FddF: Taxi – Wenn ich weg muss, muss ich weg

Was heißt Unabhängigkeit?

Diese Frage begleitete mich während Kerstin Ahlreichs‚ Spielfilm Taxi der Schauspielerin Rosalie Thomass in einer – zumindest für mich – ungewöhnlichen Rolle zeigt: Alex, wie sie hier heißt, hat ihre Lehre als Versicherungskauffrau abgebrochen, um Taxi zu fahren. Und sie kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn jemand sie nach den Gründen dafür fragt („Warum fährt ein so hübsches Mädchen wie du Taxi?“). Eigentlich kann Alex es generell nicht sonderlich gut leiden, wenn sie irgendjemand etwas fragt. Sie ist eine Einzelkämpferin. Und das gilt auch für die Liebe.

© farbfilm

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Auf den ersten Blick wirkt Alex wie eine ziemlich taffe Frau, die stereotyp männliche Attribute zur Schau trägt, ohne sich damit zu profilieren. Sie scheint einfach so zu sein. Die Taxifahrerin lässt sich nicht herumkommandieren und reagiert mit voller Härte auf die (bedauerlicher Weise obligatorischen) sexuellen Belästigungen männlicher Fahrgäste. Alex ist stark, stärker, am stärksten.

Und doch schimmert da zunehmend diese tiefe Traurigkeit durch ihre harte Schale, die ihr demonstrativ zur Schau getragenes Selbstbewusstsein dann doch unterminiert. Was treibt diese junge Frau an, die nachts mit dem Taxi durch Hamburg braust, eine lieblose Beziehung zu Kollege Dietrich (Stipe Erceg) führt und zweimal die Woche ihren kleinwüchsigen Liebhaber (Peter Dinklage) vögelt?

Kerstin Ahlrichs inszeniert das Drehbuch von Autorin Karen Duve hier als bei aller Direktheit doch verträumtes 80er Jahre Märchen mit starken Farben und einer Musikuntermalung, die die emotionale Tiefe der abgebrühten Heldin markiert. Überzeichnete Charaktere wie Alex‘ Bruder (Jannik Schürmann) oder ihr Kollege Rüdiger (Robert Stadlober) brechen mit dem Realismus der Handlung. Auch das Voice Over lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass Ahlrichs hier einen Unterhaltungsfilm und kein Realdrama inszeniert.

Das Rezept geht auf. Ohne sich in die Untiefen platter Pipi-Kacka-Witze à la Matthias Schweighöfer zu begeben, kann Kerstin Ahlrichs hier eine durchgehend humoristische Ebene etablieren, die der zuweilen tragischen Kernhandlung Leichtigkeit verleiht, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen. Oder anders gesagt: Taxi arbeitet mit intelligentem Humor, der sich aus den Charakteren entwickelt, ohne seine Protagonist_innen als Witzfiguren zu entmenschlichen.

© Farbfilm

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Das ist wichtig, denn Taxi hat etwas zu erzählen. Es ist eine Geschichte von Emanzipation, von der Suche nach und Möglichkeit von Unabhängigkeit. Es geht um die Abgrenzung vom Elternhaus, um eine Adoleszenz-, aber auch um eine Weiblichkeitskrise, um die Suche nach einem selbstbestimmten Leben. Es ist kein Zufall, dass Alex einen stereotyp männlichen Beruf ergreift und in ihrer emotionalen Härte auch in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen ein „männliches“ Verhalten an den Tag legt. Es ist – und auch das verstehen wir in Anbetracht der verschiedenen Situationen von Alltagssexismus – Alex‘ Taktik, ihrem Leben eine eigene Richtung zu geben. Männlichkeit ist gleich Unabhängigkeit, so die Logik. Doch der Weg zum Ziel ist nicht die Vermeidung von romantischer Abhängigkeit und auch nicht die reine Performation eines maskulinen Verhaltenskodex’, sondern die Freiheit zu tun und zu sein, wer man_frau ist.

Das ist die wunderbare Moral der Geschichte: Alex strampelt sich frei von den Zuschreibungen von Familie, Freund_innen, Kolleg_innen und der Gesellschaft und sucht ihren eigenen Weg. Dass sich Taxi dadurch schließlich doch in eine Liebesgeschichte verwandelt, ist zu verzeihen, weil auch die finale Hingabe einen Schritt auf dem Weg zur Emanzipation der Hauptfigur darstellt. Das Entscheidende dabei ist, dass Alex keinen Hafen sucht, keinen Mann, der auf sie aufpasst, sondern einen Partner, der ihr mit Respekt begegnet, sie nicht besitzen oder über sie bestimmen will. Auf Augenhöhe also. Wie wenig das mit realer Körpergröße zu tun hat, verdeutlicht Taxi auch durch die Besetzung von Peter Dinklage.

Am Ende des Films steht jedoch kein „happily ever after“, erklingen keine Hochzeitsglocken und erscheint kein Kuss im Sonnenuntergang. Denn im Kern geht es eben nicht um die große Liebe. Das Ziel im Leben einer Frau ist es nicht, den richtigen Deckel zu finden, der ihren Topf verschließt, sondern sich selbst zu finden und vor allem zu bewahren.

„Wenn ich weg muss, muss ich weg“ sagt Alex am Ende. Die aufrichtige Zuneigung oder – wenn wir es denn so nennen wollen „wahre Liebe“ – kann nur stattfinden, wenn alle Beteiligten jeder Zeit gehen können, keine_r vom anderen fremdbestimmt wird. Dann – und nur dann! – besteht in Alex’ Hingabe an einen Mann nicht mehr die Gefahr, sich selbst zu verlieren, sich dem anzupassen, was er in ihr zu sehen glaubt, sondern bei sich selbst zu bleiben und frei zu sein. Das ist Unabhängigkeit! Und der Weg dahin, ob wir ihn nun Emanzipation nennen oder nicht, so macht Taxi damit sehr deutlich, kommt uns letztlich allen zu Gute. Wenn das nicht „emanzipatorisch wertvoll“ ist…

Kinostart: 20. August 2015

https://youtu.be/HZwITh7i8f8

Sophie Charlotte Rieger
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