Wie Hollywood unsere Kinder (v)erzieht

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Die schottische Prinzessin Merida hat keine Lust, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten. Statt einer politisch motivierten Heirat schwebt ihr eine ganz andere Zukunft vor. Viel lieber will sie mit Pfeil und Bogen durch die Wälder reiten und ihre Freiheit genießen. Der rotgelockte Wirbelwind geht bis zum Äußersten, um die Königin davon zu überzeugen, dass das von ihr vertretene Rollenmodell der Frau schon lange antiquiert ist. Obwohl sie durch ihren Ungehorsam die ganze Familie in Gefahr bringt, gibt der Film Merida – Legende der Highlands seiner Protagonistin letztendlich Recht. Damit hat Disney/Pixar einen großen Schritt in Richtung Emanzipation getan, wie er in Kinderfilmen viel zu selten ist.

Das Elend der Märchenprinzessin

Merida – Legende der Highlands ist zwar auf Grund der Animationstechnik eher ein Pixar- als ein Disneyfilm, doch legt der Märchenplot einen Vergleich mit traditionellen Disneyfilmen wie Schneewittchen und die sieben Zwerge, Arielle, die Meerjungfrau und Die Schöne und das Biest nahe. Diese zeichnen sich seit jeher durch eine starke Stereotypisierung der Geschlechterrollen aus. Ob Schneewittchen, Arielle oder Belle – das Ziel einer Prinzessin ist stets die Ehe mit einem Prinzen. Auch wenn sie wie im Fall von Mulan heldenhaft zur Tat schreitet, so findet die Königstochter ihre Erfüllung erst im Hafen der heterosexuellen Zweierbeziehung. Der Mann hingegen darf sich grundsätzlich in einem gefährlichen Kampf dem Bösewicht stellen und erhält als Belohnung für diese Mühen das Prinzesschen als Trophäe. Dabei werden Männer ohne Frage ebenso stereotypisiert wie Frauen, was gleichermaßen kritikwürdig ist. Da dies jedoch an dieser Stelle zu weit führen würde, spare ich mir das Thema Maskulinität für einen anderen Artikel auf.

Problematisch an der Darstellung weiblicher Charaktere ist darüber hinaus die starke Betonung äußerer Schönheit mit der einhergehenden Vernachlässigung weiblicher Handlungskompetenzen. So besticht beispielsweise Schneewittchen einzig durch ihr Aussehen. Ihr Schicksal liegt jedoch gänzlich in den Händen der Männer: Gutmütige Jäger und Zwerge sowie ein heldenhafter Prinz retten sie vor der bösen Stiefmutter. Belle macht keine bessere Figur. Brav erduldet sie das cholerische Biest, bis dieses sich endlich in einen vorzeigbaren Schönling verwandet. Und Arielle gibt gleich ihre Stimme gänzlich ab, um ihren Prinzen alleinig mit dem Körper zu betören.

Kritiker werden nun sofort einwenden, dass es sich bei den benannten Filmen um ein ganz spezielles Genre, nämlich den Märchenfilm handelt. Die Geschichten stammen aus einer Zeit lange vor den Diskussionen um die Rolle der Frau in der Gesellschaft und das soziale Geschlecht. Dagegen ist zunächst einmal einzuwenden, dass es durchaus die Möglichkeit gäbe, traditionellen Erzählungen in Hinblick auf die Geschlechterrollen einen neuen Anstrich zu verleihen. Im zweiten Schritt ist klarzustellen, dass kein:e Produzent:in dieser Welt gezwungen wird, die hundertste Verfilmung eines veralteten, sexistischen Märchens auf die Leinwand zu bringen. Genauso gut könnte sich jemand mal an einem Remake von Ronja Räubertochter versuchen!

Aber wieso ist das eigentlich so schlimm?

Dieser Artikel begann wie auch schon der letzte mit einer recht unvoreingenommenen Recherche. Ich wollte herausfinden, ob es im Kinderfilm vielleicht schon immer taffe Mädchen gegeben habe. Ich stieß auf die uns allseits bekannte Schauspielerin Geena Davis (Thelma & Louise, Eine Klasse für sich), die es sich mit der Gründung des Geena Davis Institute on Gender in Media zur Aufgabe gemacht hat, genau dies zu untersuchen. Die Ergebnisse ihrer Studien ließen die kleine Feministin in mir nach zweiwöchiger Ruhepause erneut auf die Barrikaden steigen.

In einer ersten Studie wurden Kinderfilme unter die Lupe genommen, die zwischen 1990 und 2005 entstanden. Es stellte sich heraus, dass nur ein Viertel aller Charaktere weiblichen Geschlechts und die Erzähler fast durchgehend männlich waren. Eine weitere Studie, in der Kinderfilme aus den Jahren 2006 bis 2009 betrachtet wurden, ergab, dass es in diesen keine Frauenfiguren gab, die in den Berufsfeldern der Medizin und Politik oder als Juristin tätig waren. Darüber hinaus wurden Frauen viermal häufiger als Männer in freizügiger Kleidung gezeigt, die ihren Sexappeal anstelle der Persönlichkeit betonte.

Für einige bleibt noch immer die Frage, was genau das Problem an dieser Darstellung ist. Laut der Forschungsergebnisse des Geena Davis Institutes formulieren Mädchen mit hohem Film- und Fernsehkonsum weniger Selbstbewusstsein in Bezug auf ihr zukünftiges Leben. Sie trauen sich weniger zu, beziehungsweise sehen weniger Möglichkeiten eines Tages durch eigene Anstrengung etwas zu erreichen. Und das ist ja auch kein Wunder, wenn sie von klein auf Filme sehen, in denen Frauen nur als passives Objekt der Begierde funktionieren und es der Magie wohlgesonnener Feen zu verdanken ist, dass sie in der amourösen Vereinigung mit einem Mann endlich ihr Lebensglück finden.

Jetzt wird alles besser – oder etwa nicht?

Merida – Legende der Highlands ist vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung. Doch damit sich wirklich etwas an Inhalt und Darstellung unserer Kinderfilme ändert, muss noch eine Menge geschehen. Die negativen Kritiken, die Merida – Legende der Highlands bekommen hat, weisen darauf hin, dass der von Disney/Pixar verfolgte Ansatz noch zu oft missverstanden wird. The Playlist bezeichnete den Film als „wackliges feministisches Märchen“ und Entertainment Weekly äußerte gar die Vermutung, Merida sei lesbisch. Die Begründung: Sie liebt das Bogenschießen und lehnt die Institution der Ehe ab. Zum Glück sind das ja eindeutige Zeichen für die sexuelle Orientierung einer Frau! In Anbetracht dieser stumpfen Stereotypisierung beschließt die kleine Feministin in mir, ihr Banner niederzulegen und sich stattdessen symbolisch auf den Bildschirm zu erbrechen.

Das deutsche Kino kann es diese Woche übrigens auch nicht rausreißen. In Tom und Hacke dürfen wir uns die bayrische Version der Lausbubengeschichten von Mark Twain ansehen. Auch hier kann es wohl der Vorlage in die Schuhe geschoben werden, dass Mädchen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Doch was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass wir lieber die x. Verfilmung von Tom Sawyer und Huckleberry Finn auf die Leinwand bringen als ein Wiedersehen mit Astrid Lindgrens Power-Mädchen zu inszenieren?

Sophie Charlotte Rieger
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