Filmkritik: Zweite Chance

@ Prokino

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Ein moderner Vater, so scheint es, steht im Zentrum von Susanne Biers neuestem Film Zweite Chance. Nikolaj Coster-Waldau spielt Andreas, einen frisch gebackenen Vater und engagierten Polizisten, der während eines Einsatzes das stark vernachlässigte Baby eines Junkies und Straftäters entdeckt. Doch Andreas’ Versuche, Tristan (Nikolaj Lie Kaas) und seiner nicht minder verantwortungslos wirkenden Freundin Sanne (Lykke May Andersen) das Kind zu entziehen, scheitern.

Liebevoll sorgt sich Andreas um sein eigenes Kind, fährt den kleinen Jungen nachts mit dem Auto spazieren, um ihn zu beruhigen und die überforderte Mutter Anna (Marie Bonnevie) zu entlasten. Im Gegensatz zu ihrem besonnen Ehemann legt sie schon frühzeitig hysterische Symptome an den Tag. Ist dies nur der Schlafentzug oder stressbedingte Depression, die Anna zu derart heftigen Gefühlsausbrüchen verleitet? Als die junge Familie von einem bitteren Schicksalsschlag heimgesucht wird und Anna gar mit Selbstmord droht, sieht Andreas nur einen einzigen Ausweg, der eine Kette unheilvoller Ereignisse in Gang setzt.

In natürlichen Farben und mit einem auffallend zurückhaltenden Einsatz von Musik inszeniert Susanne Bier ein bedrückendes Drama, das seine Kraft primär aus der schauspielerischen Leistung der Hauptdarsteller_innen generiert, auf sentimentale Tränendrüsen-Attacken verzichtet und stattdessen auf Betroffenheit setzt. Dem Publikum wird auf diese Weise statt Mitleid immer wieder die Frage nahegelegt, wie es sich selbst verhalten würde und welches Urteil über die handelnden Personen zu fällen sei.

© Prokino

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Zunächst scheint es, als würde es sich Susanne Bier hier ein wenig einfach machen. Das hübsche Paar im hübschen Haus am See kontrastiert sie mit den Junkie-Eltern und ihrer verwahrlosten Wohnung. Vielen Menschen auf den Kinositzen wird das Urteil wohl leicht fallen: Weshalb haben Andreas und Anna ein derartiges Schicksal verdient? Sollte dies nicht eher Tristan und Sanne ereilen? Doch ein überraschender Twist kehrt diese Schubladen-Logik plötzlich um: Auch schöne Menschen in schönen Häusern können unschöne Dinge tun.

Ganz überzeugen kann Zweite Chance schließlich trotzdem nicht. Im dritten Akt verstrickt sich Andreas in viel zu auffälligen Fehltritten, die keinen Zweifel am Ausgang der Geschichte aufkommen lassen. Auch die mit dem Holzhammer verabreichte und reichlich ausgelutschte Moral davon, dass es niemals zu spät sei, das Richtige zu tun, schwächt das zu Beginn so starke Konzept, in dem es die Geschichte ihrer Ambivalenzen beraubt. Am Ende ist es eben doch wieder ganz einfach, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden.

Bedauerlich ist auch der Umgang mit den weiblichen Charakteren, die sich in ihrer Passivität gegenseitig überbieten. Da hilft es auch nichts, dass Andreas’ Vorgesetzte eine Frau ist. Sie bleibt zu sehr Randcharakter um die hilflosen Mütter der Geschichte aufzuwiegen. Anna und Sanne sind beide auf ihre Weise in sich selbst und ihren Beziehungen gefangen. Während die Männer mehr oder minder gelungene Pläne schmieden, dabei aber immerhin aktiv ihr Schicksal in die Hand nehmen, beschränken sich die weiblichen Figuren auf die sprichwörtlichen und klischeehaften hysterischen Ausbrüche, deprimiertes Weinen und (Selbst)Aufgabe. Zweite Chance hätte immens an der Perspektivübernahme zumindest einer der beiden Mutter-Figuren gewonnen, die letztlich die viel interessanteren Charaktere darstellen als der stets sympathisch und rechtschaffen wirkende Held Andreas.

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Es ließe sich freilich argumentieren, dass Susanne Bier – wie schon eingangs erwähnt – einen modernen Männertyp vorstellt, der durch seine Väterlichkeit charakterisiert wird. Doch ein kritischer Blick offenbart recht schnell, dass wir es doch wieder mit denselben Stereotypen – strategisch denkenden Männern und emotional gesteuerten Frauen – zu tun haben, die konservative Rollenmuster untermauern. Zwar verliert auch Andreas irgendwann die Fassung, doch ist sein Zusammenbruch frappierender Weise für die Zuschauer_innen weit nachvollziehbarer als die vorhergehenden Entgleisungen der Frauen.

Auch davon abgesehen kann Zweite Chance keinen nennenswert größeren Unterhaltungswert als ein gelungenes TV-Drama entwickeln. Schade, dass sich hier mal wieder eine kluge Geschichte mit viel Potential durch zu viele Klischees der eigenen Kraft beraubt.

Kinostart: 14 Mai 2015

Sophie Charlotte Rieger
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