„Wir haben doch schon genug Bilder“ – Ein Kaffee mit Maha Maamoun

© Maha Maamoun

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Menschen vor den Pyramiden in Kairo. Mehr Menschen vor den Pyramiden in Kairo. Und noch mehr Menschen vor den Pyramiden in Kairo. Etwa 30-40 Filme hat Maha Maamoun für ihre Collage Domestic Tourism II zusammengeschnitten, um die wechselnde Bedeutung der beeindruckenden Bauwerke im Verlauf der ägyptischen Filmgeschichte zu beobachten. Während die Kulisse unverändert bleibt – bis auf einen surrealen Film, in dem die Pyramiden auf rätselhafte Weise verschwinden – spielen sich vor ihnen immer neue Szenen ab: romantische, lustige, bedrohliche. Das selbe Bild der Pyramiden wird mit immer neuen Bedeutungen aufgeladen, als Ort des Schutzes, des Heimatgefühls, aber auch der Repression.

„Wenn sich die Menschen vor den Pyramiden unterhalten, bilden die Pyramiden eine historische Referenz. Der gegenwärtige Moment ordnet sich in die jahrhundertelange Geschichte des Landes und seiner Bevölkerung ein, wird zu einem Kapitel in dieser Geschichte“, erklärt Maha Maamoun mir den Subtext ihrer Collage. Wir haben uns in dem einzigen Café in Köln getroffen, das ich kenne. Ich war vor einigen Wochen schon einmal hier, während des Internationalen Frauenfilmfestivals. Vor demselben Hintergrund, nämlich dem des Cafés, findet jetzt also etwas ganz anderes statt – ein neues Kapitel in meiner eigenen Geschichte. Das Kapitel „Ein Kaffee mit Maha Maamoun“.

„Natürlich bin ich Ägypterin. Ich bin nur woanders geboren.“

© Maha Maamoun

© Maha Maamoun

Maha nippt an ihrem Orangensaft. Ich bewundere, wie gemächlich sie bei diesem warmen Wetter ihr Getränk zu sich nimmt. Sie hat keine Eile, sie nimmt sich Zeit. Nicht nur für den Saft, sondern auch für ihre Antworten. Momente der Stille scheinen ihr nichts auszumachen, denn immer wieder denkt sie über meine Fragen einen Moment nach, bevor sie spricht. Es scheint ihr wichtig, dass ihre Aussagen Hand und Fuß haben.

Und so durchdacht wie ihre Antworten sind auch Mahas Filme. In den collagierten Bildern und Texten spiegelt sich das Interesse einer Historikerin am Material an sich. Maha Maamoun hat Wirtschaft und Geschichte studiert, sich dann aber für den steinigen Weg der Kunst entschieden. „Ich habe das Studium geliebt, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, damit einen Großteil meiner Zeit zu verbringen.“ Unter der ruhigen und bedachten Oberfläche schlummert also vor allem eins: Leidenschaft. Leidenschaft für die Recherche, für das Suchen nach Bildern und Bedeutungen. Und Leidenschaft für die ägyptische Heimat. Maha Maamoun ist in Kalifornien geboren, aber als ich sie nach ihrer nationalen Identität frage, antwortet sie diesmal wie aus der Pistole geschossen: „Natürlich bin ich Ägypterin. Ich bin nur woanders geboren.“

Der Orangensaft scheint einfach nicht weniger zu werden. Und mit wie vielen Schlucken lässt sich eigentlich so ein doppelter Espresso verzehren? Diese Fragen beschäftigen mich nicht, weil das Gespräch mit Maha auch nur eine Sekunde langweilig wäre, sondern weil mich ihre Präsenz so fasziniert – die Leichtigkeit in der Ernsthaftigkeit mit diesem verschmitzten Funkeln in ihrem Gesicht. Wenn es eine typische Eigenschaft gäbe, die sie bereit ist, dem ägyptischen Film als Charakteristikum zuzusprechen, so Maha, dann sei es der Humor. Ihren eigenen Werken aber fehle es an Komik. Ich merke an, dass an einer ernsthaften Auseinandersetzung doch nichts Falsches sei, aber Maha beharrt auf ihrer Selbstkritik: Sie wolle zukünftig mehr Komik in ihre Filme einfließen lassen und vielleicht sei ihr das mit ihrem neuesten Film, Dear Animal, bereits gelungen. Das stimmt übrigens, aber dazu später mehr.

„Wir haben doch schon genug Bilder“

Das Interview fordert mich mehr heraus, als ich gedacht habe. Ich ertappe mich dabei, möglichst clevere Fragen zu formulieren, weil ein cleverer Film – so mein Gedanke – nur mit cleveren Fragen zu erschließen ist. Erfrischender Weise aber findet Maha auf alle betont komplexen Fragen simple Antworten. Statt mit abgehobenem Künstlerinnengestus über die von mir bemerkte Aufspaltung von Bild und Ton zu philosophieren, führt sie hierfür Gründe an, deren Logik meine Frage fast zu erschlagen droht. Dass Bild und Ton beispielsweise in ihrem Film Shooting Stars Remind Me of Eavesdroppers keine Einheit bilden, ist dem Thema des Lauschens geschuldet. Wenn wir jemanden belauschen, befinden wir uns nicht zwangsläufig im selben Raum, schauen die Person in der Regel nicht an, tun so, als wären wir mit etwas ganz anderem beschäftigt. Außerdem wolle sie den im Voice gesprochenen politisch-philosophischen Dialog eines Liebespaares nicht zwei konkreten Figuren zuordnen. Alle Menschen, die sie in ihrem Kurzfilm mit der Kamera einfängt, könnten diesen Dialog führen.

© Maha Maamoun

Shooting Stars Remind Me of Eavesdroppers © Maha Maamoun

Stimmt, denke ich. Total logisch. Und sympathisch. Nachdem ich am Vorabend eine Zusammenstellung aus Mahas früheren Werken im Academy Space der Akademie der Künste der Welt gesehen hatte, war ich zugegebener Maßen mit Anspannung in dieses Interview gegangen. Was, wenn ich zu doof bin, diese Filme zu verstehen? Aber entgegen meiner voreiligen Annahmen hat Maha kein Interesse an prätientiöser Kryptik und auch nicht an dem eben erwähnten Künstler_innengestus.

Im Zuge meiner filmfeministischen Arbeit denke ich immer wieder darüber nach, ob der Begriff der Kunst bzw. des Künstlers nicht von vornherein ein sehr männlich* geprägter Begriff ist und ob der Genius des kreativen Schaffens nicht von vornherein eine Charaktereigenschaft ist, die wir vor allem Männern* zuordnen. Vielleicht, so denke ich mir, liegt in diesen Begrifflichkeiten schon der Schlüssel dafür, dass Frauen* zum Beispiel in der Berliner Akademie der Künste oder auch in Wettbewerben großer Filmfestivals unterrepräsentiert sind. Vielleicht ist unser Konzept von Kunst ein derart männlich* geprägtes, dass eine sich hiervon distanzierende weibliche* Kunst von vornherein durch das definitorische Raster fallen muss.

Night Visions © Maha Maamoun

Night Visitors © Maha Maamoun

„Kunst zu schaffen bedeutet nicht notwendiger Weise, Dich in neuen Bildern auszudrücken, die Du als Künstler_in erschaffst“, erklärt Maha ihre Arbeit. „Wir haben doch schon genug Bilder, aus denen wir lernen und mit denen wir arbeiten können!“ Eine Kunst, die sich an vorhandenen Materialien bedient, widerspricht sich für die Regisseurin offenbar nicht mit künstlerischer Originalität. Und warum auch? „Das Bild, das ich erschaffe, besteht aus den Bildern Anderer. Und in vielen Projekten hat es mich einfach interessiert, wie andere bestimmte Dinge sehen.“ So wie beispielsweise in ihrem Film Night Visitors, in dem Maamoun auf YouTube veröffentlichte Handy Videos zusammensetzt, die beim Einbruch in das Gebäude der Staatssicherheit im Jahr 2011 gefilmt wurden. Wie haben die Menschen, die in dieser Nacht den Überwachungsspieß umgedreht haben und in den Bereich jener eingedrungen sind, die sich sonst in das Leben Anderer drängen, den Ort des Geschehens erlebt? Worauf richtet sich ihr Blick?

„Am Ende des Tages ist alles politisch, aber es gibt unterschiedliche Grade der Intention.“

Der Orangensaft ist fast leer. Mein Kaffee schon lange, aber ich versuche mir an Maha ein Beispiel zu nehmen und teile mir das dazugehörige Glas Leitungswasser sorgsam ein. Inzwischen habe ich keine Angst mehr, ihre Kunst nicht zu verstehen. Die Unsicherheit hat einem wachsenden Interesse für den Menschen und die Regisseurin Maha Maamoun Platz gemacht. Immer wieder ertappe ich mich dabei, sie nach der Kunst in Zeiten der Krise fragen zu wollen, finde diese Herangehensweise an ihre Filme aber zunehmend zweifelhaft. Tue ich der Kunst nicht Unrecht, wenn ich sie primär, vielleicht gar ausschließlich vor dem Hintergrund eines politischen Konflikts interpretiere?

Ich beschließe, Maha genau das zu fragen – und das Gespräch nimmt eine unerwartete Wendung. Die Zurückhaltung meiner Gesprächspartnerin macht einem fühlbar wachsenden Vertrauen Platz, denn mit meiner Frage habe ich, ohne es zu wissen, den Nagel auf den Kopf getroffen. „Du muss nicht mit Deiner Kunst kämpfen“, sagt Maha, „Manche Menschen entscheiden sich dafür, andere nicht. Während der Revolution sind alle Menschen auf die Straße gegangen, auch die Künstler. Sie waren einfach Bürger_innen wie alle anderen!“ Und da ist er wieder, dieser unprätentiöse Künstler_innenbegriff, diese Absage an eine realitätsfremde, vergeistigte, aber allgemein als besonders genial empfundene Haltung. Aber gibt es wirklich so etwas wie unpolitische Kunst?

„Am Ende des Tages ist alles politisch, aber es gibt unterschiedliche Grade der Intention.“ Maha Maamoun hat gemeinsam mit anderen das Contemporary Image Collective gegründet. Dabei gibt es keine explizite politische Agenda, die sich die Mitglieder auf die Fahne schreiben. Aber die Unterstützung einer unabhängigen Kulturproduktion ist natürlich in sich selbst ein politischer Akt.

Während ich Mahas Ausführungen lausche, die jetzt aus ihr heraussprudeln, beginne ich das Problem politisierter Kunst besser zu verstehen. „Es geht nicht darum, dass ich diese Fragen vermeiden will oder dass ich die politische Situation in Ägypten leugne, ich finde einfach nur, dass wir dieses Gespräch auf diese Weise nicht führen sollten. Wenn eine politische Haltung die Frage nach Kunst bestimmt und auf eine bestimmte Antwort hinaus will, dann interessiert sie sich nicht für die Kunst selbst!“

Logisch. Schon wieder. Ich habe das Gefühl, in den letzten sechzig Minuten mehr über den Zugang zu Kunst gelernt zu haben, als in den 18 Semestern Studium verschiedener Geisteswissenschaften. Bei einer Zigarette plaudern wir noch ein bisschen über die schwierige Situation der Künstler_innen in Ägypten, denen vor allem Fördermöglichkeiten fehlen, aber auch über die fehlenden Fördermöglichkeiten von Blogprojekten wie meinem in Deutschland. Auf irgendeine Weise haben es Künstler_innen letztlich überall schwer, ist unser gemeinsames Fazit.

Es gibt nicht nur schwarz oder weiß. Es gibt auch zebra-gestreifte Ziegen.

Als ich Stunden später in der Premiere von Mahas neuestem Werk Dear Animal sitze, fühle ich mich plötzlich überhaupt nicht mehr überfordert, habe keine Minute die Befürchtung, den Film nicht zu verstehen. Stattdessen fügt sich alles derart nachvollziehbar zusammen, das mir am Ende gar keine Fragen einfallen. Es ist doch alles so logisch! Maha kombiniert die sehr treue Adaption einer Kurzgeschichte von Haytham El-Wardany mit auf Facebook veröffentlichen „Briefen“ aus dem Exil der Regisseurin und Produzentin Azza Shaaban. Diese kurzen dokumentarischen Sequenzen durchbrechen El-Wardanys Geschichte von der Metamorphose eines Gangsters in eine zebragestreifte Ziege. Merkwürdiger Weise findet das niemand merkwürdig. Lediglich das nun verlorene Geheimversteck sorgt für Wirbel, weil Walid Tahar, so sein Name, als Tier dazu keine Aussage mehr machen kann.

Dear Animal © Maha Maamoun

Dear Animal © Maha Maamoun

Auch Shaaban hat sich in ein Tier verwandelt. Ihre lyrischen Facebook-Posts beginnen mit „Dear Animal“ und enden mit „Signed, The Dolphin“. Sowohl Walid als auch Azza Shaaban entziehen sich durch die Transformation einem Moment der Krise und Gewalt, aber auch einer bestimmten Form der Kommunikation. Was Shaaban schreibt, könnte auch Walid durch den Kopf gehen, wenn ihm überhaupt noch etwas durch den Kopf ginge. Und das können wir nicht mit Sicherheit wissen. Nicht einmal sein „Schöpfer“ Haytham El-Wardany weiß es. Aber es spielt auch keine Rolle. Dear Animal kann eine politische Dimension aufmachen und im direkten Zusammenhang mit der ägyptischen Gegenwart über politisches Exil, sprachliche Isolation und den Umgang mit Trauma philosophieren. Aber das ist noch lange nicht alles. Dear Animal ist auch ein Experiment mit Form und Inhalt, mit dem Verbinden unterschiedlicher Texte und Bilder zu einem ganz neuen, eigenen Kunstwerk. Und letztlich erschließt sich die politische Dimension auch erst über das Verständnis eben dieser Verbindung von Elementen. Die Wahrheit ist wie immer irgendwo dazwischen. Aber ich wüsste trotzdem gerne, ob Walid Tahar in seinem Ziegenkörper noch denken kann…

Beim Abendessen nach der Filmvorführung erzählt mir Maha, dass Walid Tahar eine Weile in ihrem Garten gelebt hat, bevor sie für ihr Fellowship bei der Kölner Akademie der Künste der Welt nach Deutschland kam. Wir lachen gemeinsam darüber, dass er noch immer die Zebrastreifen trägt, die ihm für den Film eingefärbt wurden. Dear Animal ist in der Tat reich an einer sehr speziellen, vielleicht typisch ägyptischen Komik. Macht das Maha Maamoun zu einer typisch ägyptischen Filmemacherin? „Ich habe nie darüber nachgedacht, Ägypten zu verlassen“, hatte sie mir noch am Morgen im Café erzählt. „Meine Arbeit ist zu sehr mit diesem Land verbunden.“ Zum Glück kann Mensch Ägypter_in, Künstler_in und politische_r Aktivist_in zugleich sein, so wie eins auch Ziege, Delphin, Gangster und Regisseurin bzw. Produzentin zugleich sein kann. So wie alles erst dann einen Sinn ergibt, wenn wir die vielen Bilder, die wir haben, zu einem Ganzen zusammenfügen und sie nicht mehr isoliert voneinander betrachten. So wie Kunst erst dann ihren ganzen Bedeutungsspielraum entfaltet, wenn sie nicht nur in politischen, sondern auch in ästhetischen, kulturellen und historischen Termini betrachtet wird. Es gibt eben nicht nur entweder nur, nicht nur schwarz oder weiß. Es gibt auch zebragestreifte Ziegen.

Domestic Tourism II (Excerpt) from Maha Maamoun on Vimeo.

Sophie Charlotte Rieger
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