig. Damit entlarvt Harry Me jedoch weniger einen lächerlichen Frauentypus, als viel mehr eine oberflächliche und materialistische Gesellschaft.
Vielleicht aber ist das auch viel zu tief gedacht. Vielleicht soll Harry Me einfach nur ein latent überdrehter, irrwitziger Trip von Paris nach London sein. Spaß macht diese ungewöhnliche Komödie auf jeden Fall. Und auch Mut und Lust, sich selbst einmal so richtig daneben zu benehmen.
Kinostart: 5. November 2015
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