Blockbuster-Check: Avengers: Endgame

von Sophie Charlotte Rieger

Weil der Bechdel-Test zwar ziemlich cool ist, aber dennoch manchmal zu kurz greift, nehmen wir im Blockbuster-Check Mainstream-Filme hinsichtlich einzelner Elemente kritisch unter die Lupe.

Achtung: Auf Grund der Herangehensweise kann der Blockbuster-Check nicht spoilerfrei sein.

Held_innen

Avengers: Endgame ist wie alle Filme der Reihe ein Ensemble-Film. Es gibt also eine ganze Reihe an Figuren, die im Zentrum der Handlung stehen und somit als Held_innen der Geschichte fungieren könnten. Aber Anwesenheit alleine reicht leider nicht.

Besonders sticht bei Avengers: Endgame die Entwicklung der Charaktere ins Auge, die einen klaren Schwerpunkt auf die männlichen* Figuren legt. Tony Stark alias Iron Man (Robert Downey Jr.) und Thor (Chris Hemsworth) durchlaufen charakterbildende Konflikte – Stark wie gewohnt das klassische Western-Held-Dilemma zwischen Zivilisation und Abenteuer; der hammerschwingende Gott ringt mit Trauma und Depression. Die einzige Frau*, über die sich Vergleichbares sagen lässt, ist Nebula (Karen Gillian), der immerhin eine eigene Storyline, dabei aber leider keine Charakterentwicklung vergönnt ist. Sie ist am Ende haargenau dieselbe Person wie am Anfang.

© Marvel Studios

Am enttäuschendsten gestalten sich die Auftritte von Carol Danvers alias Captain Marvel (Brie Larson), deren eigener Film noch so viel Anlass zur Hoffnung gab. In Avengers: Endgame fungiert sie nur noch als dea ex machina, die stets dann auftaucht, wenn alles verloren scheint, und anschließend ebenso plötzlich wieder verschwindet wie sie erschienen ist. Dieser dramaturgische Kniff eignet sich herrlich dazu, ihre offensichtliche Überlegenheit gegenüber allen Anderen, und somit eben auch den männlichen* Helden, unauffällig unter den Teppich zu kehren. Wir haben also noch mal Glück gehabt: Die natürliche sexistische Ordnung bleibt erhalten.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass trotz eines sekundenkurzen Heldinnenmoments, in dem sich die weiblichen* Avengers im Endkampf zu einem Stoßtrupp formieren, die Welt am Ende doch wieder maßgeblich durch Männer* gerettet wird. Einzig Wanda Maximoff alias Scarlet Witch (Elizabeth Olsen) darf mit dem Bösewicht Thanos (Josh Brolin) in einen heldinnenhaften Zweikampf treten. Und auch wenn es um zündende wissenschaftliche Ideen geht, dürfen die Frauen* in dieser Geschichte leider nichts beitragen. Tony Stark und Bruce Banner alias Hulk (Mark Ruffalo) bleiben die „großen Gehirne“ der Truppe.

Immerhin in einer Hinsicht sammelt Avengers: Endgame Pluspunkte, denn der aufopferungsvolle Held_innentod ist diesmal unter anderem einer Frau* vergönnt – auch wenn dieser mit weit weniger Pathos und Dramatik zelebriert wird als der ihres männlichen* Kollegen im späteren Verlauf der Handlung.

© Marvel Studios

Gegenspieler_innen

Auf der Seite des Bösen dominiert freilich wieder Thanos, dessen Töchter und Handlangerinnen seine ausführenden Organe bleiben. Insbesondere Nebula wirkt dabei eher wie ein Mädchen* mit Vaterkomplex denn wie eine blutrünstige Bösewichtin. In dieser Kategorie kann Avengers: Endgame weder einen Blumentopf noch Punkte gewinnen.

© Marvel Studios

Geschlechterrollen allgemein

Frauen* sind Männern* zahlenmäßig stark unterlegen, sie besitzen deutlich weniger Screemtime und weniger Dialog. Darüberhinaus entfaltet Avengers: Endgame eine merkwürdige Obsession mit dem Thema Vaterschaft, das sich letztlich auf beiden Seiten der Gut-Böse-Medaille findet. Dem herrschsüchtigen, abusiven und sadistischen Thanos stehen auf der Seite der Avengers die liebevollen Väter Scott Lang alias Antman (Paul Rudd), Clint Barton alias Hawkeye (Jeremy Renner) und, ja tatsächlich, Tony Stark gegenüber. Mutterschaft spielt in Avengers: Endgame dabei eine so fatal untergeordnete Rolle, dass Pepper Potts (Gwyneth Paltrow) bis zum Ende des Films warten muss, um endlich einmal mit ihrer Tochter im selben Bild aufzutauchen. Lediglich Thors Mutter (Rene Russo) erhält ein paar Szenen, die jedoch ausschließlich der Charakterformung ihres Sohnes dienen.

Am Thema Vaterschaft manifestiert sich das oben erwähnte Ungleichgewicht der männlichen* und weiblichen* Figurenentwicklung: Da die Heldinnen der Geschichte, mit Ausnahme von Nebula, keine eigenen Storylines besitzen, fehlt ihnen neben ihrer „professionellen“ ein privater Aspekt der Persönlichkeit, was eine Identifikation vollkommen unmöglich macht. Und anbei: Auch der Humor in Form von One-Linern und Running Gags bleibt in männlicher* Hand. Frauen* sind halt nicht interessant genug, um lustig zu sein.

Ein Wort zur Güte: Es wäre sicherlich spannend, sich Avengers: Endgame gezielt unter dem Aspekt der Männlichkeits*konstruktion bzw. -analyse anzusehen. Wer sich diesem Thema eingehend widmen möchte, mag sich hier gerne in den Kommentaren verlinken oder uns einen Gast-Beitrag zukommen lassen!

© Marvel Studios

Intersektionalität

Avengers: Endgame ist weiß und heterosexuell. Mit viel gutem Willen könnten wir Nebula als von der weißen heterosexuellen Matrix abweichend beschreiben, doch da auch sie letztlich nicht in den Rang der „wahren Helden“ aufsteigen kann, bleibt dies nur eine Randbemerkung. Figuren of Color wie Nick Fury (Samuel L. Jackson), T’Challa alias Black Panther (Chadwick Boseman), James Rhodes alias War Machine (Don Cheadle), Sam Wilson alias Falcon (Anthony Mackie) und die grünhäutige Gamora (Zoe Saldana) bleiben brav am Rande der Handlung. Figuren wie diese – das zeigt Avengers: Endgame sehr deutlich – dürfen durchaus mal eigene Filme anführen, aber im Olymp der großen Superheld_innen müssen sie sich mit Nebenrollen begnügen.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass am Ende des Films zwei Staffelstäbe überreicht werden, um Machtpositionen an die nächste, nicht-weiße beziehungsweise nicht-männliche* Generation zu übergeben. Dies ist jedoch der Verweis in eine filmische Zukunft jenseits des mit diesem Film abschließenden Franchises und somit kein Punktegewinn für Avengers: Endgame.

© Marvel Studios

Dresscode & Sexappeal

Avengers: Endgame beschäftigt sich auf unterschiedlichen Ebenen mit Männlichkeit*, weshalb auch das Thema Körperlichkeit klar an diesem Gender abgearbeitet wird. Bruce Banner alias Hulk hat es nach jahrelangem Ringen geschafft, seine Persönlichkeitsanteile in einem beeindruckenden, aber nicht eben nicht mehr furchterregenden Körper zu vereinen. Oder anders gesagt: Er hat eine Männlichkeit* jenseits der toxischen gefunden. Thor wiederum ist in seiner Depression „aus dem Leim“ gegangen. Der einstige Adonis muss sich nun als Witzfigur mit Bierbauch durch die Handlung schleppen. Und dann wäre da noch Captain America, dem hier der „Arsch Amerikas“ im positiven Sinne attestiert wird.

Dass der weibliche* Körper in Avengers: Endgame so erfrischend aus dem objektifizierenden Fokus gerät, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Film nun den Männern* ein ebenso enges Korsett der Körpernorm auferlegt wie es sonst den Frauen* übergeholfen wird. Sowohl der „Arsch Amerikas“ als auch die Tatsache, dass wir über Thors dicken Bauch lachen sollen, kommunizieren klar und unmissverständlich: Ohne Sixpack kein Heldentum.

© Marvel Studios

Dramaturgie

Beim ersten Auftreten der dea ex machina Captain Marvel scheint es noch so, als hätten Frauen* in Avengers: Endgame endlich einmal etwas zum Handlungsverlauf beizutragen, denn Carol schickt das Held_innen-Ensemble tatsächlich auf seine erste Mission. Doof nur, dass diese nach wenigen Minuten schon wieder zu Ende ist. Da wie oben erwähnt alle zündenden wissenschaftlichen Ideen stets von Männern* hervorgebracht werden, können die Frauen* auch an dieser Stelle keine Wendepunkte einleiten. Lediglich Nebula, oder viel mehr eine ihrer Versionen, verursacht auf eigene, wenn auch durch ihre Daddy Issues motivierte, Initiative eine dramatische Zuspitzung der Ereignisse. Auch in dieser Kategorie bleibt sie also die mit Abstand interessanteste Frauen*figur.

Botschaft

Frauen* und nicht-weiße Person dürfen zwar Held_innen ihrer eigenen Geschichte, aber bitte nicht die der großen Epen der Menschheit sein.

Gesamtwertung: 3

von 0 (Sexistische Kackscheiße) bis 10 (Emanzipatorisch Wertvoll)

Kinostart: 25. April 2019

Sophie Charlotte Rieger
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