DVD: Die Geiselnahme

von Lea Gronenberg

Um den Unternehmer Katsumi Hosokawa (Ken Watanabe) anzuwerben, richtet der japanische Botschafter in einem nicht näher benannten südamerikanischen Land ein Privatkonzert mit der gefeierten Opernsängerin Roxane Coss (Julianne Moore) aus. Eine Guerilla-Gruppe stürmt das Konzert und nimmt die Besucher_innen als Geiseln, um die politischen Gefangenen der Militärregierung freizupressen. So viel zur Rahmenhandlung von Die Geiselnahme.

Die Auswahl der einzelnen Charaktere scheint in Hinblick auf Geschlechterrollen zunächst sehr gelungen. Im Zentrum steht die Sängerin Roxane Coss, die sich ihrer besonderen Position als amerikanischer Star unter den Geiseln sehr bewusst ist und ihre Privilegien gegenüber den Geiselnehmern ausspielt. Unter den Guerilla sind mit Beatriz (Carmen Zilles) und Carmen (María Mercedes Coroy) zwei Frauen*, die aktiv am bewaffneten Kampf beteiligt sind. Auch unter den politischen Gefangenen befinden sich Frauen*. Als Guerillakämpferinnen werden Frauen* nicht nur als politisch handelnde Personen, sondern auch als gewaltfähig gezeigt. Es ist einer der männlichen* Guerilla, der die Nerven verliert und offenbar mit der von ihm ausgeübten Gewalt nicht umgehen kann. Ein anderer nimmt im Verlauf der Geiselnahme Gesangsunterricht und bricht auf diese Weise mit den Geschlechterklischees seiner Genossen.

© Tatum Mangus_Annapurna Pictures_DCM


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Leider ist gut gemeint nicht gut gemacht. Roxane Coss ist zweifelsohne eine starke Figur. Doch sie darf nicht für sich alleine stehen, sondern braucht einen männlichen* Partner. Ihr Verhältnis mit dem japanischen Unternehmer Katsumi Hosokawa hat seinen Ursprung  in seiner Bewunderung für sie und beschert dem Film nach einer allmählichen Annäherung die obligatorische Sexszene. Die Geiselnahme besteht den Bechdel-Test im Übrigen nur dadurch, dass Beatriz und Carmen miteinander über eine Telenovela sprechen, während sie eben erwähntes  in aller Heimlichkeit stattfindendes Techtelmechtel ermöglichen. Als Hosokawa später bei der Befreiung der Geiseln durch Regierungstruppen erschossen wird, bricht Roxane Coss mit einem Hauch von Nachthemd bekleidet schluchzend und schreiend über ihm zusammen – ganz wie es das Klischee verlangt. Und auch während der Geiselnahme fällt ihr als einziger Frau* unter den Geiseln die Aufgabe emotionaler Sorgearbeit zu. Sie sorgt für den sozialen Zusammenhalt und hält alle bei Laune. Sie singt zur großen Freude ihrer Mitgefangenen, um die Sympathie der Öffentlichkeit zu gewinnen und berührt damit auch die Guerilla-Kämpfer_innen. Schließlich ermutigt sie einen der Guerilla, bei ihr Gesangsunterricht zu nehmen, und den Spott seiner Genossen hinter sich zu lassen.

© Tatum Mangus_Annapurna Pictures_DCM

Anstatt die weiblichen* Guerilla tatsächlich als kommunistische Kämpferinnen ernst zu nehmen, reduziert Regisseur Paul Weitz diese Figuren auf weibliche* Klischees. In einer Szene durchstöbern sie beispielsweise den Schmuck und die Kosmetik der Ehefrau* des Botschafters. Carmen erhält Sprachunterricht durch einen der Gefangenen, mit dem sie zu allem Überfluss auch noch eine Liebesbeziehung eingeht. Ihre neu erworbenen Sprachkenntnisse nutzt sie dazu, sich mit der Opernsängerin über deren Eheleben auszutauschen, während diese ihr die Haare flechtet. Ihr Verhältnis zu Roxane Coss ist mehr das einer Bediensteten, als das einer Geiselnehmerin. Sobald Carmen  ihre Waffe und das rote Halstuch ablegt, wirkt sie wie ein verschüchtertes Mädchen*, das naiv davon träumt mit ihrem Lehrer und allen anderen ein glückliches Leben in der Botschaft führen zu können – bis dass der Tod sie scheidet. Spoiler: Das erledigen die Regierungstruppen zum Ende des Films.

© Tatum Mangus_Annapurna Pictures_DCM

Der Versuch, die Guerilla als Menschen zu zeigen und vielleicht sogar Sympathien für ihre Anliegen zu wecken, offenbart das völlige Unverständnis über kommunistische Bewegungen von Regisseur und Drehbuchautors Paul Weitz sowie sein ziemlich stereotypes Frauen*bild. Daher ist Die Geiselnahme am Ende mehr Parodie als Thriller. Die Entwicklung der einzelnen Charaktere und Beziehungen ist zu oberflächlich, um den fehlenden Spannungsbogen zu ersetzen. In Bezug auf Rollenklischees gibt es einige unfreiwillig komische Szenen und die Darstellung der Guerilla sorgt allenfalls für Kopfschütteln. Wer ein spannendes Geiseldrama sehen möchte, sollte vom Konzert zu Beginn des Films direkt zur Befreiung am Ende springen.

DVD-Veröffentlichung: 22. Februar 2019

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