IFFF 2016: God Is Not Working On Sunday!

Das Land mit der höchsten Frauen*quote im Parlament, über 50%, ist kein skandinavisches, wie viele es vermuten werden, sondern ein afrikanisches: Ruanda. Wie mir einst eine US-amerikanische Aktivistin erklärte, hat dies einen ganz einfachen Grund: Der Völkermord hat vielen Männern* das Leben gekostet und eine Leerstelle geschaffen, die nun durch Frauen* gefüllt wird. Dass Nachkriegszeiten Frauen* neue Wege eröffnen, ist keine Seltenheit. Auch während des zweiten Weltkriegs beziehungsweise im Anschluss waren Frauen* vermehrt berufstätig. Hierin liegt nicht zuletzt auch ein Grundstein für die zweite feministische Welle in den 70er und 80er Jahren.

Aber zurück zu Ruanda: Obwohl die Regierung also mehrheitlich aus Frauen* besteht, ist die Situation der Überlebenden des Genozids noch immer desaströs. In den 100 Tagen, die der systematische Völkermord andauerte, wurden zwischen 250.000 und 500.00 Frauen* vergewaltigt – eine Zahl, die sich unserem Vorstellungsvermögen völlig entzieht. Viele der Betroffenen starben, viele infizierten sich mit HIV und viele gebaren Kinder. Diese sogenannten Täterkinder wie auch ihre Mütter sind bis heute gesellschaftlich geächtet. Da die Täterkinder auf väterlicher Seite Hutu-Wurzeln haben, steht ihnen keine Unterstützung der staatlichen Opferhilfe zu. Ihre Mütter fühlen sich oft nicht in der Lage, ihre Kinder zu lieben, da sie eine lebendige Retraumatisierung darstellen. Gleichzeitig sind die Überlebenden dem Druck der Regierung ausgesetzt, ihren Peinigern zu vergeben. Aber kann eine staatliche verordnete Aussöhnung funktionieren?

© Frauenfilmfestival Dortmund/Köln

© Leona Goldstein

Die jüdisch-stämmige Regisseurin Leona Goldstein hat durch ihre Familiengeschichte einen persönlichen Zugang zum Thema Völkermord und auch zur Frage der Vergebung. Dies ist mit Sicherheit auch einer der Gründe für ihre intensive Auseinandersetzung mit der Situation ruandischer Frauen* in ihrem Dokumentarfilm God Is Not Working On Sunday!. Mehrere Jahre hat Goldstein vor Ort recherchiert, gearbeitet, Beziehungen geknüpft. Entstanden ist schließlich ein Dokumentarfilm, der maßgeblich von den Protagonistinnen gestaltet wurde. Die Interviewpartnerinnen hatten zu jeder Zeit die Kontrolle über die Situation, konnten Gespräche mit einer einzigen Geste abbrechen oder das Thema wechseln. Zudem durften sie das von ihnen gedrehte Material vor der Veröffentlichung sichten und absegnen. Damit hat Leona Goldstein einen Schutzraum geschaffen, in dem es den Überlebenden möglich ist, von ihren traumatischen Erlebnissen zu berichten.

Das Faszinierende aber an Goldsteins Film ist, dass die Frauen* trotz der für uns schier unaushaltbaren Schilderungen und haarsträubenden Szenen erzwungener Vergebung niemals als Opfer erscheinen. Um von Missbrauch betroffene Frauen* aus der Opferposition zu befreien, ist der Begriff „Überlebende“ heute eine gängige Bezeichnung und es ist eben jener Paradigmenwechsel, der Goldsteins Dokumentarfilm auszeichnet. Statt ihr Publikum zu Tränen zu rühren, erschafft die Regisseurin Respekt und Bewunderung für Frauen, die mit den furchtbarsten Traumata leben und dennoch proaktiv in die Zukunft schauen, die sich füreinander engagieren, sich stützen und trösten und die in vielen Fällen zu einer für uns unvorstellbaren Vergebung fähig sind. God Is Not Working on Sunday! zeigt ebenso eindrucksvoll, dass Aufklärung über Frauen*rechte und insbesondere sexuelle Selbstbestimmung eine starke Wirkung haben – auf Frauen* wie auf Männer* und dass entsprechende Projekte Früchte tragen. Damit ermutig Leona Goldstein ihr Publikum zu eigenem Engagement – nicht zwingend in Ruanda oder anderen Entwicklungsländern, sondern auch vor der eigenen Haustür.

Mir zum Beispiel macht God Is Not Working On Sunday! Mut, dass mein Engagement, nämlich die kritische Auseinandersetzung mit medialen Inhalten hinsichtlich der Rolle der Frau*, tatsächlich etwas verändern kann. Und genau deshalb ist es so wichtig, Frauen* nicht in der Opferrolle zu belassen – ob in Dokumentar-, Kino- oder Fernsehfilmen. Es ist wichtig, Wege in eine bessere Zukunft aufzuzeigen, anstatt sich nur über die Vergangenheit oder den Status Quo zu echauffieren.

© Frauenfilmfestival Dortmund/Köln

© Leona Goldstein

Leona Goldstein aber erzählt nicht nur eine beeindruckende Geschichte, sie gehört auch selbst zur Gruppe beeindruckender Frauen. Denn es ist ihr dokumentarischer Ansatz, die Abgabe der Kontrolle über ihren Film an die Protagonistinnen, der die Authentizität und Eindringlichkeit ihres Werkes erst möglich macht. Diese Sensibilität in Verbindung mit Demut gegenüber jenen, die hier ihre Geschichte zu teilen bereit sind, setzt die Unterordnung ihres Künstlerinnenegos unter das Thema voraus. Und ich möchte hier die These wagen, dass diese Herangehensweise eine genuin weibliche* ist, die sich mit dem männlich* geprägten Künstler*begriff nur schwer vereinbaren lässt. Damit ist God Is Not Working On Sunday! also auch ein weiteres Argument für die stärkere Präsenz von Filmfrauen*, die das Kino durch ihre Perspektiven und Themen erheblich bereichern.

 

God Is Not Working On Sunday! ist aktuell (22. April 2016) auf keiner der großen deutschen Filmseiten (moviepilot.de, kino-zeit.de, filmstarts.de) vertreten, was einmal mehr auf den blinden Fleck des zeitgenössischen Filmjournalismus hinweist. Umso wichtiger, dass Projekte wie die FILMLÖWIN diesem Film zu mehr Öffentlichkeit verhelfen. Deshalb hier noch einmal die herzliche Einladung, meine Arbeit zu unterstützen, und damit dazu beizutragen, die (deutsche) Filmlandschaft zu bereichern.

Sophie Charlotte Rieger
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