Kein Blockbuster-Check: Spider-Man: Homecoming – Ein Aufschrei

Eigentlich wollte ich zu Spider-Man: Homecoming einen klassischen Blockbuster-Check schreiben, mit der Beleuchtung von Geschlechter- und insbesondere der Frauen*rollen anhand einzelner Aspekte. Allerdings wächst Marvel mit seinem neuesten Streich über sich selbst hinaus und geht über die ohnehin auffällige Marginalisierung von weiblichen* Figuren in seinen Superheldenfilmen noch mal ein paar Kilometer hinaus.

Spider-Man: Homecoming hat keine Figur, die einer weiblichen* Heldin auch nur nahe käme. Die wenigen Frauen* und Mädchen* der Geschichte verfügen über eklatant wenig Screentime und noch weniger Dialog. Noch nie waren Tante May (Marisa Tomei) oder MJ, die ohnehin erst in den letzten Filmminuten als solche in Erscheinung tritt, für die Handlung derart verzichtbar. Auf der Seite des Bösen tummelt sich keine einzige Frau*. Und Peter Parkers Love Interest Liz (Laura Harrier) ist nichts mehr als eine Projektion jungen*haften Begehrens sowie ein reines Vehikel, um den Konflikt zwischen Held und Bösewicht zu verschärfen. Mit einem Blick auf die beiden vorhergehenden Franchises über den Spinnenmann* macht Marvel mit Spider-Man: Homecoming hinsichtlich der Geschlechterrollen einen unfassbar großen Schritt zurück. Und jetzt komme mir bitte niemand mit dem Argument, es handele sich hier ja schließlich um einen Film über einen jungen Mann*. Wonder Woman beispielsweise räumt zentralen Männer*figuren großen Raum in der Hanldung ein. Es gibt für die eklatante Abwesenheit weiblicher* Menschen in Spider-Man: Homecoming also wirklich keinerlei Entschuldigung. Wirklich KEINE!

© Sony

Deshalb möchte ich diesmal, statt zum gefühlt hundertsten Mal einen Marvelfilm aus der Gendersperspektive zu zerreißen, ein paar Möglichkeiten aufzeigen, wie einfach es gewesen wäre, Frauen* allermindestens zum Teil der Filmwelt von Spider-Man: Homecoming zu machen:

  • Peter Parkers Sidekick Ned (Jacob Batalon) hätte problemlos ein Mädchen* sein können.
  • Im Gefolge von Bösewicht Vulture (Michael Keaton), ließen sich mit Leichtigkeit ein paar Handlangerinnen verorten.
  • Peter Parkers Wissenschafts-AG könnte von einer Lehrerin geführt werden.
  • Tante May hätte ein Handlungsstrang gegeben werden können, der über Peters Beschützerinstinkt für seine Ziehmutter hinausgeht.
  • Genauso hätte Liz eine Persönlichkeit, ja, vielleicht gar einen Einfluss auf den Verlauf der Dinge besitzen können.
  • In Massenszenen hätte die Regieassistenz darauf achten können, mindestens ebenso viele Frauen* wie Männer* ins Bild zu stellen.
  • Und statt Happy (Jon Favreau) könnte Pepper (Gwyneth Paltrow) ebenso gut als eine Ansprechpartnerin für Peter Parker innerhalb des Stark-Konzerns fungieren.

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Und das ist nur eine kleine Auswahl all der vielen, vielen Möglichkeiten, eine Filmwelt nicht nur aus männlich* identifizierten Menschen mit Penis zusammenzustellen.

Als ich das Kino verließ, war ich stinksauer. Spider-Man: Homecoming gehört zu jenen Filmen, die als Mainstream-Blockbuster nicht nur die größte, sondern auch eine besonders junge Zielgruppe erreichen. Es sind Filme wie dieser, die Kindern und Jugendlichen heutzutage als moderne Mythen dienen, aus denen sie mitnichten nur Unterhaltung, sondern auch Ideen über sich selbst und die Welt, in der sie leben, finden. Während Jungen* in dieser Geschichte durch die Bank stark und heldenhaft sein müssen, um Anerkennung und gewisser Maßen auch eine Daseinsberechtigung zu besitzen, sind Mädchen* und Frauen* fast vollständig abwesend, spielen keinerlei Rolle außer als Mutterfiguren oder Sehnsuchtsobjekte. Für einen Film des Jahres 2017, dem Jahr, in dem Wonder Woman neue Maßstäbe für unsere Blockbuster-Kultur setzt und wir bereits anhaltend über Geschlechterrollen in Film und Fernsehen diskutieren (wenn auch meiner Meinung nach in Deutschland noch immer viel zu wenig!) ist Spider-Man: Homecoming nichts anderes als eine bodenlose Frechheit.

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Was mich daran aber noch viel mehr ärgert als die Macher_innen, denen offenbar nicht einmal auffällt, dass sie sich und ihre Zuschauenden gesellschaftlich in die 50er Jahre zurück katapultieren, sind die ausbleibenden Reaktionen der angeblichen „Kritiker_innen“ des zeitgenössischen Kinos sowie das Fehlen von Entsetzen im Publikum. Es ist mir schleierhaft, wie Kolleg_innen diesen Film bewerten können, ohne auf das Geschlechterungleichgewicht zu sprechen zu kommen, und es ist mir ein Rätsel, wie Menschen sich diesen Film ansehen können, ohne sich danach verbal darüber zu erbrechen, was für ein himmelschreiender Stumpfsinn das alles hinsichtlich des Testosteronüberschusses sei. Ich verstehe nicht, warum wir uns nicht alle viel mehr über Filme wie diesen ärgern – und zwar nicht leise am Küchentisch, bei der Filmnachbesprechung mit Freund_innen und Familie, sondern LAUT und AKTIV.

Als ich neulich mit Petra Volpe über ihren Film Die göttliche Ordnung sprach, artikulierte sie den Wunsch, dass Menschen wieder mehr in den aktiven Widerstand gegen Missstände gingen. Und nach Spider-Man: Homeocoming steht mir der Sinn wirklich nach Revolte. Mal im Ernst: So geht es doch nicht weiter! Es reicht!! Was spricht dagegen, Filme wie diesen einfach zu boykottieren, nicht ins Kino zu gehen, Freund_innen darum bitten, dasselbe zu tun?! Was spricht dagegen, einmal öffentlich zu artikulieren, dass wir auf diese Geschichten einfach keinen Bock mehr haben?! Was spricht dagegen, von Filmemacher_innen einzufordern, sich verdammt noch mal mehr Mühe mit Frauen*figuren zu geben?! Ich finde, wir sollten es so machen wie Wonder Woman: aus der Wut die Kraft zum Widerstand schöpfen. Auf geht’s: Mäuler auf und rausgebrüllt!

RRROOOAAARRR!!!

Sophie Charlotte Rieger
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