FFHH 2015: Granny’s Dancing on the Table

Die schwedische Regisseurin Hanna Sköld versucht sich in Granny’s Dancing on the Table an einer Genealogie des Missbrauchs. Ausgehend von der tristen Gegenwart ihrer Heldin Eini (Blanca Engström), die mit dem gewalttätigen Vater (Lennart Jähkelin völliger Isolation lebt, blickt der Film in Stop Motion Sequenzen in die Familiengeschichte zurück. Dabei ist Eini Erzählerin und Autorin zu gleich. Indem Sköld das Mädchen wiederholt mit einem Knet- oder Tonklumpen zeigt, suggeriert sie ihre Autorenschaft für die animierten Sequenzen. Auch der zuweilen märchenhafte Erzählton deutet darauf hin, dass es sich hier nicht um einen auktorialen, sondern einen subjektiven Rückblick handelt. Der Briefverkehr zwischen Großmutter und –tante, gesprochen von Granny (Karin Bertlingund ihrer Schwester Lucia (Briten Granqvist), ergänzt Einis Berichte und ermöglicht gleichzeitig einen Zugang zur Sehnsuchtsfigur der Oma.

Auch wenn Granny nicht auf dem Tisch tanzt, so ist sie als unabhängige Frau doch ein Vorbild für die kleine Eini, die zu absoluter Demut erzogen ist. Stumm erträgt sie die „korrigierende“ Gewalt ihres Vaters, dessen Misogynie, sein Misstrauen gegen die Frau als sexuelles Wesen, im Verlust der als promiskuitiv verurteilten Mutter wurzelt.

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© Nordic Factory Film

Die unheimlich liebevoll gestalteten Stop-Motion Sequenzen, in denen vor allem die Detailverliebtheit der Requisiten begeistert, erzählen von einer Frustration-Aggressionskette. Granny muss ihren unehelichen Sohn der Schwester und deren Ehemann überlassen. Während sie in der großen weiten Welt ein (sexuelle) selbstbestimmtes Leben beginnt, bleibt Lucia in der Isolation und einer Ehe, die zunehmend von Gewalt gegen sie und das Kind geprägt ist. Die Gewalterfahrung sowie das Gefühl, von der Mutter verlassen worden zu sein, führen zu neuer Aggression, die Eilis Vater erst gegen seine Frau und schließlich gegen die Tochter ausagiert.

Auch wenn diese Herleitung der Gewaltkette den Vater von der Täter- in die Opferposition rutscht, erfährt er durch den Film keine Entschuldigung seines Verhaltens. Vielmehr löst Hanna Sköld die Kategorien Täter/Opfer auf und zeigt das fatale Zusammenspiel zwischen gesellschaftlicher Isolation und patriarchalen Machstrukturen, die eine Weitergabe der Gewalt von einer Generation in die nächste ermöglichen.

Doch statt die Stop Motion Sequenzen als ästhetische Distanzierung zur dargestellten Gewalt zu nutzen, zeigt uns Hanna Sköld auch in den Spielfilmsequenzen Szenen von Misshandlungen und Erniedrigungen. Sie verlässt sich zu wenig auf die Macht ihrer Bilder, die doch eigentlich in der Lage sind, die Stimmung von Gewalt ganz ohne Worte zu transportieren. Auch verlieren die Stop Motion Sequenzen hierdurch ihren tieferen Sinn und wirken mehr und mehr wie ein beliebiges, verspieltes Gestaltungsmittel.

© Nordic Factory Film

© Nordic Factory Film

Schließlich kippt der Film vorübergehend ins Absurde, vermischt Gedanken und Realität, Erinnerung mit Traum, streut Motive ein, ohne sie zu verorten und bricht auf unerwartete Weise mit seiner bis dahin recht linearen Erzählstruktur. Die hierin wurzelnde Verwirrung reißt die emotionale Brücke zwischen Protagonistin und Zuschauer_in vorübergehend ein.

Eini kann den Teufelskreis aus Frustration und Aggression durchbrechen. Doch auch dem Ende des Films haftet etwas unangenehm Surreales an. Wie in Mustang befreit sich hier eine junge Frau aus einem Gefängnis und sucht die Freiheit. Aber Granny’s Dancing on the Table gelingt es nicht, die Heldin hoffnungsvoll zu entlassen.

Hanna Sköld raubt ihrem Film durch die dramaturgischen und stilistischen Brüche immer wieder seine Kraft und nutzt das Potential der Stop Motion Sequenzen nur teilweise. So beeindruckend diese Animationen auch gestaltet sind, so wenig kann Granny’s Dancing in the Table als Ganzes überzeugen.

Sophie Charlotte Rieger
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