IFFF 2016: La mujer de nadie

Producciones Carola

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Adela Sequeyro ist die erste Mexikanerin, die bei einem Tonspielfilm Regie führte. Von ihrem Werk, La mujer de nadie, existiert nur noch eine einzige Kopie, die in Mexiko verwahrt und nicht mehr verliehen wird. Ob sie jemals digitalisiert, restauriert und für die Nachwelt konserviert wird, steht in den Sternen. Und so kommt es auch, dass beim Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund/Köln nur eine DVD gezeigt werden konnte, deren Bildqualität… nun, ja… zu wünschen übrig lässt. Und dennoch ist La mujer de nadie einer der besten Filme, die ich im Zuge des Festivals 2016 gesehen habe.

Adela Sequeyro spielt Ana María, die von ihrem Vater mit Peitschenhieben aus dem Haus gejagt und völlig entkräftet von drei Künstlern aufgefunden und im gemeinsamen Heim aufgenommen wird. Aus anfänglicher Skepsis entwickelt sich Faszination und schon bald ist Ana María vom unliebsamen Gast zur Muse der drei Männer* aufgestiegen. Das Drama ist vorprogrammiert, als die schöne Frau* sich in einen von ihnen verliebt und das harmonische Miteinander infolgedessen zusammenzubrechen droht.

Das Faszinierende an La mujer de nadie ist, dass diese Geschichte heute noch genauso erzählt werden könnte, jedoch nicht mehr mit dieser bedingungslosen Ehrlichkeit verfilmt würde. Die Situation, dass sich befreundete Männer durch die Konkurrenz um eine schöne Frau voneinander entfremden, hat vermutlich schon nahezu jede_r aus der einen oder anderen Perspektive erlebt. Aber dies ist nicht das einzige „zeitlose“ Element von Sequeyros Geschichte.

„El amor es placer y nada más“ („Die Liebe ist Genuss und sonst nichts“ – meine Übersetzung) ist das Motto und die Lebenseinstellung der drei Männer* bevor sie Ana María begegnen. In ihrem Umgang mit der jungen Frau* zeigt sich die Unbeholfenheit vergeistigter Künstler ohne Bezug zu Körperlichkeit und Sexualität ebenso wie die Hilflosigkeit von weiblicher Schönheit entwaffneter Männer*. Ana María wird als Eindringling, als Bedrohung gesehen und erst der Schatten ihres nackten Körpers weckt in den drei Herren* Sympathie, die aus reinem Begehren entsteht. Damit demaskiert Adela Sequeyro die männliche Hilfsbereitschaft als eine zweckgerichtete Strategie der Verführung. Doch Ana María erobert ihre Gastgeber nicht nur mit ihrem Körper, sondern auch mit der Übernahme klassisch weiblicher Tugenden*, oder kurz gesagt: Hausarbeit. Aus dem chaotischen und nicht besonders wohnlichen Junggesellenhaushalt wird ein gemütliches Heim.

© Producciones Carola

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La mujer de nadie zeigt die Rolle der Frau in der Gesellschaft sehr deutlich und das ohne den mahnenden Zeigefinger zu heben. Die drei Männer* erfahren keine Abwertung oder Verurteilung, sondern bleiben Menschen, die innerhalb eines patriarchalen Denksystems agieren, das zu durchbrechen sie nicht in der Lage sind. Nur aus dem patriarchalen Besitzdenken entsteht jene Konkurrenz um Ana María, die die Männerfreundschaft aufs Spiel setzt. Besonders interessant ist dabei die implizite Verhandlung des Künstler*innenbegriffs. Ana María wird als Muse zum Objekt männlicher Kunst, obwohl sie bzw. Adela Sequeyro als Regisseurin ja die eigentliche Künstlerin ist. Diese ironische Umkehrung der Rollen verdeutlicht die Objektifizierung der Frau durch im Grunde jede Form von Kunst – sei es Musik, Malerei oder Dichtung. Dabei ist die weibliche* Perspektive der Filmemacherin anhaltend spürbar, denn obwohl Ana María quasi als Wanderpokal von einem Künstler zum nächsten wandert, um dessen Schaffensprozess zu beflügeln, büßt sie innerhalb der Logik des Films niemals ihren Subjektstatus ein. Dies liegt vor allem an der Aufwertung der Haushaltstätigkeiten: Ana María will nicht nur passive Muse sein, sondern aktiv an der Gestaltung des gemeinsamen Lebens teilhaben und ihr häusliches Engagement erfährt sowohl durch ihre Mitbewohner als auch durch den Film selbst Anerkennung.

Ana María ist keine Strategin. Sie spielt die Männer nicht gegeneinander aus und es liegt ihr fern, durch ihre Präsenz Zwietracht zu säen. Aber natürlich genießt sie die Aufmerksamkeit und Zuneigung der drei Männer. Warum auch nicht? In erstaunlich ehrlichen Szenen zeigt Adela Sequeyro den Austausch von Zärtlichkeiten zwischen den vier Protagonist_innen. Dabei wird die ungewöhnliche „ménage à quatre“ niemals angezweifelt und kritisiert, sondern als legitime Beziehungskonstellation in den Möglichkeitsraum gerückt. Das Scheitern des Zusammenlebens ist also nicht auf die Unmöglichkeit dieser polyamoren Beziehungsform zurückzuführen, auch nicht darauf, dass Männer und Frauen keine platonische Verbindung miteinander eingehen könnten. Das Drama entsteht ausschließlich aus dem patriarchalen Besitzanspruch, der Unfähigkeit der sonst so sensiblen Männer, Ana María als Person und nicht als Objekt zu sehen.

© Producciones Carola

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Am Ende opfert Ana María ihre eigene Liebe für die Freundschaft der drei Männer* – eine mutige und immens starke Geste, die im zeitgenössischen Kino mehrheitlich Männern vorbehalten ist. Das Fazit der Verlassenen, man brauche immer eine Frau*, ist nur als Kritik an eben jener Aussage zu verstehen, da die Künstler bis zum Ende nicht verstanden haben, dass Ana María mehr ist als ein Mittel zum Zweck der Inspiration und Haushaltsführung. La mujer de nadie, also die Frau, die niemandem gehört, zeigt deutlich, dass eine Beziehung zwischen den Geschlechtern nur auf Augenhöhe und ohne Besitzansprüche funktionieren kann. Mit dieser emanzipatorisch wertvollen Aussage ist Adela Sequeyros Film ein geradezu explosiver Meilenstein des feministischen Films und es ist wahrlich kein Wunder, dass eine Gesellschaft wie die Mexikos, die noch immer vom „Machismo“ geprägt ist, einen solchen Film lieber im Archiv verschwinden lässt.

Sophie Charlotte Rieger
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