Berlinale 2021: Glück/Bliss

Glück lässt sich in Momenten erleben – ein Lächeln, ein kurzer Blickkontakt, eine erste Begegnung, bei der die Gefühle zu kreisen beginnen und alles andere plötzlich verschwimmt. Das Glück ‘is a Vogerl’, wissen nicht nur Wiener:innen. Es gemeinsam zu halten, bedeutet mehr als sich einem Augenblick hingeben zu können. Von den Glücksgefühlen und der Liebe zweier Frauen, die beide in einem Berliner Bordell arbeiten, handelt der zweite Spielfilm der deutschen Regisseurin und Drehbuchautorin Henrika Kull: Eine feinfühlige und tiefgehende Erzählung mit inspirierenden, kraftvollen und zugleich nicht minder zerbrechlichen Protagonistinnen. 

© Salzgeber ___STEADY_PAYWALL___

Die Anfang 40-Jährige Sascha (Katharina Behrens) arbeitet schon länger in einem Berliner Bordell, ihr Umgang mit den Kolleginnen und der Chefin ist vertraut, der Small-Talk mit den Kunden unaufgeregt und routiniert wie im Laden um die Ecke. Als die Italienerin Maria (Adam Hoya) ihre Arbeitsstelle im „Queens“ antritt, werfen sich die beiden sofort neugierige Blicke zu. In den Aufenthaltsräumen rund um die separaten Zimmer machen alle Frauen einen selbstbewussten Eindruck im Umgang mit ihren Körpern. Maria fällt Sascha dennoch besonders auf, die ihr Blicke zuwirft, während sie sich für einen Kunden zurecht macht. In Glück ist die Körperarbeit mit den zahlenden Männern eine notwendige Nebensächlichkeit, eine Möglichkeit , sich im kapitalistischen System den Lebenserhalt zu sichern; im Zentrum des Films steht aber nicht die Thematisierung von Arbeitsverhältnissen einer Berufssparte, sondern die Liebesgeschichte der beiden Frauen und deren Selbstbestimmung.

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„Mir war es wichtig, Sexarbeit als Arbeit darzustellen, als Service, als Performance, als eine Möglichkeit, Geld zu verdienen“, erklärt Henrika Kull. Dass Glück keine althergebrachten Filmklischees über Sexarbeiterinnen und Bordell-Situationen fortführt, ist auf die sensible Arbeit und die persönliche Einbindung der Regisseurin in die Arbeitswelt, die von Außenstehenden oft mystifiziert wird, zurückzuführen: Immer wieder war sie etwa als Assistentin einer Hausdame bzw. hinter der Bar eines Bordells tätig. Auch Adam Hoya, der in Searching Eva als Eva Collé zu sehen war, hat mehrere Jahre mit Sexarbeit Erfahrung gesammelt. Für die Dreharbeiten tauschten sich die Sexarbeiterinnen und die Hausdame im Vorfeld mit den Schauspieler:innen und dem Team hinter der Kamera aus. Diese Arbeitsweise macht der Film spürbar, ein angenehm unaufgeregtes Gefühl der Alltäglichkeit erzählt sich mit der zentralen Liebesgeschichte, die an diesem Arbeitsplatz ihren Anfang nimmt.

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Dass Sexarbeit in einer Welt außerhalb des Bordells oft mit großer Geringschätzung begegnet wird und dies eine große Belastung für die Tätigen darstellen kann, macht Marias und Saschas gemeinsamer Ausflug nach Brandenburg und dessen Folgen für die Beziehung der beiden deutlich. In ihrem Brandenburger Heimatort besucht Sascha regelmäßig ihren 11-jährigen Sohn, der dort mit seinem Vater lebt. Als Maria auf dem Dorffest behauptet, sie sei Performerin – wohl eine für sie routinierte Antwort in Small-Talks – fährt Sascha ihr kurzerhand drüber und korrigiert, dass sie genauso wie sie „Nutte“ sei. Maria behält zwar ihren aufgeschlossenen Blick, hüllt sich aber in der Folge in Schweigen und beginnt Sascha aus dem Weg zu gehen. Als jener Gesprächspartner kurz darauf Sascha bedrängt, erscheint nur klarer, warum Maria ihre Tätigkeit gegenüber unbekannten, betrunkenen Männern verschleiert. Ob Marias Flucht aus Angst vor Konfrontation oder vor der Beziehung selbst geschieht, können wir vorerst nur erahnen – erst das Ende gibt Aufschluss. 

In den Sprachnachrichten an ihren Vater berichtet Maria von einem fiktiven Alltag, einem Leben, das sie in dieser Form nicht lebt. Für Maria und Sascha wird ihre Berufswahl nur dann zu einem Problem, wenn sie mit Personen außerhalb des Umfeldes zu tun haben. Sexarbeit erhält in Glück als Teil eines größeren gesellschaftlichen Gesamtgeflechts über die persönliche Geschichte hinaus Bedeutung und wird so zum Politikum. Ein Blick in die Gesetzeslage in Italien zeigt etwa, dass die Anerkennung und Gewährleistung einer geschützten Ausübung der Tätigkeit keine Selbstverständlichkeit ist, denn Bordelle sind dort verboten. Nicht zu vergessen ist, dass die selbstständige Sexarbeit von der Prostitution, die auch ein Abhängigkeitsverhältnis bedeuten kann, zu unterscheiden ist. 

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In Glück begegnen wir Frauen, die trotz oder gerade wegen dieser Schwierigkeiten einen selbstbestimmten Zugang zu ihrem Beruf haben und z.B. nicht davor scheuen, die finanziellen Vorteile gegenüber der viel geringeren Entlohnung als Verkäuferin einer Textilkette klar zu formulieren. Kulls Einschätzung bringt eine Sichtweise ein, die dem Metier gegenüber oft fehlt, sich im Film aber direkt wiederfindet: „Im Laufe meiner Recherchen und während der Dreharbeiten bekam ich immer mehr das Gefühl, dass die Sexarbeiterinnen sich durch ihre Tätigkeit die Deutungshoheit über ihre Körper zurückerobern und ihn zu einer Ware machen, aus der sie selbst Kapital schöpfen, statt die Ausbeutung dem Patriarchat zu überlassen. Nachdem die systematische Einhegung des weiblichen Körpers Jahrhunderte lang als Methode der Unterdrückung vom Patriarchat missbraucht wurde, erhält Sexarbeit so für mich eine subversive Konnotation“.

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Glück erzählt so vieles und lässt dabei überdramatisierende Effekte aus – von einfachen, schönen Momenten, von der Komplexität eines Berufs und von der Herausforderung, sich auf einen anderen Menschen einzulassen. Adam Hoya und Katharina Behrens beeindrucken und inspirieren mit ihren Darstellungen. Diese in den passenden Momenten sicht- und fühlbar zu machen, ermöglicht Carolina Steinbrechers Bildgestaltung, durch die sie schon in Jibril eine beeindruckende Symbiose mit der Arbeit der Schauspieler:innen bewies (auch unter Regie von Henrika Kull). Besonders während vieler Szenen, in denen nackte Frauen- und Männerkörper zu sehen sind, blicken wir stets durch die Linse einer respektvoll und präzise geführten Kamera. Denn in einem Bereich, in dem v.a. weibliche Körper durchaus als Objekte fungieren, eine Bildsprache zu finden, die weder Nacktheit völlig auslässt, noch in Voyeurismus verfällt, gebührt Anerkennung. Dascha Dauenhauers Musik fügt sich ebenso fein in das Gesamtgefüge ein und zeigt zugleich deutlichen Wiederekennungswert (z.B. aus The Case You). Glück wird – so viel steht fest – während dieser wunderbaren eineinhalb Filmstunden empfindbar gemacht.

Bianca Jasmina Rauch
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