Blockbuster-Check: Birds of Prey und Harley Quinn

Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehmen wir im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.

Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein

Held:innen

Eigentlich müsste der Film “Harley Quinn and the Birds of Prey” heißen, denn Harley (Margot Robbie) ist ganz klar die Hauptfigur in Birds Of Prey: The Emancipation Of Harley Quinn von Cathy Yan und Christina Hodson. In Quinn spiegelt sich durch die doppelte Isolation als Ausgestoßene der Normgesellschaft und der kriminellen Unterwelt das Problem von Frauen in Männergruppen. Als “one of the boys”, die sich ausnutzen lässt und immer nach den Regeln der Männer spielt, war sie geduldet. Doch sobald sie etwas für sich selbst einfordert – in diesem Fall lediglich Anerkennung für ihre Leistung – wird sie schon als “zu viel” angesehen und ausgestoßen. Dieses Muster erleben wir immer wieder, nicht nur aber besonders in Nerd- und Politik-Kreisen.

Harley Quinn blickt skeptisch

© 2020 WARNER BROS. ENT.

Die Prämisse des Films zwingt Harley zu lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Nach kurzem emotionalen Zusammen- und Ausbruch, erkennt Harley schnell, dass sie keinen Typen braucht. Als Frau für alle Fälle will sie ihr eigenes Ding durchziehen. Die Probleme, die sich ihr dabei in den Weg stellen, stammen allesamt aus ihrer Vergangenheit mit Joker. Und auch wenn wir im Film selbst nur andeutungsweise davon mitbekommen (Comiclesende wissen mehr), wird klar, wie schädlich die Beziehung mit “Mister Jay” für Harley war. All diesen Ballast, die jahrelange Manipulation und den emotionalen Missbrauch schüttelt sie  im Film Stück für Stück ab. Der Titel ist also keine Nebelkerze, es ist die Geschichte von Harley Quinns Emanzipation.

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Gegenspieler:innen

Antagonisten sind allesamt cisgender männlich. Hauptsächlich geht es gegen Verbrecherboss Black Mask und seine rechte Hand Victor Zsasz (Chris Messina). Die beiden setzen alles daran, die Macht in Gothams Unterwelt mit brutaler Gewalt an sich zu reißen. Über Zsasz wissen wir wenig, er erfüllt das Stereotyp des fiesen Handlangers.

Über Roman Sionis/Black Mask erfahren wir, dass er von seiner reichen Familie verstoßen wurde und daher den Antrieb hat, sich selbst etwas Großes aufzubauen. Er ist extrem launisch und sadistisch, aber auch sehr mäkelig, heikel und empfindlich.

Roman Sionis hält eine Maske in der Hand

© 2020 WARNER BROS. ENT.

Wie bereits kurz angesprochen ist Black Mask hier als Sinnbild für das Patriarchat zu verstehen. Das macht der Film immer wieder unmissverständlich klar, etwa wenn Dinah bei ihrem Auftritt im Club “It’s a man’s man’s man’s world” singt. Obwohl Black Mask propagiert, dass seine Familie ihn verstoßen hat, kommt er aus einem privilegierten Kontext. Er wittert an jeder Ecke eine Bedrohung für seine Machtposition. Das sieht man auch in kleineren Szenen, etwa wenn er in seinem Club eine völlig unbeteiligte Frau brutal erniedrigt, weil er ihr Lachen als Spott ihm gegenüber bewusst fehlinterpretiert. Zudem fußt all seine Macht auf Brutalität und Einschüchterung, klassische Stilmittel von toxischer Männlichkeit. Gleichzeitig wird seine Maskulinität auch als äußerst fragil dargestellt. Anstatt sich Schwächen einzugestehen und an sich zu arbeiten, überträgt er diese in Aggression und Gewalt.

Auch abseits kodiert Birds of Prey das Böse eindeutig männlich, denn es gibt schlichtweg keine positive männliche Figur im Film. Selbst Harleys Vertrauensperson, ein Imbissbetreiber, verrät sie am Ende für Geld.

Cass begutachtet einen wertvollen Edelstein

© 2020 WARNER BROS. ENT.

Geschlechterrollen allgemein

Birds of Prey zeigt aber auch, dass der Weg zu dieser Befreiung hart, schmerzvoll und in der Regel kaum alleine zu bewältigen ist. Harley benötigt die Unterstützung anderer Frauen um die Männerherrschaft zu überwinden. Damit macht der Film klar, wie wichtig Solidarität unter Frauen ist.

Neben der Titelheldin ist da zunächst die junge Taschendiebin Cassandra Cain (Ella Jay Basco), die zufällig einen äußerst wertvollen und wichtigen Diamanten gestohlen hat. Quinn soll die Diebin bzw. den Edelstein für Black Mask besorgen. Cain selbst blickt ab dem ersten Aufeinandertreffen mit Quinn schnell zu ihr als Vorbild auf. Eine eigene Charakterentwicklung oder Handlungsmacht hat sie jedoch leider kaum. Ähnlich wie Dani in Terminator: Dark Fate ist Cass kaum mehr als ein personifizierter MacGuffin, also eine Person, die vornehmlich dazu dient, die Handlung voranzutreiben. Gerade in der großen Kampfszene wird sie zwischen den anderen Frauen lediglich herumgereicht wie der goldene Handschuh in Avengers: Endgame. Es bleibt nur zu hoffen, dass sie in kommenden Filmen ihrer Comic Historie folgt und zu Batgirl/Black Bat/Orphan wird.

Renee Montoya untersucht einen Tatort

© 2020 WARNER BROS. ENT.

Dinah Lance alias Black Canary (Jurnee Smollett-Bell) verfügt über die übermenschliche Kraft mit ihrer Stimme einen enorm starken Sonar-Schrei loszulassen, eine Versinnbildlichung der mächtigen Auswirkung, wenn wir unsere Stimme gegen Ungerechtigkeiten erheben. Auf Grund ihres moralischen Kompasses und angestoßen vom Aufbegehren von Harley und den anderen Frauen, schafft sie es schließlich, sich von Black Masks Kontrolle zu befreien.

An Renee Montoya (Rosie Perez), zeigt sich eher eine strukturelle, systemische Unterdrückung von der sie sich am Ende emanzipiert. Eine Frau kann im Männersystem nicht erfolgreich sein, egal wie sehr sie sich anstrengt und nach den Regeln spielt –  und wenn sie sich noch so anstrengt. Die einzige Lösung ist, das Männersystem zu verlassen.

Black Canary weist Cass zurecht.

© 2020 WARNER BROS. ENT.

Die primäre Motivation von Helena Bertinelli als Huntress (Mary Elizabeth Winstead) ist Rache, durchaus ein feministisches Motiv. Durch die anderen Frauen beginnt sie zu erkennen, dass das Leben aus mehr bestehen und eine solidarische Gemeinschaft heilsam sein kann. Interessant ist, dass Huntress nicht als stereotype, eiskalte Killerin dargestellt wird, sondern in sozialen Situationen ein wenig quirky, ein wenig verschroben auftritt.

Es ist Harley, die diese einzelnen Personen zu einem funktionierenden Team formt. Denn Quinn ist vielleicht extrovertiert und schlagkräftig, aber sie ist eben auch studierte Psychologin. Blitzschnell analysiert sie wie bedrohlich die Situation für alle beteiligten Frauen ist und weiß, dass sie nur gemeinsam eine Chance haben. Sie ist also nicht nur Nutznießerin sondern auch eine Bereicherung für die Gruppe.

Harley steht mit einem Gewehr und zielt in Richtung Betrachter:in

© 2020 WARNER BROS. ENT.

Die primäre Entwicklung der Birds of Prey (BoP) abseits von Harley ist also weniger personenbezogen sondern mehr das Zusammenfinden, sich Zusammenraufen zu einem Team. Dennoch nehmen alle bis auf Cass ihr Schicksal in die eigenen Hände. Am Ende liefert der Film genau das, was der Titel verspricht: Die Emanzipation von Harley, Dinah, Renee und Huntress und die Gründung der Birds of Prey.

Dresscode und Sexappeal

Im Verlauf der Publikationshistorie der Birds Of Prey und der einzelnen Figuren strotzen viele Comics nur so vor sexistischer Darstellung. Gerade Harley Quinn wurde zum regelrechten Pin-Up-Girl. Erfrischend und erfreulich also, dass der Film andere Wege geht. Und das ganz bewusst. Kostümbildnerin Erin Benach proklamierte „Yeah, it’s definitely less male gaze-y“ und Margot Robbie, die neben ihrer Rolle den Film auch mitproduzierte, sagte im Vorfeld der Produktion, wie unwohl sie sich mit ihren Outfits in Suicide Squad gefühlt habe. Nun konnte sie das ändern. Ihre Kleidung und Style sind Birds of Prey trotzdem noch extravagant und over the top aber eben selbstbestimmt. Das erinnert an die Debatte um die Kostüme der Amazonen in Wonder Woman und dem nachfolgenden Justice League. Während bei ersterem eine Frau die Outfits vor allem pragmatisch designte, wurde in letzterem die gleichen Kostüme darauf getrimmt, mehr Haut zu zeigen und so weniger Schutz zu bieten.

Huntress, Harley Quinn, Cass Cain und Black Canary stehen zusammen

© 2020 WARNER BROS. ENT.

Intersektionalität

Der Cast ist recht divers aufgestellt. Bei den Protagonistinnen ist Harley selbst bi- bzw. pansexuell, Renee ist LatinX und ebenfalls bisexuell, Dinah eine Black Woman of Color, und Cass koreanisch-philippinisch. Auch bei den Nebenfiguren wurde darauf geachtet, nicht nur weiße zu casten. Renees Ex, die Staatsanwältin Ellen Yee, wird gespielt von der Asian-American Ali Wong und Renees Vorgesetzter bei der Polizei wird gespielt von einem Black Man of Color, Steven Williams. Hier macht Birds of Prey also vieles richtig, im bereits geplanten zweiten Teil sollen dann auch statt Harley Quinn Renee Montoya, Huntress und Black Canary im Zentrum stehen. Großer Wermutstropfen ist allerdings, dass die Chance auch endlich eine be_hinderte Heldin zu zeigen verpasst wurde. Die zentrale Gründerin des Birds of Prey Teams aus den Comics, Barbara Gordon alias Oracle, sitzt nach einer Überraschungsattacke des Jokers querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Warum sie aus dem Film herausgelassen wurde, ist ein großes Rätsel. Vermutlich hat es mit dem für 2022 angekündigten Batgirl Solo-Film zu tun.

Wenig verwunderlich also, dass Harley im Mittelpunkt der Handlung steht und diese meistens auch vorwärts treibt. In den anderen Momenten sehen wir die anderen Birds of Prey und erfahren ihre Geschichten aus ihren eigenen Perspektiven.

Huntress auf ihrem Rachefeldzug

© 2020 WARNER BROS. ENT.

 

Dramaturgie

Als dramaturgischen Kniff bedient sich Birds of Prey der gerade sehr beliebten Technik einer pseudo-auktorialen Erzählerin. Harley selbst ist die Stimme aus dem Off, die direkt mit uns als Zuschauer:innenschaft spricht, ähnlich wie schon bei Deadpool. Dabei bedient sie sich auch einiger Rückblenden, um etwa die verschiedenen Figuren vorzustellen. Zudem bekommen wir mehrmals einen Einblick in Harleys Gedankenwelt. Neu ist dabei, dass Harley das Gezeigte visuell bearbeitet und verfremdet. Der Film macht klar: Das hier ist Harleys Geschichte und sie kann damit machen was sie will. Sie übernimmt die volle Kontrolle und Deutungshoheit und bestimmt, was wir Zuschauer:innen wann und wie zu sehen bekommen. Eine größere Handlungsmacht in einem Film gibt es kaum.

Wenig verwunderlich also, dass Harley im Mittelpunkt der Handlung steht und diese meistens auch vorwärts treibt. In den anderen Momenten sehen wir die anderen Birds of Prey und erfahren ihre Geschichten aus ihren eigenen Perspektiven.

Botschaft:

Trennung ist schmerzhaft, Emanzipation ist hart – aber wenn wir uns gegenseitig unterstützen kommen wir da durch!

Gesamtwertung: 7

von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)