Kritik: Seht mich verschwinden

Isabelle Caro anzusehen fällt schwer. Die hervorstehenden Knochen und das eingefallene Gesicht schockieren und beängstigen. Als hätte die junge Frau mit den Kilos auch sich selbst verloren, scheint von Isabelle kaum mehr etwas übrig zu sein. Der Titel Seht mich verschwinden wirkt umgehend schlüssig.

© farbfilm

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Auch wenn Regisseurin Kiki Allgeier selbst sagt, dass es ihr nicht um das Thema Magersucht ginge, so ist die Krankheit doch omnipräsent. Denn Isabelle Caro ist – und das zu großen Teilen freiwillig und sehr selbstbewusst – die Anorexie in Person. Bekanntheit erlangte sie durch die „No-l-ita“-Kampagne von Fotograf Oliviero Toscani, die Magersucht in Zusammenhang mit der Modeindustrie thematisierte. Plötzlich stand Isabelle Caro im Zentrum der Öffentlichkeit. Die ehemalige Musikerin und angehende Schauspielerin war plötzlich zum Model geworden, das stellvertretend für viele Kolleginnen die Perversion eines auf Schlankheit fokussierten Körperbildes demonstrierte.

Doch inwiefern stürzte diese öffentliche Bühne und Anerkennung Isabelle Caro noch tiefer in die Krankheit? Schließlich war Caro für ihre Magersucht bekannt. Nicht für ihre musischen oder schauspielerischen Talente, nicht für die Person, die sie war. Die „No-l-ita“-Kampagne führte sich in gewisser Weise selbst ad absurdum, in dem sie ihre Protagonistin nun einer neuen Form des Voyeurismus aussetzte, die Gefahr lief, gleichsam destruktive Folgen nach sich zu ziehen wie der Schlankheitswahn des Modegeschäfts. Dazu kommt, dass Isabelle Caro in Wirklichkeit niemals ein Model war, ihre Krankheit mit dem Phänomen der Magermodelle also nichts zu tun hat.

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Aber wer war Isabelle Caro dann? Filmemacherin Kiki Allgeier gibt sich so viel Mühe, ihrer Protagonistin mit dem gebührenden Respekt und Feingefühl zu begegnen, dass sie an der Antwort dieser Frage bedauerlicher Weise scheitert. Ihr Portrait der jungen Frau wirkt unvollständig und verworren. Seht mich verschwinden stellt Thesen eines Familiengeheimnisses auf, ohne hierfür Belege anzuführen und belässt das Kinopublikum damit in einer problematischen Unsicherheit, muss es doch davon ausgehen, dass die Hauptfigur keine glaubwürdige Erzählerin ihrer eigenen Geschichte darstellt. Weder ist Isabelle Caros Werdegang nachvollziehbar (dass sie eigentlich gar kein Model war, konnte ich nur dem Pressematerial entnehmen), noch ist Entstehung und Verlauf ihrer Krankheit für die Zuschauer_innen erfahrbar. Dieser fragmentarische Charakter des Films, die Unmöglichkeit Isabelle Caro als Person ganz zu erfassen, führt zwangsläufig zu eben jener Reduzierung ihrer Person zurück, die Kiki Allgeier vermeiden wollte: Isabelle bleibt vornehmlich „die Magersüchtige“.

Seht mich verschwinden kann uns letztlich seine Hauptfigur nur ansatzweise nahebringen. Aber der Film vermag etwas anderes. Er macht sehr deutlich, wie unsere zeitgenössischen Medien nicht nur Körper, sondern auch Figuren konstruieren. Isabell hat sich zwar selbst durch Schönheitsoperationen und den Wechsel ihres Namens zu einer neuen Figur erschaffen, doch der Medienrummel trug seinen Teil dazu bei, diese destruktive Tendenz zu verstärken. Niemanden interessierte, wer sie war. Niemanden interessierte ihre Geschichte. Auch in der „No-l-ita“-Kampagne wurde sie ausschließlich auf ihren Körper reduziert. Einen schockierenden zwar, aber dennoch einen, der stets den Blicken anderer ausgesetzt war.

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Der ernste, um nicht zu sagen tragische Ton und Stil des Dokumentarfilms verstärkt diese Objektifizierung des Menschen Isabelle Caro. Sie bleibt das Opfer einer Familie, einer Gesellschaft und ein Opfer ihrer selbst. Auch wenn stets von ihrem Kampf gegen die Magersucht die Rede ist, wird dieser niemals sichtbar. Im Gegenteil müssen wir uns am Ende gar die Frage stellen, ob Isabelle wirklich gesund werden oder tatsächlich die lang ersehnte Aufmerksamkeit genießen wollte, zu der ihr Toscanis Kampagne in Verbindung mit ihrer Krankheit verhalf.

Beim Verlassen des Kinosaals bleibt Betroffenheit, aber auch Ratlosigkeit. Eine Ratlosigkeit, die hinsichtlich des Themas ein Problem darstellt. Kiki Allgeier ist in ihrer Darstellung zu schwammig, zu ambivalent und riskiert, mit Seht mich verschwinden statt einer Warnung oder zumindest kritischen Hinterfragung der Darstellung von Magersucht in den Medien eher einen Trigger zu formulieren.

Kinostart: 2. Juli 2015

Sophie Charlotte Rieger
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