FFHH 2015: Malala – Ihr Recht auf Bildung

Malala Yousafzai ist die jüngste Friedensnobelpreisträgerin aller Zeiten. Das alleine macht sie noch nicht zu meiner persönlichen Heldin. Aber Malala Yousafzai hat diesen Preis dafür bekommen, dass sie sich unermüdlich und weltweit für die Bildung von Mädchen und Frauen einsetzt. Es ist ihr erklärtes Ziel, auf diese Weise die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu etablieren. Malala Yousafzai ist eine Löwin, die nicht mal dann aufhört zu brüllen, wenn ihr die Feinde nach dem Leben trachten. Und damit ist sie ohne Frage meine persönliche Heldin dieser Tage.

© 20th Century Fox

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Und deshalb kann ich es auch verschmerzen, dass Davis Guggenheim in seinem Dokumentarfilm über Malalas Leben und Wirken nicht an Pathos spart. Wir dürfen und sollten ein wenig Gänsehaut und feuchte Augen bekommen, wenn wir Malalas Reden hören, wenn wir die Bilder sehen, die das Mädchen nach dem Anschlag auf ihr Leben zeigen, und wenn die kleine große Kämpferin mit einem leichten, gutmütigen Lächeln auf den Lippen darauf beharrt, keinerlei Hass gegen die Attentäter zu verspüren. Malala wirkt auch in ihrer Autobiographie derart überlebensgroß, dass dieser Person im Grunde gar nicht anders als mit Pathos begegnet werden kann.

Aber Davis Guggenheim erzählt kein Drama einer Märtyrerin. Er zeigt Malala und ihre Familie inmitten des neuen fremden britischen Alltags während er in Rückblicken chronologisch die Entwicklungen nachzeichnet, die zu dem Anschlag der Taliban führten. Dabei bedient er sich nicht nur dokumentarischen Foto- und Videomaterials, sondern ergänzt narrative Lücken auch durch Animationssequenzen. Insbesondere die Musik verleiht diesen gezeichneten Bildern etwas Märchenhaftes. Auch hierin liegt Konsequenz, beschreibt doch auch Malala in ihrem Buch die pakistanische Heimat stets mit sehnsuchtsvoller Verklärung.

© 20th Century Fox

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Erfrischend ist, dass Guggenheim neben der Heldinnengeschichte auch Raum für Fragen und Kritik lässt. Welches Maß an Verantwortung für die Ereignisse ist ihrem Vater, Ziauddin Yousafzai, zuzusprechen, der die politische Karriere seiner Tochter trotz bekannter Gefahren angestoßen und unterstützt hat. Bereits ihr Name – der Name einer berühmten pakistanischen Märtyrerin, die auf dem Schlachtfeld für ihre Überzeugungen starb – stellte das Leben des Mädchens vom ersten Augenblick an unter einen seltsam bedrohlichen Stern. Auch wenn Malala ohne Frage eine wissbegierige, intelligente und mutige Frau ist, müssen wir uns die Frage stellen, inwiefern sie in den jungen Jahren in der Lage war, Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen. Inwiefern sie bewusst einen Weg eingeschlagen hat, der sie heute von ihren Altersgenossinnen isoliert. In ihrer ernsten Miene spiegelt sich die Last ihrer großen Aufgabe. Nur ein einziges Mal ist sie ganz der Teenager, der sie in ihrem Alter sein sollte: Beim Thema Jungs lacht sie hinter vorgehaltener Hand, voll authentischer, mädchenhafter Scham. Es ist der vielleicht schönste Moment des Films.

© 20th Century Fox

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Malala selbst beharrt darauf, stets eigene Entscheidungen getroffen zu haben. Ihr Vater und sie sind ein Team, auch das zeigt uns Guggenheims Film ebenso deutlich wie das zu Grunde liegende Buch. Ziauddin Yousafzai spricht sogar von einer Seele, die in zwei Körpern wohne. So verbunden fühlt er sich seiner Tochter. Die Zärtlichkeit dieses Vater-Tochter-Verhältnisses ist berührend und verklärt zuweilen die kritische Frage nach der Verantwortlichkeit.

Doch diese Kritik lässt sich auch umdrehen. Ja, Ziauddin Yousafzai ist fester Bestandteil von Malalas Geschichte und nimmt daher auch in Guggenheims Film eine dominante Rolle ein. Dies ist jedoch auch ein Zeichen dafür, wie fundamental wichtig das Engagement von Männern im Emanzipationsprozess der Frauen sind. Hätte sie andere, konservative Eltern, so Malala, wäre sie in ihrem Alter nun bereits zweifache Mutter. Dass sie quasi in einer Schule aufwuchs, sich für Bildung begeistern konnte und die Gelegenheit bekam, öffentlich für ihre Rechte einzustehen, ist innerhalb ihrer Lebensrealität allein ihrem Vater zu verdanken. Und so ist Malalas Geschichte auch ein Anruf an die Väter dieser Welt, ihre Töchter zu fördern und zu unterstützen. Nicht, weil sie selbst nicht genug Kraft hätten, aber weil sich ein patriarchales System nur dann verändern lassen, wenn auch die „Patriarchen“ mit anpacken und nicht nur denen die Arbeit überlassen wird, die gegen ihre Benachteiligung kämpfen.

Malala hat etwas, das vielen Frauen in ihrer Heimat vorenthalten wird: eine Stimme. David Guggenheim trägt dieser Tatsache Rechnung, indem er die talentierte Rednerin in seinem Film vornehmlich die eigene Geschichte erzählen lässt. Nur manchmal übernehmen ihre Wegbegleiter_innen das Voice Over. An einer Stelle aber übergeht Guggenheim seine Protagonistin sichtbar: Obwohl Malala zugibt, über ihren eigenen Leidensweg bewusst zu schweigen, zeigt Guggenheim bedrückendes Bild- und Filmmaterial aus der Zeit nach dem Attentat. Bilder, die uns vor Augen führen, wie nah die Menschenrechtsaktivistin dem Tode stand, wie schwer und schmerzhaft sich ihre Rehabilitation gestaltete. Es ist mehr als fraglich, ob wir diese Informationen brauchen, um Malala als die Heldin wahrzunehmen, die sie ist.

© 20th Century Fox

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Guggenheim hätte ihrer Selbstdarstellung treu bleiben sollen, die jenseits jedweder Märtyrerinnen-Attitüden rangiert. Malala ist derart bescheiden und demütig, so voller Vergebung und Nächstenliebe, dass wir es kaum glauben können. Diesem Naturell entspricht die pathetische Inszenierung Guggenheims keineswegs. Andererseits gelingt es seiner Inszenierung, die Zuschauer_innen für Malala und ihren Kampf für Bildung und Gleichberechtigung zu begeistern. Nicht umsonst werden während des Abspanns eine Spendenmöglichkeit und Malalas Webseite eingeblendet. Mit seinem Film fordert Davis Guggenheim uns direkt zu eigenem Engagement auf. Und das wiederum ist sicher ganz in Malalas Sinne.

Kinostart: 22. Oktober 2015


Sophie Charlotte Rieger
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