Um jeden Preis – Die Kinder der Prostitution

Warnung: Der folgende Text enthält Spoiler! Es handelt sich nicht um eine Kritik im Sinne einer Kaufempfehlung, sondern um den Versuch einer inhaltlichen Analyse, weshalb auf bestimmte Details des Handlungsverlaufs nicht verzichtet werden kann.

© farbfilm

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Der verzweifelte oder auch vergebliche Traum vom eigenen Kind zieht sich als Motiv durch unsere zeitgenössischen Filme. In Zweite Chance greift ein Vater zur Selbstjustiz, um seinen verstorbenen Sohn zu ersetzen, und Melodys Baby erzählt von der Freundschaft zwischen einer Leihmutter und ihrer unfruchtbaren Auftraggeberin. Um jeden Preis verbindet sozusagen diese beiden Konzepte. Hier ist es eine unfruchtbare Frau, die sich über ethisch-moralische Vorstellungen hinweg setzt, um sich den langjährigen Kinderwunsch zu erfüllen.

Wie schön, dass wir Hauptdarstellerin Kim Basinger ihr Alter ansehen. Der Basic Instinct Star überzeugt als Mittvierzigerin Maria, der nach der neunten Fehlgeburt dringend von einem weiteren Anlauf abgeraten wird. Doch der Kinderwunsch ist so stark, dass Maria, inzwischen in einer diffusen Psychose gefangen, liebend gerne das eigene Leben erneut aufs Spiel setzen möchte. Als ihr Ehemann Peter (Sebastian Schipper) sich jedoch von ihr zurückzieht, sieht sie nur noch eine einzige Möglichkeit: Sie will an der tschechischen Grenze ein Baby kaufen.

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Allein mit dieser Prämisse begibt sich Um jeden Preis in gefährliches Fahrwasser, macht Regisseur Anders Morgenthaler doch ein kritisches moralisches Dilemma auf. Maria glaubt, den im illegalen Menschenhandel angebotenen Babys ein besseres Leben bieten zu können, übersieht dabei aber ihre Mittäterschaft innerhalb eines menschen- und vor allem frauenfeindlichen Systems. Trotz des starken visuellen Fokus der Inszenierung auf die Heldin, den extremen Close Ups und Unschärfe-Spielen, bleibt Maria den Zuschauer_innen fremd. Zu schizophren lässt sie die innere Stimme des verstorbenen Kindes erscheinen, zu wenig nachvollziehbar ist ihre Entscheidung, auf illegalem Wege ein Baby zu bekommen. Morgenthaler versäumt es, Maria in einen Kontext zu betten, ihr eine Geschichte und damit auch eine Persönlichkeit zu verleihen. Weder Familie noch Freundschaften finden Eingang in die Filmhandlung – Maria bleibt eine isolierte und in ihrer extremen Verzweiflung konstruiert wirkende Figur, die einem dramaturgischen Plan folgend über das Schachbrett des Plots manövriert wird.

Der Anhalter Christian (Jordan Prentice) bezeichnet Maria als „eine dieser reichen Frauen, die unbedingt ein Kind wollen“. Und genau das ist sie: ein wandelndes Klischee, das nie als ganzer Mensch überzeugen kann. Die irrationale Übersteigerung des Kinderwunsches untergräbt ihre Autorität als Heldin der Geschichte – ein Effekt, der durch die Passivität der Figur bedauerlich verstärkt wird. Es ist nicht Maria, die schließlich ein Baby klaut, es ist Christian. Und es ist auch nicht Maria, die sich am Ende des Films aus der Zwangsprostitution befreit, sondern es ist ein glücklicher Zufall, der ihr dieses ermöglicht. Die weibliche Hauptfigur selbst bleibt ein verwirrter Spielball der männlichen Charaktere und einer unausgegorenen Schicksalsdefinition.

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Problematisch gestaltet sich auch der Umgang mit dem Thema Prostitution. Einerseits lobt Christian den Einsatz der jungen Huren, die doch mit diesem Beruf auch nur um ihr Leben kämpften, und schenkt dem ältesten Gewerbe der Welt damit Respekt oder gar eine Aufwertung. Andererseits aber gelingt es Anders Morgenthaler nicht, die Prostituierten als Charaktere zu inszenieren, die Sympathie oder doch zumindest Empathie bei den Zuschauer_innen wecken könnten. Die junge Frau, der Christian den Säugling entwendet, hat ihr Kind im Kleiderschrank eingesperrt, den Mund mit Klebeband verschlossen und ist gar bereit, ihn für eine entsprechende Geldsumme zu unbekanntem, aber vermutlich sexuellem Zwecke an ihren Freier abzugeben. Was bleibt uns im Publikum an dieser Stelle anderes übrig, als Marias Mission zu befürworten, sie als die „bessere Mutter“ zu sehen?

Damit macht es sich Um jeden Preis verdammt einfach. Der Film weigert sich, die Komplexität des Phänomens Zwangsprostitution auch nur im Ansatz zu berücksichtigen, die hier vorliegenden Zusammenhänge zwischen Patriarchat und Kapitalismus auszuloten. Derart an der Oberfläche kratzend kann Morgenthaler dem schwierigen moralischen Dilemma seiner Geschichte nicht gerecht werden.

Ebenso ärgerlich ist der plötzliche Twist seines Films, der vortäuscht, Maria von der Täterinnen- in die Opferposition zu versetzen und dabei geschickt überspielt, dass sie auch zuvor ausschließlich als zartes, hilfebedürftiges Wesen in Erscheinung getreten ist. Eben noch hat Maria einer minderjährigen Zwangsprostituierten das Kind abgenommen, nun gerät sie selbst in die Hände eines Zuhälters, wird unter Drogen gesetzt und missbraucht. Ist dies die gerechte Strafe für die Arroganz der Reichen? Für das nervtötende Jammern derjenigen, die doch eigentlich alles haben?

Am Ende ist Maria wieder schwanger – von ihrem Peiniger. Selig schaut sie ins Publikum und spricht: „Danke!“

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Danke wofür? Für den sexuellen Missbrauch, den sie durch ihre Verfehlungen selbst über sich gebracht und der sie auch zu einem besseren Menschen gemacht hat? Oder ist Maria nun gänzlich wahnsinnig und freut sich über eine Schwangerschaft, die sie das Leben kosten wird? Oder sehen wir eine bewundernswerte Frau, die alles, wirklich alles in Kauf genommen hat, um sich ihren Traum zu erfüllen? Welche Botschaft vermittelt dieses Finale?

Sollen wir Maria als Mittäterin eines menschenfeindlichen Systems verstehen, als Vertreterin der Oberschicht, die in kultivierter Unwissenheit gesellschaftliche Missstände aufrechterhält? Dann aber würde ihr persönliches Drama vollkommen vernachlässigt, würde das Thema des verzweifelten Kinderwunsches vollkommen in den Hintergrund treten und die weibliche Hauptfigur zu einem bloßen Platzhalter verkommen.

Wahrscheinlicher ist, dass sich Anders Morgenthaler der gefährlichen Implikationen seines Plots nicht in vollem Maße bewusst ist. Gar zu hübsch ist Maria, wenn sie nach Monaten des Missbrauchs aus ihrem Kellerverließ stolpert. Nicht einen Krümel Dreck hat sie unter ihren hübsch gefeilten Fingernägeln! Das Ausmaß ihrer Qualen ist ebenso unsichtbar wie kurz zuvor die Notlage der minderjährigen Kindsmutter.

Eine passive, aber durchgehend attraktive Frau, die in jeder Lebenslage ein Opfer ist und bleibt und durch eine Vergewaltigung eine Wiedergeburt erlebt – das ist wahrlich keine emanzipatorisch wertvolle Figurenzeichnung.

Kinostart: 23. Juli 2015

Sophie Charlotte Rieger
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