Priscilla
Mit Priscilla nimmt sich Sofia Coppola erneut ihres beliebten Themas an: jugendliche Frau, die in ein plüschig-luxuriöses Umfeld gelangt, das ihrem eigenen Willen die Schranken weist. Die Aristokrat*innen und Angebeteten des 20. und 21. Jahrhunderts sind nicht mehr wie Marie Antoinette bei Hofe zu finden, sondern, unter anderem, auf der Konzertbühne. Als Frau des „King“ fällt Priscilla Presley die Aufgabe zu, dessen perfektes Beiwerk hinter der Bühne zu verkörpern, seine Pygmalion-Fantasie widerstandslos wahr werden zu lassen. Für die Verfilmung ihrer 1985 veröffentlichten Memoiren Elvis and Me über ihre Zeit mit Elvis Presley bis zur Scheidung im Jahr 1968 firmierte die nunmehr 78-jährige Priscilla Beaulieu Presley als ausführende Produzentin.
Der Film fängt an wie eine klassische Coming-of-Age-Geschichte: eine Teenagerin muss sich in einer völlig neuen Umgebung zurechtfinden. Dort ist sie bis zu einem gewissen Grad eine Außenseiterin und zwar gerade so, dass sie dadurch reifer wirkt als die meisten anderen in ihrem Alter. Priscilla Beaulieu (Cailee Spaney) zieht mit ihren Eltern aus Texas nach Westdeutschland, wo sie eines Tages im Jahr 1959 angesprochen und zu einer Party von Elvis Presley (Jacob Elordi) eingeladen wird. Die Anfangsszene glänzt mit einer stilsicheren 50er-Jahre Inszenierung: die perfekt gestylte Priscilla sitzt in einem High-Waist-Midirock in einem von Thunderbirds umparkten Diner der US Airforce an einer Bar, auf der Tonebene liefert ein Ramones Song aus 1980 die Note an Anachronismus, die Coppla auch gerne in ihren Vorgängerfilmen einsetzte. Elvis möchte ein paar Amerikaner*innen um sich sammeln, erklärt der Mann, der Priscilla auserkoren hat. Dass er damit wohl vor allem junge Frauen meint, versteht sich von selbst. Bereits früh kreiert Coppola hiermit eine Szene, die angesichts aktueller Fälle, denen zufolge Stars wie Rammstein ihre Mitarbeitenden losschicken, um Teenagerinnen zu ihren Parties zu locken, einen unangenehmen Unterton erzeugt. Die nächste ähnlich subtile (An-)Spannung entsteht, als der 24-jährige Elvis die 14-jährige Priscilla auf seiner Party in ein separates Zimmer schickt, damit sie dort auf ihn warte. Doch gemeinsam separiert vom Rest der Party, möchte der King schließlich nur Händchen halten. Er ist ein Gentleman. Dazu gehört auch, dass er mal das Mobiliar zertrümmert, wenn ihm hinter seiner sanften Fassade die Fäden aus den Händen gleiten.
Doch bis zu diesen häuslichen Szenerien vergehen zunächst noch ein paar Jahre. Kurz nach ihrem Kennenlernen treffen sich Priscilla und Elvis über Monate hinweg klassisch-romantisch auf diverse Dates. Ihre besorgten Eltern müssen dabei immer wieder überredet werden, Elvis weiß immer wie. Diese aufregende Phase findet ein jähes Ende, als Elvis seinen Militärdienst abgeschlossen hat und in die USA zurückkehrt. Priscilla trauert und schwärmt von der Ferne weiter, liest Berichte über seine Affären und ist sichtlich von Liebeskummer geplagt. Ein paar Telefonate und Jahre später lädt Elvis Priscilla 1962 schließlich ein, ihn in seinem Graceland-Anwesen in Memphis zu besuchen. Noch ein Jahr später zieht sie dort unter den Auflagen ihrer Eltern – Schule abschließen, regelmäßiger Briefkontakt zu Mutter und Vater, spätere Heirat mit Elvis sind Pflichtprogramm – ein. Bis zur Heirat würden noch Jahre vergehen, in denen er sich während seiner Dreharbeiten mit zahlreichen Affären vergnügt, dem Begehren seiner Verlobten aber bis zum Hochzeitstag Einhalt gebietet. Ein Gentleman.
In Priscilla geht es nicht nur darum, eine seit den 1950er Jahren gefeierte männliche Star-Persona zu dekonstruieren, sondern vor allem darum, Priscillas Geschichte zu erzählen. Anhand der Beziehungsdynamik der beiden werden Geschlechterhierarchien deutlich erkennbar. Dass als Soundtrack des Films kaum Nummern des Stars zu hören sind (stattdessen stammt das meiste von der Band Phoenix – der unter anderem Coppolas Partner Thomas Mars angehört), klingt im wahrsten Sinne passend. Für das Publikum reicht es zu wissen, dass Elvis für seine Bekanntheit umschwärmt wird, dazu müssen wir nicht seine bekannten Lieder hören. Durch diese umschwirren Aufmerksamkeit, Macht und Geld die Autorität dieses Mannes, der sich eine Frau nach seinen Wunschvorstellungen schafft. Jederzeit für ihn da zu sein und nicht zu widersprechen, gehören für Priscilla ebenso dazu wie seinen Schönheitsidealen zu entsprechen. Dafür bekommt sie teure Geschenke. Anfangs passt sich Priscilla willig an, sie spielt nach seinen Regeln, weil sie es nicht anders kennt und keine seiner Wutausbrüche hervorrufen möchte. Drogenerlebnisse und wilde Parties zwischen ihren Unterrichtsstunden entsprechen dabei ebenso der klar nach seinem Willen und seiner Laune gelegten Linie. Elvis kommt in dieser Pygmalion-Rolle aber nicht allein die Verantwortung zu Priscilla geformt zu haben, denn als in den 1950er Jahren mit Anpassungswillen sozialisiert, hat sie eben auch gelernt sich formen zu lassen, zu gefallen und die von ihr erwartete Rolle zu performen.
Auch wenn sich Coppolas Erzählung auf Priscilla fokussiert, bleibt ihr emotionales Innenleben doch vor den Augen des Publikums zum Großteil verborgen, Veränderungen werden aber subtil über die visuelle Ebene bemerkbar. Bestimmt Elvis am Anfang der Beziehung noch ihre Haarfarbe, Make-Up und Kleidung, entfernt sich Priscilla später, wenn sie sich zunehmend aus ihrer untergeordneten Rolle in der Beziehung löst, von seinen Vorstellungen. Nach Außen hin reagiert sie auf seine Anordnungen aber stets zurückhaltend, ihre Trauer und ihr Ärger sind von Contenance geprägt, vieles beobachtet sie schlicht. Cailee Spaneys – sie erhielt für ihre Darstellung der Priscilla bei den 80. Internationalen Filmfestspielen in Venedig den Preis für die beste Schauspielerin – dünne Stimme, die stets nahe dem Zerbrechen scheint, unterstreicht die ruhige, sanfte Art ihrer Priscilla-Figur. Auf Elvis’ Wutausbrüche reagiert sie schweigend, seine Affären kommentiert sie nur kurz, ein Aufbegehren findet lange nicht statt. Als Höhle des Elvis-Löwen verschluckt Graceland Priscilla lange genug, um ihre großen Emotionen zu verdrängen und sie stattdessen in teure Konsumgüter einzupacken, die ihre Sicht auf einen Ausweg versperren.
Dass Priscilla das Potenzial hat, für Diskussionen zu sorgen, weil er das Augenmerk auf die Perspektive seiner Ex-Frau wirft und somit an dem Image des „King“ nagt, liegt auf der Hand. Doch eingefleischte Elvis-Fans wird Priscilla wahrscheinlich nicht so schnell dazu bringen, ihre Perspektive auf den „King“ zu überdenken oder den Künstler mit seiner Kunst als untrennbar verbunden zu betrachten. Die Anfang 2023 verstorbene Tochter Lisa Marie Presley hingegen, die Priscilla 1968 neun Monate nach ihrer Hochzeit mit Elvis zur Welt brachte, zeigte sich schockiert über Coppolas Drehbuch. Sie befürchtete negative Auswirkungen auf das Image von Elvis, was sich als dessen Erbinnen schließlich, so ist anzunehmen, auch auf ihr Leben auswirkt. Dahingestellt sei, abgesehen von wirtschaftlichen Interessen, dass sie womöglich selbst ein anderes Bild von ihrem Vater hatte, als es die Erinnerungen ihrer Mutter nahelegen.
Ab 4. Januar regulär im Kino.
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